Sachbuch REZENSIONEN

Von einem Grauen, das man nicht sehen kann...

Russe; über das ukrainische Atomkraftwerk Tschernobyl
Tschernobyl
Nahaufnahme
Unter Mitarbeit von Thomas Johnson
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Mit zahlreichen ganzseitigen Fotos
Verlag Antje Kunstmann, München 2006, 240 S.

Auf den Fotos von Igor Kostin wird unmittelbar nach der Katastrophe nicht gebarmt, nicht geflüchtet, sondern jeder Abgebildete geht mutig und scheinbar ruhig seiner ihm aufgetragenen Arbeit nach. Die Beklemmung, die Unsicherheit, die Angst ist ihnen hinter den Atemschutzmasken (aus dem ersten und zweiten Weltkrieg) nicht anzusehen. Und auch die Naturaufnahmen - der rote Klatschmohn auf grüner Wiese, der malerische Sonnenaufgang über dem (brachliegenden) Feld, die Herde Auerochsen bei Sonnenuntergang, die besonders üppig blühenden Obstbäume... - sind auf den ersten Blick schön anzusehende Landschaftsidyllen. Erst auf den zweiten Blick gewahrt man auf Kostins Fotos die Schilder: "Radioaktivität. Gefahrenzone! Beweiden, Mähen, Pflücken von Pilzen oder Beeren verboten." Viele Fotos gewinnen ihre Brisanz erst durch die sehr aufschlussreichen Bildunterschriften. Igor Kostin -1936 in Moldawien geboren - hat von der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl das allererste Foto gemacht und deren Folgen dann zwanzig Jahre lang dokumentiert. Sein Buch erscheint anlässlich des 20. Jahrestages dieses GAUs, des "größten anzunehmenden Unfalls".

Kostin hatte  nach seinem Militärdienst zehn Jahre lang als leitender Ingenieur gearbeitet, diese Karriere aber 1972 - mit  sechsunddreißig Jahren - beendet, um Fotograf zu werden. Er erhielt später sein eigenes Fernsehprogramm über Fotografie und arbeitete als Reporter für die Nachrichtenagentur "Nowosti" (Neuigkeiten) in der Ukraine. Am 26. April 1986, reißt ihn Telefonklingeln aus dem Schlaf. "Mechanisch (...) nehme ich den Hörer ab. Ich erkenne die Stimme eines befreundeten Hubschrauberpiloten: `Igor, im Kraftwerk Tschernobyl hat es heute Nacht gebrannt. Wir fliegen hin, kommst du mit?´" Als Fotoreporter für aktuelle Nachrichten überraschten Igor Kostin nächtliche Anrufe nicht. Zwischen Kiew, wo Kostin lebt, und Tschernobyl liegen einhundertfünfzig Kilometer, "das sind fünfundvierzig Flugminuten über eine relieflose Ebene, auf der in regelmäßigen Abständen Fabriken stehen". Als die massive Silhouette des Kraftwerkes in ihren Blick gerät, sieht es aus "wie eine schlafende Fabrik, abseits von den anderen, ein weitläufiger, etwas anarchischer Komplex am Flussufer". Außer ein bisschen weißem Rauch deutet nichts auf einen Unfall hin... Als sich der bleigepanzerte Hubschrauber dem Atomkraftwerk nähert, "bemerken wir hektische Betriebsamkeit. Eine Menge Militärfahrzeuge fahren hin und her. Solche Szenen habe ich in Vietnam und in Afghanistan schon gesehen, aber ich hatte nicht erwartet, so etwas bei mir zu Hause wieder zu erleben, in der Ukraine, beim Fotografieren eines Brandes. - Der Hubschrauber fliegt weiter. Plötzlich ist da unter uns keine Bewegung, nichts Lebendiges mehr. Als hingen wir in der Schwebe. Vor uns ein großes klaffendes Loch, wie ein offenes Grab. (...) Die Anlage besteht aus vier getrennten Blöcken - einer pro Reaktor. Das Dach des vierten, eine 3 000 Tonnen schwere Stahlbetonplatte, ist von der Explosion weggerissen worden, umgeklappt wie ein Pfannkuchen."

Nachdem Kostin etwa zwanzig Fotos geschossen hat, blockiert der Mechanismus seines Fotoapparates, der Pilot fliegt zurück. "Beim Entwickeln ist der Film belichtet worden. In diesem Moment begreife ich noch nicht, dass das auf die Radioaktivität zurückzuführen ist. Marie Curie hat beim Isolieren des Radiums dieselbe Erfahrung gemacht: Die Strahlung belichtet Filme und fotografische Platten. Nur das allererste Bild scheint weniger beschädigt zu sein. Wahrscheinlich war es durch die Spule geschützt.  - Ich kämpfe mit dem Film und erhalte schließlich einen annehmbaren Abzug, den ich an die Agentur Nowosti nach Moskau schicke. - Das Bild wird nicht veröffentlicht. - Aber ich weiß schon, dass ich nach Tschernobyl zurückkehren werde, um weitere Fotos zu machen."

Michail Gorbatschow - 1986 Generalsekretär der KPdSU -, der für Glasnost (Transparenz und Offenheit) einsteht, verschweigt der Welt die Katastrophe. Dabei hatte er doch in seiner Neujahrsansprache für 1986 gesagt: "Heute nennen wir Dinge beim Namen. Erfolge sind Erfolge, Fehler sind Fehler. Das ist die richtige Medizin gegen Arroganz und Selbstgefälligkeit." Vier Monate später hätte Gorbatschow seinen Worten Taten folgen lassen können, doch erst am dritten Tag nach dem Super-GAU lässt er fünf sowjetische Medien zur Berichterstattung zu. "Wie viele andere", schreibt Kostin, "höre ich heimlich den Radiosender `Die Stimme Amerikas´ und erfahre so, dass es sich bei dem Unfall in Tschernobyl um einen GAU (...) handelt. Es gibt tatsächlich Hunderte, vielleicht sogar Tausende Tote und Verletzte. Ich bin erschüttert. Weder die Regierung noch die Wissenschaftler haben von einem GAU gesprochen. Ich will handeln, nichts hält mich mehr. Der Gedanke, zu Hause zu bleiben oder, schlimmer noch, ins erste Flugzeug zu steigen, um der Strahlung zu entfliehen, kommt mir nicht einmal in den Sinn. Ich muss hier bleiben, in der Ukraine*. - (...) Die Arbeiter vor Ort sprechen die gleiche Sprache wie ich. - Es sind meine Landsleute, meine Brüder. Ich gehöre hierher. - Ich bleibe."

Mutig und unermüdlich fotografiert Igor Kostin, wie normale Reservisten in unzureichender Bleischutzkleidung als  "Liquidatoren"** Schäden eindämmen sollen; wie die Hubschrauber-Piloten mitten im Flug Schwindelanfälle bekommen, wenn sie Sandsäcke in den brennenden Schlund des Kraftwerks werfen; wie das Kraftwerkspersonal  in hoch kontaminierter Umwelt arbeitet, um die vorübergehend abgeschalteten Blöcke zu warten; wie die Einwohner von Kiew, nicht ausreichend aufgeklärt über die Strahlungsgefahren, am 1. Mai 1986 - sechs Tage nach der gigantischen Katastrophe - einen fröhlich-feierlichen Mai-Umzug gestalten; wie die Evakuierung eines großen Teils der Bevölkerung aus der Gefahrenzone vor sich geht; wie (achtzehn) "Dosimetristen" in allen Teilen des Kraftwerks die Radioaktivität messen, um Pläne ausarbeiten und Karten der Anlage zu erstellen. "Sie müssen insbesondere auf das Dach des Reaktors 3 steigen, auf das die Explosion eine große Menge hochradioaktiven Schutt geschleudert hat. (...) Sie arbeiten immer nur 40 Sekunden, weil sie da hingehen, wo sonst niemand hingeht, dorthin, wo die Strahlung am stärksten ist."; wo noch immer [mehr als zehntausend] Menschen in Gebieten mit stark erhöhter Strahlenbelastung leben...

1987 (im Juli) hält es die Sowjetregierung für an der Zeit, für das entsetzliche Geschehen Schuldige zu finden. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit findet ein Prozess statt, in dem die sowjetische Technologie von jedem Verdacht freigesprochen wird. Was hatte doch einst das russische Mitglied der Moskauer Akademie der Wissenschaften Anatoli Alexandrow gesagt? "Unsere (Kern-) Kraftwerke stellen keinerlei Risiko dar. Man könnte sie sogar auf dem Roten Platz bauen. Sie sind sicherer als unsere Samoware." Dementsprechend sicher fühlte ich mich, als ich 1981 auf Tschukotka  das Kernkraftwerk von Bilibino als Reporterin besuchte.***

Da sowjetische Technik angeblich ohne Fehl und Tadel ist, kam für die Untersuchungskommission nur menschliches Versagen für den Prozess in Frage. Und so wurden die drei Hauptverantwortlichen, u. a. der Kraftwerksleiter Viktor Brjuchanow, zu zehn Jahren Haft verurteilt. Brjuchanow, der seine zehn Jahre Haft abgesessen hat: "Es wurden Schuldige gebraucht. Sündenböcke. Es war ein abgekartetes Spiel. Man hat dem Richter befohlen, uns zu verurteilen, und er hat es getan. Die tatsächlichen Ursachen des Unfalls waren unerheblich." Die Ursachen? Ein defekter Reaktor? Ein Erdstoß? Ein Kurzschluss im Maschinenraum? Ein schlecht vorbereitetes Experiment? Oder wirklich menschliches Versagen? "Tschernobyl bleibt", schreibt die russische Journalistin Galia Ackerman im Epilog zum Buch, "ein schwarzes Loch der Information." Auch über den "Potemkinschen Prozess zwischen Erkenntnissen und Lügen" berichtet Igor Kostin in seinem Buch.

Igor Kostin erhielt für seine Fotografien den "World Press PhotoAward". Schon heute ist er eine Legende. Ich habe das Bedürfnis, diesen mutigen, selbstlosen Mann, der wohl fünfhundert Mal in Tschernobyl weilte, ausführlich vorzustellen: Igor Fjodorowitsch Kostin wurde am 27. Dezember 1936 "in den Weinbergen Moldawiens, (...) das man damals Bessarabien**** nannte", geboren. Sein Vater zog in den Krieg, als Igor drei Jahre alt war, er sah ihn nie wieder... Kostin ist davon überzeugt, dass er seine Gesundheit den Nüssen und Trauben seiner Kindheit verdankt. "Wenn ich den hohen Radioaktivitätsdosen von Tschernobyl standgehalten habe, so verdanke ich das dem Land meiner Eltern, dem, was wir aßen, allem, was uns umgab und schützte." Vor dem Krieg lebten die Kostins in Kischinjow in einer prachtvollen Wohnung. 1940 wurde Bessarabien von der Sowjetunion annektiert. Mit dem Vater, der zur Roten Armee eingezogen war, war auch das Gehalt weg. "Meine Mutter und ich, ihr einziger Sohn, sind dann in einen Vorort der Stadt gezogen, denn sie hatte eines dieser winzigen moldawischen Häuser geerbt, fünf mal zwei Meter groß, gebaut aus einer Mischung aus Lehm, Stroh und Pferdemist, die mit den Füßen geknetet und in der Sonne getrocknet wurde." Dieses Haus gibt es noch immer. "Ich habe zweiunddreißig Jahre darin gewohnt, habe dort den Krieg, die Besatzung, die so genannte `Befreiung´ erlebt. In diesem Haus bin ich erwachsen geworden. Aus diesem Haus schöpfe ich meine ganze Kraft, bis heute..." - Im Krieg herrschte in Bessarabien eine furchtbare Hungersnot. Auf dem Markt kauften die Kostins Fischfett von den Deutschen, die damit ihre Stiefel imprägnierten. "`Es ist unsere einzige Chance, um zu überleben`", sagte die Mutter. - In der Umgebung von Kischinjow hatten die Deutschen Konzentrationslager für sowjetische Kriegsgefangene errichtet. Als Igors Mutter davon erfuhr, kochte sie Eimer voll Borschtsch, um sie abends den Gefangenen zu bringen. "Sie schob sie unter dem Stacheldraht durch, und die Gefangenen streckten ihre spindeldürren Arme danach aus. Ich begleitete sie oft. - Eines Tages haben die Wachmänner uns gesehen und auf uns geschossen. Aber meine Mutter kam trotz der Kugeln immer wieder, denn sie hoffte, unter den Gespenstern im Konzentrationslager meinen Vater wiederzufinden. (...) - Als sich die Sowjets Kischinjow näherten, sind auch wir bombardiert worden. (...) Im ersten Morgenlicht des nächsten Tages, noch bevor die Sonne aufgegangen war, haben wir die ersten sowjetischen Soldaten gesehen. (...) Die Sowjets säuberten die ganze Gegend. Sie schickten alle Leute nach Sibirien, die ein größeres Haus hatten als ihre Nachbarn oder die angezeigt worden waren, weil sie etwas zu essen hatten. Sie nannten sie die `Privilegierten`." Seine Kindheit nennt Kostin "schwierig". Er sei ein Gauner geworden, er habe ein Messer und eine Pistole gehabt. "Dann war ich eines Tages groß und habe meinen Militärdienst geleistet. Drei Jahre lang. - Die Armee hat mich gerettet. Wenn ich kein Verbrecher geworden bin, verdanke ich das der Armee. (...) Ich habe in der Pioniertruppe gedient, wir mussten Minen legen und danach wieder entminen. (...) Von den drei Jahren Dienstzeit hatte ich sieben Monate im Loch gesessen." Zurück im zivilen Leben stellte Igor Kostin fest, "dass ich nichts konnte, außer Sport. (...) 1959 habe ich wieder mit Volleyball angefangen und für meine Region gespielt. Dann für die Mannschaft der Republik Moldawien und schließlich für die sowjetische Mannschaft." In den zehn Sportjahren brach sich Kostin mehrmals die Arme, hatte er Muskelrisse, Wirbelsäulen- und Knieprobleme. Eines Tages lernte er einen "sehr einflussreichen Mann" kennen. "Er hat mir gesagt, ich solle studieren und mit ihm zusammenarbeiten. Ich bin seinem Rat gefolgt." Zuerst war Kostin Techniker und stieg dann immer weiter auf - bis zum Chefingenieur. Gleichzeitig studierte er am Institut für Agronomie von Kischinjow. "Eines Tages hat man mir vorgeschlagen, im Kiew Proekt, dem zentralen Baubüro von Kiew zu arbeiten. Wir waren unter den Ersten in der Sowjetunion die Verschalungstechniken einsetzten, um sehr schnell bauen zu können: die `Opalubka´-Methode. Sie wird heute in der ganzen Welt genutzt. Dafür habe ich eine Maschine erfunden, ein Patent angemeldet und Preise bekommen. (...) So wurde ich zum Chefkonstrukteur befördert. (...) Ich hatte einen geregelten Lohn. Geregelten Urlaub. Alles war geregelt. - Aber das hat mich alles bald gelangweilt. (...) Um auf andere Gedanken zu kommen, habe ich mich der Fotografie zugewandt. (...) Ich kam abends um sieben nach Hause, aß zu Abend und machte Fotos. Dann entwickelte ich sie bis um zwei Uhr morgens. (...) Eines Tages habe ich eine Aufnahme meiner Frau für die Fotoausstellung der Stadt eingereicht. Ich habe die Goldmedaille dafür bekommen. (...) Seither habe ich an achtzig Ausstellungen und Messen teilgenommen. (...) Ich habe angefangen, meine Fotos zu verkaufen, um weiteres Material kaufen zu können. (...) Dann hat mich das Fernsehen als freien Journalisten eingestellt. Bald hatte ich eine einstündige monatliche Sendung über Fotografie." Kostin arbeitet danach für die örtliche Nowosti-Agentur. "So habe ich also meine Arbeit als Ingenieur, meine Frau und mein Haus hinter mir gelassen. Ich bin weggegangen. Ich schlief auf der Straße, auf Bänken.  Ich schlief überall, wo ich einfach nur den Kopf hinlegen konnte. Zum Glück war es Sommer. Dann hat die Agentur mir erlaubt, ihr Labor zu benutzen. Heimlich schlief ich dort auch. Aber nur sehr wenige meiner Fotos wurden angenommen. Ich hatte kaum genug zu essen: einmal am Tag ein Glas Milch und ein Brötchen." Kostin brauchte fünf Jahre, um sich durchzusetzen, war dann Kriegsreporter in Vietnam, Afghanistan, Kambodscha - "ständig von KGB-Beamten überwacht. Ich hatte nicht die Möglichkeit zu tun, was zu tun war. Ich durfte nicht an die Front." Man verweigerte dem parteilosen "nicht-kommunistischen" Fotografen jede Genehmigung. (...) Während dann in Tschernobyl*****alles möglich geworden ist. (...) Die Zeiten hatten sich geändert. Das System wies Lücken auf, und ich bin hindurchgeschlüpft. (...) In meinem Leben habe ich viele Fotoreportagen gemacht, aber Tschernobyl hat mein Leben verändert, hat aus mir einen anderen Menschen gemacht. Heute fällt es mir schwer, mit anderen zusammenzuleben. Ich verstehe nicht, worum sie sich sorgen: ihren Lohn, ihren Alltag, ihre kleinen Herzensnöte. Neben dem Unglück, das ich gesehen habe, ist das alles nichts. Diese Katastrophe hat meine Werte gewandelt. Sie hat mich gereinigt, geläutert."

Auch Igor Kostin ist (war?) von der Strahlenkrankheit betroffen. "Wir waren im Krieg gegen die Strahlung. Im klassischen Krieg weißt du, woher die tödliche Kugel kommen kann, und kannst dich hinter einem Felsen oder in einem Schützengraben verstecken. In Tschernobyl dagegen: kein Schützengraben, kein Panzer, der Feind ist überall, nichts hält ihn auf. Du wirst von Tausenden von Kugeln getroffen und weißt nicht, wer auf dich schießt. Du weißt nicht, ob du verletzt bist, weder wo noch wie schlimm. Also gehst du weiter vorwärts. Später beginnt deine Haut sich zu schälen. Das Fleisch stirbt ab." Schon gegen Ende 1986 merkte Kostin auf der Straße, "dass ich nicht mehr geradeaus gehen kann. Ich habe das Gefühl zu schweben. Der Verkehr und die Passanten um mich herum sind viel zu schnell. Ich nehme sie als anhaltendes Brummen wahr, durchbrochen vom Rhythmus meines Herzschlags. (...) Mit Mühe schaffe ich es bis nach Hause. Schon seit ein paar Wochen verbringe ich wegen Migräneschüben und Verdauungsstörungen viel Zeit bei Ärzten. Am folgenden Tag muss ich zu einer der regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, denen sich alle, die nach Tschernobyl fahren, unterziehen müssen. Ein paar Tage später erfahre ich, wie andere, dass ich dringend nach Moskau muss, wo die am schlimmsten Betroffenen behandelt werden: in die berühmte Klinik Nr. 6, ein Militärkrankenhaus. Mit von der Partie sind zwei Liquidatoren und ein Dokumentarfilmer, Wladimir Schewtschenko. Wir sind für den 1. Januar zur Behandlung nach Moskau bestellt. Wir sind schwer krank. Aber wir verschieben unsere Abreise auf den 3. Januar, um die Feiertage mit unseren Familien verbringen zu können. Einer von uns wird nicht mehr mitkommen: Wladimir Schewtschenko ist da schon tot." Nirgendwo steht, wie viel Strahlung Kostin abbekommen hat. In seinen Akten - so "Greenpeace", ist das Vierfache dessen dokumentiert, was ein Atomarbeiter während seines Lebens aufnehmen darf. Zu einem der Bilder Igor Kostins steht: "Ich habe immer davon geträumt, einmal nach Japan zu reisen. Aber nicht nach Hiroshima, um mich wegen der Strahlungsschäden behandeln zu lassen." Erfolgreich? Zu einem anderen Bild steht: "Ich habe spät noch eine kleine Tochter bekommen. Und jetzt ist sie es, die meinem Leben den größten Sinn gibt. Nach der Prüfung von Tschernobyl ist das für mich wie eine Wiedergeburt." Igor Kostin, inzwischen siebzig Jahre alt, hat Glück gehabt...

In der Ukraine erschien sein Buch "Tschernobyl - Bekenntnis eines Reporters". Warum, so fragt man sich, sind Igor Kostins "Nahaufnahmen" aus dem Französischen übersetzt worden? In einer Zeit, in der die Folgen von Tschernobyl kleingeredet und einer "friedlichen Nutzung der Atomenergie" wieder positive Seiten abgewonnen werden - durfte dieses Buch auch im Putinschen Russland offensichtlich nicht erscheinen - zumal auch zwanzig Jahre nach dem Reaktorunglück das ganze Ausmaß der Katastrophe noch immer nicht bekannt ist. "Wir sind zum Beispiel nicht in der Lage", sagte die Strahlenmedizinerin Angelina Nyagu von der Medizinischen Akademie der Ukraine in Kiew auf einer Tagung der atomkritischen Gesellschaft für Strahlenkunde in der Berliner Charité im April 2006, "eindeutige Angaben über die Zahl der Opfer zu machen. Es ist noch immer unklar, wie viel Radioaktivität damals frei gesetzt wurde." Das Greenpeace-Magazin: "Zu gerne hätte die internationale Atomlobby die Tschernobyl-Bilanz mit der offiziellen Sowjetzahl abgeschlossen: 31 Tote. Ab er wahrscheinlich starben mindestens  fünftausend Menschen, fünf Millionen wurden radioaktiv belastet." Das Fazit  der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges spricht von 50 000 bis 100 000 Toten und bis zu 900 000 Invaliden.

Aus dem Greenpeace-Magazin erfahre ich auch, das Igor Kostin von der Pariser Fotoagentur "Sygma" um den Lohn für seine Tschernobyl-Arbeit gebracht wurde. "Sygma" vertreibe seine Bilder in alle Welt, ohne dass er davon den branchenüblichen Anteil bekomme. Die Fotoagentur behauptet, sie hätte einer Mailänder Firma die kompletten Bildrechte an Kostins Fotos abgekauft. Diese Mailänder Firma wiederum steht heute nicht mal mehr im Telefonbuch. Kostin hat nicht die Nerven und das Geld für Anwälte, um "Sygma" zur Herausgabe seiner Bilder zu zwingen.

Kostins Tschernobyl. Nahaufnahmen ist ein außerordentlich beeindruckender Text-Bild-Band, auch was seine Gestaltung anbelangt. Auf den unpassenden Apfel-Witz (auf Seite 204/05) hätte ich allerdings gerne verzichtet: "Auf dem Markt ruft eine Frau: `Kauft meine schönen Äpfel aus Tschernobyl!´ Ein Mann will sie zur Vernunft bringen: `Hören Sie doch auf, das hinauszuschreien! Sonst will kein Mensch Ihre Äpfel kaufen.´ Doch die Frau erwidert: "Da irren Sie sich! Viele Leute kaufen sie: der eine für seine Schwiegermutter, der andere für seine Frau...´"

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

       * Igor Kostin berichtet in seiner Buch Tschernobyl. Nahaufnahme über die Folgen der Reaktorkatastrophe in der Ukraine, die zu 4,8 Prozent verstrahlt wurde. Das Kernkraftwerk von Tschernobyl liegt aber nur etwa 12 Kilometer von der belarussischen Staatsgrenze entfernt; der Super-GAU hat Belarus zu 23 Prozent verstrahlt, betroffen sind 3 678 Ortschaften und über zwei Millionen Einwohner. Lesens- und anschauenswert ist in diesem Zusammenhang "Iss Deinen Brei und halt dein Maul", eine Fotodokumentation von Eva Brandt und Martina Buchholz, Peter Hammer Verlag, 1996. - In Russland sind 0,5 Prozent des Territoriums betroffen. In "Der Tschernobyl-Schock" des Fischer Taschenbuch Verlages (Hrsg. Karl-Heinz Karisch und Joachim Wille, 1996) beschreiben kompetente Autoren die fortdauernde Katastrophe von Tschernobyl und beantworten die aktuellen Fragen zu einer "letztlich nicht beherrschbaren Technologie". Dazu erinnern sich Prominente (u. a. Angela Merkel, Walter Wallmann und Hans-Peter Dürr) an die Tage im Mai 1986. - Bereits 1994 erschien "Verschlußsache Tschernobyl" von der ukrainischen Journalistin und Politikerin Alla Jaroshinskaja (geb. 1953 in Shitomir ). Sie ist Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises. (Der Alternative Nobelpreis, offiziell Right Livelihood Award, wird an Personen, Organisationen und Repräsentanten von Bewegungen vergeben, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz einsetzen. Jährlich werden vier Preisträger geehrt, die sich 2 000 000 Schwedische Kronen - gut 200 000 Euro - teilen. Der Preis wurde 1980 vom Philatelisten, Journalisten und zeitweiligen Mitglied des Europa-Parlaments, Jakob von Uexküll, aus dem Erlös seiner Briefmarkensammlung gestiftet.) Alla Jaroshinskaja erzählt die Geschichte der Katastrophe von Tschernobyl aus der Sicht der einheimischen Bevölkerung. Und sie dokumentiert mit Namen und Funktion, wer durch sein Schweigen, durch seine Lügen und durch angepasstes Verhalten dazu beigetragen hat, dass Millionen Menschen uninformiert, nicht gewarnt, ungeschützt von der Katastrophe getroffen wurden. Im zweiten Teil werden vierzig Geheimprotokolle aus den Kremlarchiven dokumentiert.

     ** Im Dezember 2000 demonstrierten in Kiew Tschernobyl-Liquidatoren - damals "eine Armee menschlicher Roboter" - mit ihren behinderten Kindern, um mehr staatliche Hilfe zu bekommen.  Von den etwa 700 000 Liquidatoren sind 50 000 bis 100 000 bereits verstorben, 90 Prozent sind schwer erkrankt (nach Angelika Claußen, stellvertretende Vorsitzende der deutschen IPPNW-Sektion - Ärzte gegen Atomkrieg).

   *** Aus: Gisela Reller, Diesseits und jenseits des Polarkreises, Bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, Seiten 249 - 253: Von der Fettschüssel zum Atomkraftwerk:

"Im Wohnzelt der Tschuktschen und Asiatischen Eskimos war jahrhundertelang einzige Licht-, Wärme- und Kochquelle eine Schüssel aus Stein, funktionstüchtig mit Feuerstein und Tundramoos, getränkt mit Rentiertalg oder Seehundstran. Die Sorge um diese Fettschüsseln oder Tranlampen oblag ausschließlich den Frauen. Jede verheiratete Frau mußte ihre eigene `Nanek´ sogar dann haben, wenn einige Familien in einem Fellzelt zusammen wohnten. Neben den Gebrauchslampen existierte noch eine sehr kleine Lampenart, die zu Begräbniszeremonien benutzt wurde. Einer Toten legte man neben anderen Haushaltgegenständen unbedingt auch eine Tranlampe mit ins Grab. - "Wie eine Frau ohne Lampe..." ist heute noch eine gebräuchliche Redewendung für einen Menschen, der zu nichts nütze scheint. Ursprünglich, so behauptet der russische Erforscher der Kulturen des Nordens, W. G. Bororas, diente die Lampe nur Beleuchtungszwecken; denn die Jarangas [Wohnzelte] der Tschuktschen und Eskimos hatten keine Fenster. Licht, so meinte er, galt bei Tschuktschen und Eskimos mehr denn Nahrung oder Wärme. Wurden nicht genügend Tiere erlegt, herrschten Hunger, Kälte und Dunkelheit. Trotzdem sprachen Tschuktschen und Eskimos nie davon, daß eine Hungersnot geherrscht habe, sondern sie sagten grundsätzlich, daß es furchtbar dunkel gewesen sei. Auch in vielen Märchen gibt es Wendungen, die die Ansicht Bogoras´ bestätigen. So heißt es in einem eskimoischen Märchen: `Es gab keine Meerestiere, und die Lampen erloschen..." Oder in einem tschuktschischen Märchen: `Seehunde wurden erlegt, und das Feuer in den Lampen stieg wieder empor..." - Mit der Sowjetunion erst kam `Kergytschyn" - "Lichtheit" - auch ans `Ende der Welt´. - Heute gibt Tschuktschen, Eskimos und Zugereisten Licht und Wärme das erste Atomkraftwerk hinter dem Polarkreis. Auf ewigem Frostboden erbaut, befindet es sich in Bilibino, dem Ort auf Tschukotka, der von den Brennstoffquellen am weitesten entfernt ist. Mit sechs Etagen ist das Atomkraftwerk das höchste Gebäude Tschukotkas und das einzige mit einem Lift. Du wirst hier in einen weißen Kittel gehüllt, bekommst eine weiße `Bäcker´mütze verpaßt und mußt in Hausschuhe schlüpfen. Das Atomkraftwerk von Bilibino - das wird dir unmißverständlich klargemacht - gilt als das sauberste der ganzen Sowjetunion; es gehört zur jüngsten Generation. - Durch das Kernkraftwerk führt uns German Jefimowitsch Soldatow. Er stammt aus Moskau, begann hier als Meister, wurde dann Werkstattleiter, später Chefingenieur und ist jetzt der Direktor des nördlichsten Kraftwerkes der UdSSR. `Und wenn auch nicht als Tschuktsche oder Eskimo´, sagt er, `so fühle ich mich nach elf Polarwintern doch schon als echter Nordländer.´ - Ein zaristischer Inspektor hatte 1916 geschrieben, daß er eine wirtschaftliche Entwicklung der Tschuktschenhalbinsel für unmöglich halte, da unter den Bedingungen des hohen Nordens keine `gebildete Menschenseele´ freiwillig aus Rußland herkommen würde. German Soldatow ist einer von Hunderttausenden `hochgebildeter Freiwilliger´, die aus dem ganzen Sowjetland hierhergekommen sind. `Unser Atomkraftwerk war Komsomolgroßbaustelle. Allein zweitausend Jugendliche kamen 1974 freiwillig aus allen Teilen der Sowjetunion.´ - Das Kernkraftwerk gewährleistet die Energieversorung der Tschuktschenhalbinsel und Kolymas, gibt also Tausenden Familien Licht und Wäre in `atombeheizten´ Wohnungen, Elektroenergie für die Industrie, vor allem für die Förderung im Goldtagebau des jüngsten Industriezentrums Bilibino. Darüber hinaus ist es aber das erste Kernkraftwerk, das Industrie- und Haushaltsstrom liefert. Bald wird die Bevölkerung das ganze Jahr über mit frischem Gemüse versorgt werden können, weil das Kernkraftwerk auch die nötige Wärme für die schon projektierten Treibhäuser spenden wird. - Ich frage German Soldatow, wie denn die Bevölkerung zu dem Atomkraftwerk stehe. "Man nennt unser Kernkraftwerk, das auch mit Anlagen aus der ČSSR, Ungarn und der DDR ausgestattet ist, hier liebevoll `Atomkamin´. Keiner, der `in der Heimat des Winters´ heute noch in frostklirrenden Unterkünften hausen möchte. Sogar die Kinder in Bilibino freuen sich - sie haben ihre Schwimmhalle! Früher brachten hier sechsunddreißig Kesselhäuser Licht und Wärme. Bei ungünstigem Wind stand ein regelrechter Smog über unserer Goldgräbersiedlung. Für den hohen Norden haben Kernkraftwerke durchaus eine Perspektive. Um unsere achtundvierzig Megawatt in einem Kohlewärmekraftwerk zu erzeugen, wären 2,5 Millionen Tonnen Kohle im Jahr nötig. Der Transport einer einzigen Tonne Brennstoff in unsere entlegene Gegend kostet einhundert bis zweihundert Rubel. Den Atombrennstoff aber bringt ein einziges Flugzeug für vier Jahre`. - Wie lange wird German Soldatow - um mit dem Forschungsreisenden Amundsen zu sprechen - noch `Polaroptimist´ bleiben? German Soldatow überlegt: `Wie lange? Solange ich mich jung und gesund genug fühle, den Polarunbilden zu trotzen.´ - Während der Besichtigung der Schaltzentrale, der Reaktorhalle, der Meßkontrollräume... schaue ich in viele Gesichter, aber ein tschuktschisches oder eskimoisches ist nicht dabei. - `Arbeiten denn keine Angehörigen der Urbevölkerung in Ihrem Werk?´ frage ich. - `Doch, ein Tschuktsche: Wladimir Äm. Leider können Sie ihn nicht sprechen, wir haben ihn gerade zur Weiterbildung nach Moskau delegiert.´ - Als ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringe, daß nur ein Einheimischer `Kernkraftwerker´ ist, sagt German Soldatow: `Nur? Sagen Sie besser schon. Noch vor einem halben Jahrhundert hatten die angestammten Bewohner Tschukotkas urgeschichtliche Lebensgewohnheiten.´"

   **** Bessarabien gehörte damals zu Rumänien, und die Sowjetunion war eine östliche Grenze.

 ***** Im Jahr 2003 übernahm der berühmte Sänger Thomas Quasthoff die Schrimherrschaft über die Stiftung "Kinder von Tschernobyl***** des Landes Niedersachsen".

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Am 24.10.2006 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 12.01.2017.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Von Kiew bis Krakow - ein Unglück ist überall ein Unglück.
Sprichwort der Ukrainer

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