Kinderbuch-JugendbuchREZENSIONEN

Von einer rauschgiftsüchtigen Hexe...

Kyrgyse
Akbara und andere Märchen
Nacherzählt und mit einem Begleittext von Friedrich Hitzer
Die Sissyphosse. Eine Bücherreihe
Verlag Faber & Faber, Leipzig 1997, 62 S.
 

(Rezensiert, entsprechend dem Gästebuch-Eintrag 17 von Iwan Heinz.)

Ein dünnes Büchlein, eher ein Heftchen... Aber ich weiß nicht, wen ich mehr rühmen soll: den weltbekannten kyrgysischen Schriftsteller Tschingis Aitmatow oder Friedrich Hitzer*, der Aitmatows Märchen so nachhaltig-eindrucksvoll nacherzählt oder den Leipziger Verlag Faber & Faber, ohne den es dieses poetisch-nachdenkenswerte Büchlein sicherlich nicht gäbe...

Beginnen wir mit dem weltbekannten kyrgysischen Dichter. Der erzählte seinem Übersetzer, der inzwischen auch sein Freund geworden ist, drei Märchen, die bislang noch nirgendwo veröffentlicht wurden - "weder im fernen Kirgisien noch im nahen Russland".

 "Das Äffchen mit der Schultasche" hatte Aitmatow für seine Tochter Shirin und seinen Sohn Eldar erfunden. Es spielt in Madagaskar, Moskau und Kirgisien (Kyrgysstan) und handelt von einer kleinen Meerkatze mit langem weißem Kinnbart und einem rotbraunen Stirnband. Eigentlich ist diese kleine Meerkatze in Wirklichkeit gar kein Äffchen... Dass es gerettet wird, verdankt es  den herzensguten Kindern Shirin und Eldar, deren hilfsbereiter Mutter und dem Vater, der schließlich "nicht Hinz und Kunz" ist, denn er kennt die fast eine Million Zeilen von "Manas", dem  kyrgysischen Heldenepos, auswendig. Buchstäblich lebenswichtig ist, dass  sich das Äffchen und die Kinder auf Englisch verständigen können. Vater Aitmatow hatte sich dieses moderne Märchen mit einer rauschgiftsüchtigen Hexe und bösen Mafiosis ausgedacht, damit seine Kinder gern und fleißig Englisch lernen...

Das Märchen "Glück der drei armen Mädchen" hat die Großmutter Aimchan vor langer Zeit dem kleinen Enkel Tschingis erzählt. Es erinnert  an unser deutsches Märchen "Hänsel und Gretel". Seiner Großmutter, sagt Aitmatow, verdanke er seine Liebe zum Wort.

Der Name Akbara im dritten Märchen lässt jeden Aitmatow-Kenner aufhorchen; denn Akbara heißt die blauäugige Wölfin in dem naturverbundenen Roman Aitmatows "Der Richtplatz". Im Märchen "Akbara" verlieben sich die kluge, schöne, freisinnige Tochter eines kyrgysischen Khans und ein armer Dichter aus dem  usbekischen Chiwa ineinander. Siegt in den beiden anderen Märchen das Gute, so ist dieses Märchen - in dem das kyrgysische Volk schon vor langer Zeit die Liebe preist - gar zu traurig...

Friedrich Hitzer umrahmte die Märchen "statt eines Vorworts über die Entstehung und Herkunft" mit einem "Brief an Jessica". Ist Jessica des Nacherzählers Tochter  (aber der Vater heißt doch nicht Mike?)? Hitzer erzählt die märchenhaften Geschichten so nach, dass sie  Kinder und Erwachsene entzücken und jung und alt gleichermaßen nachdenklich stimmen.

Gäbe es Friedrich Hitzer nicht, so gäbe es von Aitmatow auch nicht "Kindheit in Kirgisien", von dem Uiguren Ibragim  nicht das Buch "Ich wurde vor fünftausend Jahren geboren", von dem Kasachen Muchtar Schachanow nicht "Irrweg der Zivilisation". Und doch regt es mich auf, dass Friedrich Hitzer stets ignoriert, wenn Werke schon zu DDR-Zeiten erschienen sind; "Der Richtplatz" wurde  bereits 1987 im Berliner Verlag Volk und Welt unter dem Titel "Die Richtstatt" herausgegeben, übersetzt von Charlotte Kossuth. Würden sich denn Hitzers Verdienste schmälern, würde er andere Verdienste anerkennen? 

Der  Verlag Faber & Faber ist ein Familienunternehmen, 1990 "mit dem Anspruch gegründet, schöne Bücher zu machen" (Elmar Faber**). Zehn Jahre später wurde der Verlag - der  jährlich bis zu fünfundzwanzig Neuerscheinungen auf den Markt bringt - mit dem Antiquaria-Preis 2000 ausgezeichnet --- als eine "Gegenbewegung zu den neuen Medien, gegen die Flüchtigkeit des Bildschirms". Elmar Faber (geb. 1934) leitete bis 1992 den renommierten Berliner Aufbau-Verlag. "Das Buch", meint Faber, "hat unentwegt weitergelebt, obwohl es schon hundert Mal totgesagt wurde."

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

      * Der Übersetzer Friedrich Hitzer starb am 15. März 2007. 

    ** Der Leipziger Verleger Elmar Faber wurde im März 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Faber leitete bedeutende deutsche Verlage wie EDITION LEIPZIG, den Berliner Aufbau-Verlag sowie Rütten & Loening Berlin. 1990 gründete er den Aufbau-Taschenbuchverlag in Berlin und zusammen mit seinem Sohn Michael*** 1991 den Leipziger Literatur- und Kunstverlag Faber & Faber. Der Verleger ist auch als Herausgeber und Publizist hervorgetreten. Sein letzter Essayband "Die Allmacht des Geldes und die Zukunft der Phantasie" versammelt kulturkritische Betrachtungen zur Bücherwelt und zur Bildungsgesellschaft.

  ***2009 hat Michael Faber seinen Posten als Verleger niedergelegt und ist als Geschäftsführer des Verlages Faber & Faber ausgeschieden - er wurde Leipzigs neuer Kulturbürgermeister. Sein Nachfolger im Verlag wird der Literaturhistoriker Otto Werner Förster.

 

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Am 11.03.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 27.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

 

Ein Dieb wird nicht reich, ein Gieriger nicht satt.
Sprichwort der Kyrgysen


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