Belletristik REZENSIONEN

Literarische Flachmänner?

Deutsche; über das russische St. Petersburg
St. Petersburg
EUROPA ERLESEN, Hrsg. von Lojze Wieser
Wieser Verlag, Klagenfurt 1998, 239 S.

Seit 1997 gibt der Klagenfurter Wieser Verlag die Reihe EUROPA ERLESEN heraus, handliche Anthologien, edel gebunden, mit Lesebändchen und Goldprägung, die mit europäischen Ländern, Städten, Landschaften und Kulturkreisen bekannt machen. Verleger und Herausgeber Lojze Wieser lässt sich von dem Gedanken leiten, dass gerade Literatur helfen kann, Grenzen in den Köpfen zu überwinden.

St. Petersburg - die Stadt wurde von Zar Peter dem Großen 1703 gegründet - gehört zu den ersten "literarischen Flachmännern" (Lojze Wieser). Vermutlich hat keine andere Stadt mit solch kurzer Geschichte  ein derartiges Ausmaß an Literatur über sich selbst hervorgebracht wie St. Petersburg (Petrograd, Leningrad).

Die Anthologie St. Petersburg enthält achtundsiebzig Beiträge auf  zweihundert Seiten. Da ist es selbstverständlich, dass die meisten Originalbeiträge wesentlich gekürzt werden müssen. Ist zum Beispiel der Auszug "Aus der Gerichtsverhandlung gegen den Parasiten Brodskij" für mich eine wahre Entdeckung, so sind die Auszüge aus den "Petersburger Erzählungen" von Nikolaj Gogol eine echte Enttäuschung; "Der Mantel", "Die Nase" - man kann nach dem Lesern der "rabiat" gekürzten Texte keine Ahnung von ihrer Meisterhaftigkeit haben... Da bleibt nur, all diese Kostproben als Anregung zu betrachten und die Erzählungen, Geschichten, Essays, Romane, Tagebücher, Briefe, Gedichte, Poeme, Skizzen, Gespräche, Aufzeichnungen, Reportagen, Erinnerungen, Autobiographien, Feuilletons... in ihrer vollen Länge zu lesen - zumal im Quellenverzeichnis (Warum hier ein zweites Mal die biographischen Angaben der Autoren?) die Titel mit allen wichtigen bibliographischen Angaben genannt sind.

Bestand bei "Tallinn" die Schwierigkeit darin, ausreichend Material für eine Anthologie zu finden, - so dass man auch auf Abenteuerreisende, Seeleute und gänzlich unbekannte Autoren zurückgriff -, so war bei St. Petersburg eher die Auswahl aus einer außerordentlich großen Materialfülle die Herausforderung. Und so sind hier viele namhafte russische Autoren aus mehreren Jahrhunderten mit ihren Texten über St. Petersburg vertreten: Achmatowa, Babel, Belyj, Bitow, Blok, Brodsky, Charms, Chlebnikow, Dostojewskij, Gogol, Gumiljow, Gorki, Majakowski, Mandelstam, Nabokov, Puschkin, Remisow, Rosanow, Solschenizyn, Sostschenko, Alexej Tolstoj, Turgenjew, Tynjanov, Woloschin, Lidia Ginsburg u. a. An nichtrussischen Autoren finden wir u. a. den Polen Mickiewicz, den Italiener Casanova, den Franzosen Diderot, den Engländer Carroll, den Amerikaner Harrison E. Salisbury, die Deutschen Gottfried Benn, Johannes von Guenther, Rainer Maria Rilke, Joseph Roth, Karl Schlögel, Ingo Schulz, Stefan Zweig.

Leider hatte der Fehlerteufel auch vor diesem güldenen Kleinod keinen Respekt, und so stimmt keine einzige Seitenangabe des Inhaltsverzeichnisses.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

Weitere Rezensionen  zum Thema "St. Petersburg":

  • Daniel Biskup (Fotos) / Wiktor Jerofejew (Text), St. Petersburg.
  • Kay Borowski (Hrsg.), Petersburg - die Trennung währt nicht ewig. Eine Stadt im Spiegel ihrer Gedichte.
  • Nikolaj Gogol, Petersburger Geschichten.
  • Gogols Petersburger Jahre, Gogols Briefwechsel mit Aleksandr Puškin (Alexander Puschkin).
  • Christoph Keller, Petersburg erzählt.
  • Edeltraud Maier-Lutz, Flußkreuzfahrten in Russland.
  • Maria Marginter / Fyodor Gawrilow, St. Petersburg. Weiße Nächte, kalte Tage.
  • Sergio Pitol, Die Reise. Ein Besuch Rußlands und seiner Literatur.
  • Thomas Roth, Russisches Tagebuch.
  • Elfie Siegl, Russischer Bilderbogen. Reportagen aus einem unbegreiflichen Land.

Am 29.08.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 26.11.2019.

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