Belletristik REZENSIONEN

Kein Festtag der Liebe

Russe
Anna und der gefallene Engel
Aus dem Russischen von Hans-Joachim Grimm
Kindler Verlag, München 1999, 320 S.

Fest steht: Es gibt lesenswertere Bücher - ohne gleich an Tolstoj, Bulgakow, Bakin... zu denken. Aber einen gewissen Reiz hat auch dieses Buch, geschrieben von einem Physiker, der von 1983 bis 1989 für die UN tätig war und heute für das Moskauer Ministerium für Wissenschaft und Technologie arbeitet. Der Hauptteil des Romans muss Anfang / Mitte der dreißiger Jahre spielen; denn der erste Fünfjahrplan geht seinem Ende entgegen, Gorki feiert sein vierzigjähriges Schriftstellerjubiläum, die Erlöserkathedrale in Moskau wird gesprengt...

Hauptheld des Romans ist Lukarius, ein zu Fall gekommener Engel, der sich unsterblich in die Schauspielerin und Fernsehsprecherin Anna verliebt. Deshnews Roman wird so eine Mischung aus satirischer Darstellung des "Scheißsozialismus" (S. 198) und der Beschreibung von magisch-übernatürlichen Ereignissen, kurz gesagt - im Roman spukt´s. Der kleinere Teil des Buches liest sich ganz amüsant (zum Beispiel die Szene in der Klapsmühle), der größere Teil des Buches ist langatmig-langweilig, obwohl Deshnew nichts auslässt, nicht einmal den technisch ungeheuer aufwendigen Versuch, der Ermordung Stalins, der Stalin dann gar nicht ist... Auf den letzten Seiten des Buches ist aus dem Engel Lukarius der Mensch Lukas geworden, um Anna heiraten zu können. Das muss in den neunziger Jahren sein - Zeit spielt bei Gespenstern ja keine Rolle - denn es gibt keine Parteileitungen mehr. Doch leider ist der "Festtag der Liebe", der mir bis dahin als das eigentliche Thema des Buches erschien, inzwischen auch bei Anna und Lukas zum Alltag verkommen. Was bleibt? Eine neue Liebe! Denn: "Wie schlecht auch immer ein Mensch gelebt und was auch immer er getan haben mag, ihm wird viel verziehen, wenn es in seinem Leben wahre Liebe gegeben hat."

Hoffen wir, dass es bei dem verheirateten frisch gebackenen Schriftsteller Nikolai Deshnew im Leben wahre Liebe gegeben hat - um ihm das anhaltende Gähnen während langer Passagen seines Buches verzeihen zu können. Apropos Bulgakow: Mir scheint, der Verlag stapelt gar zu hoch, wenn er von Anna und der gefallene Engel sagt, dass das Buch in der Tradition von "Der Meister und Margarita" geschrieben ist.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

Weitere Rezensionen zur Person "Stalin":

  • Alexander Askoldow, Heimkehr nach Jerusalem.
  • Alexander Borschtschagowski, Orden für einen Mord. Die Judenverfolgung unter Stalin.
  • Wladislaw Hedeler / Nadja Rosenblum,   940 - Stalins glückliches Jahr.
  • Wladislaw Hedeler, Jossif Stalin oder: Revolution als Verbrechen.
  • Viktor Jerofejew, Der gute Stalin.
  • David King, Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion.
  • Richard Lourie, Stalin. Die geheimen Aufzeichnungen des Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili.
  • Simon Sebag Montefiore, Stalin. Am Hof des roten Zaren.
  • Anatoli Rybakow, Die Kinder vom Arbat.
  • Martha Schad, Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa.
  • Leo Trotzki, Stalin.

Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 20.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Wirf kein Auge auf eine fremde Frau, sonst verlierst du die eigene.
Sprichwort der Russen

 [  zurück  |  drucken  |  nach oben  ]