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    | Belletristik REZENSIONEN |  | Fandorin - ein Mann der Ehre
 
 
 |  | Boris Akunin | Russe |  | Die Diamantene Kutsche Fandorin ermittelt
 |  | Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2006, 745 S.
 
        
          Zwanzig Jahre jung ist der Ermittler Erast Petrowitsch Fandorin, als ich 2003 Boris Akunins 
          gleichnamigen ersten Kriminalroman "Fandorin" las. Inzwischen sind in 
          der Kriminalroman-Reihe "Fandorin ermittelt" elf Romane von Boris 
          Akunin (geboren 1956 in Georgien) erschienen:
          "Fandorin", 
          "Türkisches Gambit", 
          "Mord auf der Leviathan", 
          "Der Tod des Achilles",
          "Russisches Pocker", 
          "Die Schönheit der toten Mädchen",
          "Der Tote im Salonwagen", 
          "Die Entführung des Großfürsten", 
          "Der Magier von Moskau", 
          "Die Liebhaber des Todes". In der "Diamantenen Kutsche" ist Erast Petrowitsch 
          Fandorin inzwischen ein halbes Jahrhundert alt, und der Aufbau Taschenbuch 
          Verlag hat inzwischen vierhunderttausend Exemplare mit dem Kult-Helden Fandorin verkauft. 
          
 Die Diamantene Kutsche vereint zwei Romane in einem - in 
          einem dicken Wälzer von 745 Seiten. Der Krimi beginnt 1905 mit dem 
          Russisch-Japanischen Krieg. Fandorin muss als Mitarbeiter des 
          Verkehrsministeriums aufklären, wer das Bombenattentat auf die 
          Tesoimenitski-Brücke vorgenommen bzw. in Auftrag gegeben hat. Es gibt 
          viele spannende Verwicklungen, eine aparte junge Dame und einen 
          verdächtigen Japaner. Aber alle, die an der Lösung des Falles 
          arbeiten, vermuten, dass dieses Attentat nur eine Kraftprobe war. Die 
          Täter, so wird angenommen, haben es eigentlich auf die Transsibirische Eisenbahn abgesehen, 
          denn:  ohne Munition, Verpflegung und Naschschub ist die 
          Mandschurei-Armee verloren. Fandorin und seine Kollegen haben es mit 
          einem japanischen Meisterspion zu tun, der Verwandlungskünste und 
          Tricks beherrscht, die Fandorin an die Künste der legendären japanischen 
          Schattenkrieger erinnern, die er 1878 als 
          russischer Vizekonsul in Japan hautnah  erlebte.
 
 Als ein "böser Mensch" (japanisch: Akunin) gefasst ist, 
          endet auf Seite 187 das erste Buch. Das zweite Buch führt Fandorin und uns nach Yokohama, es ist eine 
          Rückblende, die uns über Fandorins Erlebnisse - er hat sich auf 
          zweiundzwanzig Jahre verjüngt - spannend informiert. Erast Petrowitsch 
          arbeitet mit der Munizialpolizei, dem Amerikaner Lockstone und dem 
          Inspektor der japanischen Polizei Asagawa zusammen. Es liest sich 
          köstlich, wie unterschiedlich diese multinationale Aufklärungsgruppe 
          die Fälle löst bzw. nicht löst. In der Rückblende dieses zehnten Romans 
          nach "Fandorin" erfahren wir endlich, wie Fandorin zu seinem 
          japanischen Diener Masa gekommen ist, woher Fandorins umfangreiches 
          japanisches Wissen stammt, warum er japanische Kampftechniken beherrscht...
 
 Boris Akunin ist 
          ein Pseudonym. Eigentlich heißt der Autor Grigori Tschchartischwili, geboren in 
          Tbilissi, Georgiens 
          Hauptstadt*. Die Familie verließ Georgien als der Sohn noch ein kleines Kind war, zog nach 
          Kasachstan und schließlich nach 
          Moskau. 
          Akunin 
          ist als Japanologe ganz in seinem Element, wenn er über japanische 
          Politik, Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Traditionen schreibt. Wir 
          lesen eine Unmenge Interessantes über japanische Banditen und Samurai, 
          über Fürsten und Konkubinen, über wie Zauberei anmutende japanische 
          Kampftechniken, über Harakiri. Einige Schuldige und Unschuldige 
          sterben wie von Zauberhand, einige Gefangene - auch Banditen haben in 
          Japan einen Ehrenkodex - morden sich selbst, indem sie sich die Kehle 
          durchschneiden, sich die Zunge abbeißen und verbluten, mit dem Kopf an 
          Betonwände rennen...  Es geht grausig zu im zweiten Buch der 
          "Diamantenen Kutsche". Damit nicht genug, mischen die legendären Ninjas mit, die 
          Schattenkrieger, obwohl man 1878 ihre Kaste seit 
          dreihundert Jahren für ausgestorben gehalten hatte. Man will nicht 
          glauben, was diese Ninjas für lebensvernichtende Tricks beherrschen. 
          In eine Ninja verliebt sich dann auch Hals 
          über Kopf der sonst so gesittete Heißsporn Erast Fandorin. Ja, auch 
          "ein Mann von Ehre" ist ein Mann...
 
 Bei Akunins Krimis ist immer auch die Machart interessant. Diesmal 
          sind alle Kapitelüberschriften des ersten Buches und alle 
          Kapitelabschlüsse des zweiten Buches entsprechend dem Inhalt auf 
          japanisch gestimmt. Das erste Buch besteht aus drei Hauptkapiteln (KAMI-NO-KU, 
          NAKA-NO-KU, SIMO-NO-KU). Das erste Hauptkapitel ist in fünf, das 
          zweite in sieben, das dritte wieder in fünf Kapitel unterteilt, die 
          alle auf eine Silbe hindeuten, z. B. "Erste Silbe, welche in gewisser 
          Beziehung zum Fernen Osten steht" oder "Zweite Silbe, in welcher zwei 
          irdische Jammertäler enden"...Erst wenn man im zweiten Buch angelangt 
          ist, bekommt man ab Seite 680 eine Ahnung, was dies bedeutet. Denn im 
          zweiten Buch schließt jedes Kapitel mit einem Dreizeiler, z. B.: 
          "Warum nur liebt er / Den, dem er gleichgültig ist, / Der 
          Glücksspielwürfel?" Der poetisch gebildete Leser weiß nun, dass es 
          sich um ein Haiku handelt. Was ist ein Haiku? Ein Dreizeiler, dessen erste Zeile aus fünf Silben, dessen zweite Zeile 
          aus sieben Silben und dessen dritte Zeile wieder aus fünf Silben 
          besteht. "Jedes Wort", erklärt Fandorins geliebte Schattenkriegerin, 
          "steht an seinem Platz, kein einziges ist überflüssig. (...) Heiku 
          sind wie die leibliche Hülle, welche die unsichtbare, ungreifbare 
          Seele umschließt. Das Geheimnis liegt in dem engen Raum zwischen den 
          fünf Silben der ersten Zeile (sie heißt naka-no-ku) und zwischen den 
          sieben Silben des Naka-no-ku und den fünf Silben der dritten und 
          letzten Zeile (sie heißt Shimo-no-ku. (...). Als Beispiel deklamiert O-Yumi im Singsang: "Mein lieber 
          kleiner / Libellenfänger so weit / liefst du heute fort." Sie erklärt 
          Fandorin, dass man, um ein Haiku wirklich zu verstehen, über ein 
          besonderes Gespür und über Wissen verfügen muss. Den Heiku von dem "lieben 
          kleinen Libellenfänger" schrieb "die berühmte Dichterin Chiyo auf den 
          Tod ihren kleinen Sohnes". Laut Lexikon entstand das Haiku, ein 
          reimloses Kurzgedicht,  im 17. Jahrhundert aus längeren Gedichtformen. Heiku-Meister waren u. a. Matsuo Bascho (1643-1694); Buson 
          (1716-1783), Issa (1763-1827). Bald schon wird - ich ahne es - Boris 
          Akunin bzw. Grigori Tschchartischwili ein Heiku-Meister genant 
          werden....
 
 Mit solchen durchgängigen "Macharten" diszipliniert sich einerseits 
          der Autor beim Schreiben, andererseits setzt er sich so aber auch 
          Schreibzwängen aus - denen er sich allerdings immer talentiert stellt. 
          Aber die japanische Dichtung  kann doch nicht die einzige Klammer 
          zwischen dem ersten und dem zweiten Buch sein, die in verschiedenen 
          Ländern und zu verschiedenen Zeiten spielen? Natürlich nicht. Denn 
          Fandorins Erlebnisse als Vizekonsul in Japan fast drei Jahrzehnte vor 
          dem Russisch-Japanischen Krieg sind auf geheimnisvolle Weise mit den 
          Ereignissen in Russland 1905 verbunden...
 
 Was mich bei diesem unhandlichen Wälzer am meisten faszinierte? 
          Dass Erast Fandorin bei all den wilden Gemetzeln und hinterhältigen 
          Mordkünsten der Ninjas frisch und munter am Leben geblieben ist...
 
 Übrigens: Der Titel Die Diamantene Kutsche
          [Kongojo] 
          ist auf die Lehre des Buddhismus zurückzuführen. "Kongojo", das 
          ist ein ganz eigener Zweig des Buddhismus, ziemlich verworren und 
          voller Geheimnisse. "Nach dieser Lehre kann ein Mensch", 
			wird von Fandorin erklärt, "Erleuchtung erlangen und noch zu Lebzeiten Buddha werden, 
          doch das verlangt eine ganz besondere Festigkeit im Glauben. Darum 
          auch Diamantene Kutsche - es gibt in der Natur nichts Härteres als den 
          Diamanten."
 |  | Gisela Reller / 
          www.reller-rezensionen.de
  
          
          * 2006 stand der aus Georgien stammende russische Autor Boris Akunin im 
          Visier der russischen Behörden. Weil Georgien einen strammen Westkurs 
          steuert und der NATO beitreten will, haben die russischen Behörden die 
          Jagd auf georgische Staatsbürger eröffnet. Akunin wird zur Zeit von 
          der Steuerbehörde überprüft. | Weitere Rezensionen zu "Kriminalliteratur": 
 
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        Boris Akunin, Die Entführung des Großfürsten.
        Boris Akunin, Der Tote im Salonwagen.
        Boris Akunin, Die Liebhaber des Todes.
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        Tatjana Stepanowa, Der süße Duft des Blutes.
        Bernhard Thieme, Russisch Roulette.
        Sergej Ustinow, 12 Uhr Majakowski Platz, Hörbuch.
        Tatjana Ustinowa, Blind ist die Nacht.
        Robin White, Sibirische Tiger.      
         Am 24.05.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 
          19.11.2019. 
          Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |  | Wer guter Absicht ist, dem fällt Arges 
        nicht einmal ein. |  | Sprichwort der Russen |  |  
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