Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wird laufend bearbeitet!

 

 

Wir sind ESKIMOS: Kinder aus dem Eskimo-Dorf Sireniki.

 

Foto: Detlev Steinberg

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden. 

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

"Nur durch die schmale Beringstraße vom gegenüberliegenden Alaska getrennt, ragt als fast vergessener Zipfel Russlands die Tschuktschen-Halbinsel bis weit über die Datumsgrenze nach Osten. Acht Monate im Jahr ist sie eingeschlossen vom Eis der Beringsee und des arktischen Ozeans. Wer die weite Anreise und die Kälte nicht scheut, den erwartet hier ein grandioses, äußerst exklusives Erlebnis."

www.walkabout-travel.com

 

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, Tschukotka zu bereisen und auch die ESKIMOS kennenzulernen, sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein eskimoisches Sprichwort -

 

Wer nie ein fremdes Land sah ist ein kümmerliches Gräslein am Wegesrand.

 

 

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Die asiatischen Eskimos… (Eigenbezeichnung: Yigyt = Wahrer Mensch)

Kein anderes zahlenmäßig so kleines Volk ist geographisch so weit auf der Welt verbreitet wie die Eskimos. Eskimos leben auf Alaska, auf Grönland, in Nordamerika, in Sibirien. Die Eskimos sind das einzige Volk der Erde, dessen Verbreitungsgebiet sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt zu finden ist. Die asiatischen Eskimos, die in enger Nachbarschaft mit den Tschuktschen leben, haben ihren Namen von den nordamerikanischen Algonikin-Indianern erhalten, die sie "Eskimantsik" nannten - was übersetzt "Roh(fleisch)esser" bedeutet. Die asiatischen Eskimos selbst nennen sich Yigyt, was übersetzt "Wahrer Mensch" heißt. Sie sind - wie die Tschuktschen, Korjaken, Jukagiren ... - ein paläoasiatisches Volk - ohne eigene nationale Staatlichkeit. Die Eskimos leben seit alters nahezu ausnahmslos an der Küste der Tschuktschen-Halbinsel. Tschukotka - zu Russland gehörig - erstreckt sich, diesseits und jenseits des Polarkreises, bis zum äußersten Norden des russischen Fernen Ostens, umspült von den Randmeeren zweier Ozeane, durch die siebzig Kilometer breite Beringstraße von Alaska getrennt.

„Als ich zum ersten Mal die kleinen Völkerschaften des Nordens sah, Eskimos, Tschuktschen, Nenzen, Chanten, da dachte ich: `Mein Gott! Wie sehen sie sich doch alle ähnlich, wenn man sie mit den Augen eines Europäers betrachtet. Dabei sind sie bestimmt ganz unterschiedlich.´ Ich musste erst viele Jahre bei ihnen leben, bis ich diese Unterschiede sah. Äußerlich kann man sie tatsächlich kaum auseinanderhalten, denn in anthropologischer Hinsicht gehören sie alle zum Typ der Mongoloiden. Dazu sind sie alle Rentierzüchter und haben ähnliche Rituale und eine ähnliche Kultur. Aber es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den Völkern der Arktis und den Bewohnern der Taiga. Erstere sind Nomaden, sie können in der nackten Tundra überleben und passen sich ungewöhnlich schnell an Wetteränderungen an. Sie schonen die Natur nicht, denn sie ist ebenfalls gnadenlos zu ihnen. Die Völker der Taiga sind anders. Sie sind mit ihrer Umwelt buchstäblich verwachsen, mit jedem Pfad und jedem Baum. Ihre Welt ist im Gleichgewicht.“

Tatjana Kuschtschewska in: Mein geheimes Rußland, 2000

Warum sich mehr als zehntausend  Jahre vor unserer Zeitrechnung Menschen ausgerechnet in den unwirtlichsten Regionen der Welt ansiedelten, hat bis jetzt noch niemand zu erklären vermocht. Wichen sie anderen, auf dem Kontinent nachdrängenden Völkern aus? Zogen sie auf der Suche nach Jagdwild immer weiter nordwärts? - Von Deutschland aus beträgt die Entfernung bis Tschukotka dreizehntausend Kilometer, der Zeitunterschied zwischen der Tschuktschen-Halbinsel  und Deutschland vierzehn Stunden - das ist der größte Zeitunterschied zwischen Deutschland und Russland.

"Das Land der Tschuktschen [und Eskimos] erinnert eher an den Fieberwahn eines halbbesessenen Phantasten als an ein reelles Stück unseres alten Planeten. Schwarze kahle Steine bedecken die Abhänge der Hunderte Meilen langen Bergketten, das Flachland ist mit Erdhügeln wie die Haut eines Kranken mit bösartigen Beulen bedeckt. Ich bin überzeugt, daß Gott dieses Land während eines Anfalls schwerster Hypochondrie geschaffen und dann vergessen hat. "

Der amerikanischer Pelzhändler Jack Perry, 1914

Bevölkerung: Nach  der  Volkszählung von  1926  zählten die  Eskimos 1 292 Angehörige; 1939  wurden sie nicht gezählt; 1959  waren es 1 111 Eskimos; 1970 gleich 1 265; 1979 gleich 1 460; 1989 gleich 1 704; 2002 gleich 1 750;  nach der letzten Volkszählung von 2010 gaben sich 1 738 Personen als Eskimos aus. - Angestammte Völkerschaften Tschukotkas sind 12 772 Tschuktschen und 1 738 (asiatische) Eskimos (2010). Im Alltag wie in den Riten und Mythen der Eskimos wird ihre hervorragende Anpassung an ihre Umwelt und Natur sichtbar. Das geht bis zu körperlichen Merkmalen wie geringem Bartwuchs (in den Barthaaren würden sich lästige Eiszapfen bilden), schmalen Nasenöffnungen (zum Schutz vor der Kälte) und kürzeren Gliedmaßen (weniger Auskühlung, bessere Durchblutung). -  Infolge des Rückgangs des Goldabbaus hat Tschukotka seit 1989 fast 70 Prozent seiner Einwohner, vor allem Russen, durch Abwanderung nach Zentralrussland eingebüßt. Auch die früher stark vertretenen Zuwanderergruppen der Ukrainer, Belorussen und Tataren sind in Scharen weggezogen. Dennoch sind die indigenen Ethnien, wie in den meisten Gebieten Sibiriens und des Fernen Osten, auch heute noch in der Minderheit.

Fläche: Die Fläche Tschukotkas beträgt 737 700 Quadratkilometer. Tschukotka ist abgelegen und äußerst dünn besiedelt; die Bevölkerungsdichte beträgt 0,07 Einwohner pro Quadratkilometer. Die Oberfläche ist vorwiegend bergig und besitzt  Mittelgebirgscharakter. An den Küsten gibt es mehr oder weniger ausgedehnte Tiefländer (z. B. das Tschaun-Tiefland). Die Bergländer rechnet man zum Ostsibirischen Bergland. Sie umfassen unter anderem den Nordteil des Korjakengebirges, das Anjuigebirge, das Anadyrgebirge bis zur Tschuktschen-Halbinsel, wo im Kap Deschnjew der östlichste Punkt Russlands bzw. Asiens liegt.

Geschichtliches: Die Eskimos haben sich vor etwa viertausend bis fünftausend Jahren in die Region des heutigen Beringmeeres herausgebildet, sich nach Osten hin angesiedelt, bis nach Grönland, das sie lange vor unserer Zeitrechnung erreichten. Die Beringmeerkultur (bis 6. Jahrhundert u. Z.) war gekennzeichnet durch halb unter der Erde liegende Wohnstätten, reich ornamentierte Harpunenspitzen und Haushaltsgegenstände aus Walrosszähnen. Das 6. bis 13. Jahrhundert bezeichnet man als die Punuk-Epoche, gekennzeichnet durch die Herstellung von Steinwaffen. - Die russische Besiedlung begann im 17. Jahrhundert gegen heftigen Widerstand der Tschuktschen, der bis ins frühe 20. Jahrhundert anhielt. Die erste schriftliche Erwähnung der asiatischen Eskimos erfolgte durch den russischen Seefahrer und Pelztierjäger Semjon Deschnjew, der 1648 als erster Europäer die Tschuktschen-Halbinsel umsegelte. Im 17./18. Jahrhundert begannen sich die Eskimos mit den Tschuktschen zu vermischen, bewahrten aber viele ihrer Bräuche und ihre Sprache. - 1741 entdeckten Vitus Bering, dänischer Seeoffizier in russischen Diensten, und Alexej Tschirikow Alaska. 1867 verkaufte der russische Zar Alaska an die USA. - 1822 erfolgte ein russischer Erlass "Über fremdartige und nicht vollkommen abhängige Völkerschaften", woraufhin Eskimos und Tschuktschen keine Steuern zu zahlen brauchen. 1922 siegte auf Tschukotka die Sowjetmacht. - Am 3. November 1957 wurde mit dem kegelförmigen Halbtonner "Sputnik 2" das zweite russische Raumschiff ins All geschossen - an Bord: die Eskimo-Hündin Laika, die sich als besonders dressierfreudig erwiesen hatte.

Für die Eskimo-Hündin Laika, das erste Lebewesen im Weltraum,  wurden zwei Halbkugeln gepresst, zwischen die ein zylindrisches Stück als "kosmischer Hundezwinger" eingeschweißt wurde. In der Kabine gab es für Laika einen Futterbehälter mit Dosierungseinrichtung. Der Hündin wurden Sensoren in den Brustkorb eingepflanzt, um die Herzfunktion zu kontrollieren. Mit Hilfe einer Ledermanschette wurden Puls und Blutdruck ermittelt. Die Eskimo-Hündin vertrug den Aufstieg, bei dem sich Puls- und Atemfrequenz kurzfristig verdreifachten, und die folgende Schwerelosigkeit gut. Sechs Tage lang umkreiste Laika die Erde. Am siebenten Tag waren die Batterien erschöpft, die Zwangsbelüftung fiel aus. Laika starb durch die steigende Hitze. Die Behauptung der sowjetischen Regierung, das Tier sei schmerzlos getötet worden, war eine Lüge. Der Name der Eskimo-Hündin "Laika" ging wie der Begriff "Sputnik" in den Weltwortschatz ein.

 

Das Zitat: Lew Kamenjew (1883 bis 1936, sowjetischer Politiker) und Stalin verband eine alte Freundschaft. Im Dezember 1912 schrieb Stalin an Kamenjew: "Ich grüße dich, mein Freund! Ich reibe meine Nase in einem Eskimokuss an Deiner. Verdammt, ich vermisse Dich wie der Teufel. Ich vermisse dich, das schwöre ich bei meinem Hund!"

Oleg Chlewnjuk (Moskauer Historiker) in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

 

Staatsgefüge: Der Autonome Kreis der Tschuktschen wurde am 10. Dezember 1930 gegründet, er hat 50 526 Einwohner (2010).

Verbannungsgebiet: Pewek ist eine Stadt auf Tschukotka mit 4 162 Einwohnern (2010). Die Stadt liegt an der Nordküste der Halbinsel, 640 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Anadyr; Pewek ist die nördlichste Stadt Russlands. In Pewek befand sich die Verwaltung mehrerer Straflager im System des GUlag. In diesen Lagern waren zeitweilig bis zu elftausend Menschen gleichzeitig inhaftiert. Namentlich bekannt, als einer, der auf Tschukotka verbannt war, ist der Schriftsteller und Autor von neun Büchern, Walerij Jankowskij. Geboren wurde er auf der nach seinem Großvater Michail benannten Halbinsel Jankowskij ganz im Fernen Osten, in der Nähe von Wladiwostok. Der Großvater hatte als Adliger an den polnischen Aufständen teilgenommen, weswegen er vom Zaren 1863 für acht Jahre in die Verbannung nach Sibirien geschickt wurde und seiner Adelsrechte verlustig ging. Er blieb später freiwillig in Sibirien und brachte es zu großem Ansehen als Naturforscher, Geologe, Archäologe und Züchter einer Pferderasse. Da er bereits 1908 verstarb, lernte er seinen Enkel Walerij nicht mehr kennen, doch die Familie sollte nach der Oktoberrevolution schwer dafür büßen, dass Michail Jankowskij dank seiner Verdienste um Forschung und Wissenschaft in den Adelsstand zurückversetzt worden war. 1922 vertrieb man die Familie, die in Korea eine neue Heimat fand. Erst 1946 erinnerte sich die Sowjetunion an die Zwangsemigranten, holte die Familie zurück und zog ihre drei Söhne als Dolmetscher und Übersetzer in die Armee ein. Schon ein Jahr darauf wurde Walerij Jankowskij als “Volksfeind" entlarvt und in den GUlag auf die Halbinsel Tschukotka geschickt. Er unternahm einen misslungenen Fluchtversuch und verschwand für weitere Jahre in Straflagern. Dieses Thema, das ihn zeitlebens nicht mehr losließ, ist Inhalt seines Buches “Die Flucht”, das auch in Japan, Korea und in den USA erschien. Zweiundvierzig Jahre lebte Walerij Jankowskij als Schriftsteller in Wladimir und vertrat bis zuletzt die Rechte anderer GUlag-Opfer. - Viele GUlaghäftlinge, meist politische Gefangene, hausten in Erdhöhlen, bekamen pro Höhle täglich nur ein Brikett zum Heizen und wenig zu essen; die meisten Unglücklichen starben an Erschöpfung, Hunger und Kälte. 1937 war im zentralen Teil der Tschuktschebn-Halbinsel eine bedeutende Lagerstätte von Zinn, Wolfram und Molybdän gefunden worden, mit deren Ausbeutung nach dem zweiten Weltkrieg begonnen wurde. Die dafür nötige 90 Kilometer lange Straße wurde von 1946 bis 1956 von GUlaghäftlingen gebaut.

Hauptstadt: Die Hauptstadt Tschukotkas ist Anadyr, 1889 als Nowo-Mariinsk gegründet, nach der Zarin Marija Alexandrowna (Maria von Hessen-Darmstadt) benannt, der Gattin des Zaren Alexander II. 1923 wurde Nowo-Mariinsk in Anadyr umbenannt - nach dem gleichnamigen Fluss und erhielt 1965 Stadtrecht. 2010 hatte Anadyr 13 045 Einwohner. Diese Hafenstadt befindet sich an der Küste des Beringmeeres an der Mündung des Anadyr-Flusses und hat Verbindung zur Beringstraße.

Wirtschaft: Die Eskimos sind wie eh und je Meerestierjäger, machen Jagd auf den Wal, auf Robben, Walrosse und Pelztiere. Ein wildes Tier zu töten, war in den Augen der Eskimos kein Mord; die Verben morden und töten wurden nur in Verbindung mit Menschen gebraucht. In der Gedankenwelt der Eskimos wurde das Wild nicht getötet, sondern kam spontan zu den Menschen zu Gast, musste aber mit einer Harpune oder einem Speer zur Strecke gebracht werden. Das getötete Wild wurde gebeten, nicht beleidigt zu sein, sondern - die Seele des Tieres bleibt am Leben ! - wieder zu den Jägern zu kommen. - Zentrum der traditionellen Jagd auf Meeressäuger war und ist das Eskimodorf Lorino (hauptsächlich Grauwale sowie Walrösser und Robben) durch die Angehörigen der indigenen Völker.

"Um sicherzustellen, dass auch weiterhin viele Wale kamen, brachten die Eskimos Opfer dar. So schnitten sie kleine Stücke von der Schnauze des Tieres ab und warfen es ins Meer zurück, wenn es ein Seetier war, oder in die Tundra, wenn das Tier von dort kam. Während der Jäger das Opferstückchen in den Ozean warf, gab er seiner Dankbarkeit mit den Worten Ausdruck: `Du bist zu mir gekommen als mein Gast, ich danke dir. Ich gestatte dir jetzt, wieder fortzugehen. Kehre das nächste Mal mit vielen anderen zurück."

G. A. Menowstschikow, Russe, lebte als Lehrer bei den Eskimos, 20. Jahrhundert

- Die Moskauerin E. S. Rubzowa, die ab 1950 lange Zeit unter den asiatischen Eskimos lebte, weil sie die Sprache und Folklore der Eskimos studierte, beschreibt die Empfangszeremonie für den Wal so:

"Der getötete Wal ist ein wichtiger Gast. Er geht nicht zu jedem zu Gast, nur zu dem, den er mag. Der Jäger, der viele Wale getötet hat, genießt weit über seine eigene Siedlung hinaus hohes Ansehen. Da der erlegte Wal der teuerste unter allen Gästen ist, tat der Jäger, der ihn erlegt hatte, sein Möglichstes, ihn würdig zu empfangen. Ein paar Tage lang verließ der Jäger seine Behausung nicht, denn man lässt einen teuren Gast, der einen besucht, nicht allein, um ihn nicht zu kränken."

E. S. Rubzowa, Russin, 20. Jahrhundert

- Neu ist bei den asiatischen Eskimos die Zucht von Blaufüchsen (Seit 1955 existiert in Lorino eine Polarfuchsfarm.), die Geflügelhaltung, die Milchviehzucht. -  Tschukotka ist reich an Zinn, Stein- und Braunkohle, Wolfram, Quecksilber, Erdöl, Blei, Graphit, Gold. Obwohl der Goldabbau seit 1989 zurückgegangen ist, ist er noch immer wichtigster Wirtschaftszweig auf Tschukotka. Die derzeit laufenden Investitionen von „Kinross-Gold“, einer kanadischen Bergbaufirma, sollen wieder zu einem Anstieg der Goldproduktion führen.

 

Verkehr: Heute herrscht auf Tschukotka nicht wie früher Stille, sondern das Geratter aller möglichen Schneefahrzeuge, die das Leben der Eskimos grundlegend verändert haben. - Das Eskimo-Dorf Lorino ist auf dem See- und Luftweg (Hubschrauber) zu erreichen. Über eine mit geländegängigen Fahrzeugen befahrbare Straße ist Lorino mit dem Rajonzentrum Lawrentija verbunden. - Tschukotkas Hauptstadt Anadyr verfügt über einen Flughafen, von dem aus Moskau angeflogen wird.

 

Sprache/Schrift: Die Sprache der Eskimos gehört zu den eskimo-alëutischen Sprachen. 1933 erschien die erste Fibel in eskimoisch, von russischen Wissenschaftlern erarbeitet. Als Schrift dienen die kyrillischen Buchstaben mit Zusatzzeichen. Die zweite Eskimo-Fibel schuf 1975 bereits eine eskimoische Wissenschaftlerin, Ljudmila Ainana, die Schwester der Uchsima (siehe weiter unten den Buchauszug "Bucht der glücklichen Vorsehung"). Die Uchsima: "Unsere Kinder nahmen keine Fibel mehr ernst, in der neben der Meereskohl sammelnden Großmutter nicht ein Gewächshaus zu finden ist; hier musste außer dem Hundeschlitten der Hubschrauber zu sehen sein; hier musste ein Vater auf Robbenjagd, der andere als Ingenieur ins Bilibinoer Kernkraftwerk gehen..." - Die Eskimosprache verfügt über besonders viele Wörter für Schnee, und auch beispielsweise für Riemen, nämlich vierzig an der Zahl: Da gibt es z. B. eine Extra-Vokabel für "Riemen aus der Haut eines jungen Walrosses" und für "Riemen aus der Haut einer bärtigen Robbe" und für "Riemen zum Schleppen eines Walrosses"...

 

            

 

Zwei Seiten aus der Eskimo-Fibel von Ljudmila Iwanowna Ainana.

Reproduktionen aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

„Die besten Schneekenner, die alles über die Geheimnisse des Schnees wissen, sind die Eskimos. Bei uns gibt es für Schnee nur ein einziges Wort, aber sie haben viele Dutzend dafür."

Tatjana Kuschtschewska in: Mein geheimes Russland, 2000

 

Literatursprache/Literatur: Die Literatursprache der asiatischen Eskimos ist Tschuktschisch, Russisch und seit den sechziger Jahren auch Eskimoisch.

"Von den Eskimos war [der Dichter] Juri Anko populär. Er ist aber vor langer Zeit gestorben, noch in den sechziger Jahren. Es wird erzählt, er habe Selbstmord begangen."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in:

Im Spiegel des Vergessens, 2007

Die erste eskimoische Dichterin war Soja Nenljumkina. Sie wurde 1950 in Naukan geboren und studierte am Anadyr-Lehrerkolleg. Sie sendete in ihrer Muttersprache bei „Radio Tschukotka“. 1979 erschien in Magadan ihre erste Gedichtsammlung auf Russisch und Eskimoisch unter dem Titel „Die Vögel von Naukan“. Ebenfalls aus dem Eskimo-Dorf Naukan stammt Tasjan Tein, der dort 1938 zur Welt kam. Er war Lehrer und schrieb Kinderlieder und Kinderbücher. Die eskimoische Dichterin Tatjana Atschirgina aus Anadyr auf Tschukotka lernte ich auf einem Schiff kennen (siehe weiter unten den Buchauszug "Kleines Eskimodorf am großen Ozean"). "Für meine wenigen Landsleute", erzählte sie mir, strahlt der Rundfunk dreimal in der Woche Sendungen in eskimoischer Sprache aus. Diese Sendungen werden auch von den Eskimos in Alaska empfangen."

"Dank der Bemühungen der Missionare hatten die Eskimos in Grönland bereits im 17. Jahrhundert ein Schrifttum bekommen. Auch die Eskimos von Kanada verfügen über ein eigenes Schrifttum, ebenso die Ureinwohner in Alaska. Sie hatten aber nie eigene nationale Schriftsteller und haben sie auch heute nicht. Eine eigene schöngeistige Literatur - diese höchste und vollkommenste Form der Selbstdarstellung einer Nation - besitzen nur die Völker des sowjetischen Nordens."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) 

 Anfang der achtziger Jahre

Bildung: Vor der Revolution von 1917 konnten von den kleinen Völkerschaften des Fernen Ostens nicht einmal zwei Prozent lesen und schreiben. Kein Volk hatte ein eigenes Alphabet. 1927 wurden von russischen Lehrern die ersten Schulen für Eskimos gegründet. 1932 erschien die erste Eskimo-Fibel: erstmals in ihrer Geschichte verfügten die Eskimos über ein Schrifttum. Seit den sechziger Jahren gilt das Analphabetentum unter den asiatischen Eskimos als liquidiert - eine Intelligenz hat sich herausgebildet. 1976 gab es im fernöstlichen in Providenija eine Berufsschule, an der Fahrer von Traktoren und geländegängigen Fahrzeugen sowie Funker ausgebildet wurden, in Ola eine landwirtschaftliche Fachschule,  auf Tschukotka insgesamt 26 Hochschulen und mehr als eintausend weitere Fachschulen mit rund 200 000 Studenten; auf eintausend Einwohner kamen 160 Einwohner mit Hochschulabschluss. Aus Analphabeten waren Lehrer, Geologen, Ärzte... gebildete Meerestierjäger und Rentierzüchter mit Fachschulabschluss geworden.

Kultur/Kunst: Durch Ausgrabungen wurden knöcherne Harpunenspitzen und Pfeilspitzen entdeckt, die in das 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung bis ins 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung zurückreichen, geflügelte Gegenstände (vermutlich Schmuck für die Bugspitzen der Boote), stilisierte Figuren von Menschen und Tieren, Modelle von Kajaks und Baidaras, die mit den Abbildungen von Menschen und Tieren und mit komplizierten Schnitzornamenten geschmückt sind. Unter den charakteristischen Arten der Eskimokunst des 18. bis 20. Jahrhunderts findet man Statuetten aus Walrosszahn, Holzschnitzereien, künstlerische Applikation und Stickereien. - Nahe der Mündung des Flusses Pegtymel, etwa 150 Kilometer östlich von Pewek, wurden in den 1960er Jahren über einhundert steinzeitliche Felszeichnungen  entdeckt, die u.a. Rentierjäger und Boote darstellen. Prof. Dr. Nikolai Dikow - einer der Entdecker der vorgeschichtlichen Felszeichnungen (Petroglyphen) - weilte leider gerade auf Kamtschatka, als wir 1980 Tschukotka bereisten und dem Magadaner Fernöstlichen Zentrum der Akademie der Wissenschaften der UdSSR einen Besuch abstatteten. Seine Frau, die Archäologin Dr. Tamara Dikowa kommentierte statt seiner die Funde: "Diese ersten Denkmäler einer Frühkultur der asiatischen Eskimos wurden auf der Tschuktschen-Halbinsel entdeckt. Nunmehr steht fest, dass schon zu Beginn des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung die hiesige Urbevölkerung das Rentier jagte, und auch die Meerestierjagd ist älter als früher angenommen wurde. "

Eine Sensation jenseits des Polarkreises: Die Entdeckung vorgeschichtlicher Felszeichnungen am Fluss Pegtymel.

Foto aus: Reller Völkerschafts-Archiv

 

"Kürzlich entdeckte eine Expedition unter Leitung meines Mannes", erklärt Frau Dikowa weiter, "am Oberlauf des Flusses Kolyma einen Lagerplatz steinzeitlicher Menschen. Dieser Fund stützt die Hypothese, dass die Entdeckung Amerikas von Asien aus erfolgte. Damals gab es das Beringmeer noch nicht, sondern ein mehr als eintausend Kilometer breiter Landstreifen verband Asien und Amerika. Sowohl die in Amerika entdeckten Felszeichnungen als auch die auf der Tschuktschen-Halbinsel aufgefundenen weisen überraschende Ähnlichkeiten auf. Urmenschen aus Asien überquerten oft in größeren Gruppen die Landenge zwischen Asien und Amerika. Aber erst heute entdeckten Ethnographen und Historiker die Abkömmlinge derer, die vor Jahrtausenden `spurlos verschwunden´ waren. Sie  nämlich - die Sibirier - sind die heutige Stammbevölkerung Nord- und Mittelamerikas."

 - Die Eskimos haben eine eigenständige dekorative angewandte und darstellende Kunst entwickelt, vor allem geschnitzt aus Walrosselfenbein. - Eines der Zentren der Eskimokultur im Nordosten Tschukotkas ist Lorino; regelmäßig finden hier Kulturfestivals statt.

 

 

Eskimoischer Tanz des hohen Nordens.

Linolschnitt von Dmitri Brjuchanow aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Gesundheitswesen: Vor etwa einhundert Jahren starb noch jeder zweite Eskimo an Tuberkulose. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei etwa 35 Jahren, die Säuglingssterblichkeit bei 60 Prozent. Heute ist das Durchschnittsalter auf 63 Jahren gestiegen. Allerdings gibt es in der Gegenwart bei Tschuktschen und Eskimos Krankheiten, die diese Völker früher nicht kannten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Grippe, Masern, Fettsucht... Außerdem machten die Eskimos durch die Weißen Bekanntschaft mit dem Alkohol...

"Neulich war ich in Nowo-Tschaplino, einer Eskimosiedlung unweit der Prowidenija-Bucht. Der Tag meiner Ankunft fiel gerade auf eine Samstags-Sauferei. Du weißt, ich bin kein Abstinenzler, aber das hat sogar mich getroffen. Nicht nur die Erwachsenen, selbst die Kinder waren betrunken! Manchmal kam es mir so vor, als würden sogar die Hunde taumeln... Ich bin ins Internat gegangen, da hat sich ein Erzieher auf dem Boden gewälzt, und die kleinen Kinder sind lachend über ihn hinweggehüpft!"

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Unna, 1997

Klima: Das Klima ist auf Tschukotka extrem kontinental. Die Jahresdurchschnittstemperaturen liegen zwischen minus 5 und minus 10 Grad. Der Winter beginnt im September und endet im Mai. Wärmster Monat ist der Juli mit etwa plus 9 Grad, kältester der Januar mit minus 25 Grad; Tiefsttemperaturen bis zu 62 Grad sind möglich. Stürme treten zu jeder Jahreszeit auf und erreichen oft Orkanstärke. Seiner Stürme wegen gilt Tschukotka als die unwirtlichste Gegend ganz Russlands. Die Vegetationsperiode beträgt nur etwa zehn Wochen. 42 Tage lang herrscht rund um die Uhr Dunkelheit: Polarnacht. Die Sommer sind kurz, kühl, wind-, nebel- und regenreich, die Winter lang, kalt und schneereich. - Nur bei Südwind ist es ratsam auf dem Eis zu jagen, weil dann der Wind den sich eventuell lösenden Eisblock wieder an die feste Eisdecke oder an das Ufer heran treibt. - Bei der Beurteilung des Wetters oder günstiger Jagdbedingungen orientieren sich die Eskimos seit eh und je am Verhalten der Vögel. Wenn beispielsweise bei anhaltendem Südwind die Wildenten auf dem Wasser bleiben oder mit dem Wind fliegen, so heißt das - es kommt Sturm.

„Gerade im hohen Norden zeigt sich, wie verheerend die Auswirkungen des Klimawandels sein können. Nördlich des Polarkreises leben mehr als dreißig [etwa vierzig] indigene Völker – viele davon in Sibirien – von der Jagd, der Rentierhaltung, vom Fischfang und vom Sammeln. Über Jahrhunderte konnten sie ihre Lebensweise den sich wandelnden Umweltbedingungen anpassen. Jetzt droht den rund vierhunderttausend Ureinwohnern die Vernichtung ihres arktischen Lebensraums. Denn hier vollzieht sich der Klimawandel, der in erster Linie in den Industriestaaten verursacht wird, zwei- bis dreimal schneller als im globalen Durchschnitt. Höhere Temperaturen lassen das ewige Eis schmelzen und verändern die Lebensbedingungen für Mensch und Natur. Die Folgen: Die Ureinwohner müssen zusehen, wie ihre Jagdbeute ausstirbt und wichtige Pflanzen nicht mehr wachsen. Die schützende Schneedecke schmilzt zu früh, so dass die Rentiere nur noch verkümmertes Rentiermoos vorfinden. Menschen sterben, weil vertraute Wege auf dünnerer Eisdecke nicht mehr sicher sind. Ganze Dörfer mussten schon aufgrund von Küstenerosion und Stürmen umgesiedelt werden.“

Verein pro Sibiria e. V., München, 2007

Natur/Umwelt: Tschukotka liegt fast vollständig nördlich der Baumgrenze und ist großenteils von Tundra bedeckt; zu drei Vierteln ist der Dauerfrostboden von Tschukotka zum Teil mit versumpfter Tundra bedeckt. In den höheren Bergregionen geht die Tundra in eine Frostschuttwüste über. Durch die zum großen Teil gebirgige Landschaft mit zahlreichen Hochplateaus fließen viele Flüsse.

In den letzten Jahrzehnten fand der Schutz der Walrosse praktischen Ausdruck auch in der Staatspolitik jener Länder, die Arktisanrainer sind, und der Grundstein dazu wurde durch die Sowjetunion gelegt. Seit 1965 ist in der sowjetischen Arktis die staatlich betriebene Walroßjagd gänzlich eingestellt; Walrosse dürfen - in begrenzter Zahl - nur noch von der im Norden ansässigen Bevölkerung für deren eigene Bedürfnisse erlegt werden."

Sawwa Uspenksi in: Tiere in Eis und Schnee, 1983

Pflanzen- und Tierwelt: Wenn der ewige Frostboden im Sommer einige Zentimeter auftaut, bringt er die farbenprächtigsten Blumen hervor. In der Illustrierten FREIE WELT veröffentlichte ich nach unserer Tschukotka-Reise eine Rücktitelserie "Auf Eis Erblühtes". Rosa Weideröschen blühen, gelbes Flohkraut, weißes Wollgras... und: es wachsen knöchelhohe Zwergbirken. Lediglich in den südlichsten Gebieten Tschukotkas findet man in geschützten Lagen niedrig wachsende Bäume. - Im eskimoischen Sommer kommen Zugvögel aus dem Süden, die auf Tschukota ihre Jungen ausbrüten; ferner gibt es auf der Tschuktschen-Halbinsel Schneeammern, Regenpfeifer, Wasserläufer, Raubmöwen, Wildgänse. Die bekanntesten Tiere auf Tschukotka sind Robben, Wale,  Eisbären, Polarfüchse  Rentiere und --- Stechmücken.

 

Der Polarfuchs, auch Eisfuchs, wechselt seine Farbe entsprechend der Jahreszeiten.

Zeichnung von R. Zieger aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

"Das Winterfell des Rentieres ist  ungewöhnlich dicht, es besteht aus langen Grannen, die mit Luft gefüllt und daher sehr brüchig sind, und der feinen gelockten Unterwolle, in der sich ebenfalls die Luft hält. Das Ren ist also in eine Art `Doppelpelz´ gekleidet. Seine Wolle ist so dicht, daß sie winterundurchlässig ist, und die große Menge Luft darin verleiht dem Ren eine ausgezeichnete Schwimmfähigkeit. Deshalb bereitet ihm die Überwindung breiter Flüsse keine Schwierigkeiten. Es muss noch hinzugefügt werden, daß beim Rentier der gesamte Körper einschließlich der Maulspitze mit Wolle bedeckt ist, während bei den meisten Hirschen die Nase unbehaart ist. "

Sawwa Uspenski in: Tiere in Eis und Schnee, 1983

 

 

 

Behausungen: Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Halberdhütte der Eskimos durch die Tschuktschen-Jaranga, die die Eskimos "Myntygak nennen, abgelöst. Gegenwärtig leben die Eskimos auch schon in festen Häusern, die meisten bevorzugen aber auch heute noch die Jaranga.

                       

Eine Jaranga: Die traditionelle Wohnstätte der Eskimos und nomadisierenden Rentier-Tschuktschen; die asiatischen Eskimos bauten keine Iglus.

Zeichnungen aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

"Rippen und Kiefer von Walen dienten als Dachgebinde in Jarangas und den zur Hälfte in die Erde hineingebauten Behausungen der Eskimos und Tschuktschen. Reste solcher Erdhütten (ihre Bezeichnung in der Sprache der Tschuktschen lautet `walkaran" , das heißt `Haus aus dem Kiefer des Wals´) kann man auf der Tschuktschen-Halbinsel  und in Alaska finden."

Sawwa Uspenski in: Tiere in Eis und Schnee, 1983

 

Ernährung: Asiatische Eskimos und Küsten-Tschuktschen waren die ersten Walfänger der Welt. Heute ist ihre nationale Küche noch undenkbar ohne Walfleisch. Doch die Jugend bevorzugt heute schon Eier in Mayonnaise und Spiegeleier - mit Bratkartoffeln. In vielen Gegenden Tschukotkas gibt es Treibhäuser, so dass frisches Gemüse schon keine Seltenheit mehr ist. Auch eine Milchviehwirtschaft hat sich entwickelt. - Weltweit gilt längst Rentierfleisch als Delikatesse und wird in Russland für achthundert Rubel (etwa zwanzig Euro) pro Kilo verkauft.

 Aufteilung eines Walrosses unter fünfzehn Jäger. Ein eskimoisches Sprichwort lautet: Beim Aufteilen des Fleisches ist für Zorn kein Platz.

Zeichnung: aus Rellers Völkerschafts-Archiv

 

"Verwendet wurde auch das Fleisch vom Eisbären, wenngleich das Bärenfett, dem ein auffälliger Trangeruch anhaftet, nicht jedermanns Geschmack ist. Ungenießbar ist lediglich die Leber. Sowohl Eskimos wie auch Tschuktschen und Nenzen warfen diese, wenn sie ein Tier aufbrachen, gewöhnlich ins Meer oder vergruben sie. Nicht nur, daß sie selbst die Leber nicht aßen, sie gaben auch acht, daß ihre Hunde sie nicht bekamen. Neulinge in der Arktis, die Eisbärenleber probierten, bezahlten ihre Fahrlässigkeit mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen, mitunter sogar mit dem Leben. Heute ist bekannt, daß die Leber des Eisbären eine ungeheure Menge Vitamin A enthält. Wenige Gramm Leber decken den Jahresbedarf eines Menschen, und in größerer Menge genossen, ruft sie eine akute Hypervitaminose hervor, die einer Vergiftung gleichkommt."

Sawwa Uspenski in: Tiere in Eis und Schnee, 1983

Kleidung: Faszinierend ist die Nationalkleidung der Tschuktschen und asiatischen Eskimos aus Rentier- und Robbenfell. Besonders schön ist die bestickte Kleidung der Frauen. Eine Kamlejka ist ein Umhang aus Stoff mit Kapuze und Bauchtasche, den man über die Kuchljanka zieht, um deren Fell vor Schnee und Feuchtigkeit zu schützen. Die Kuchljanka ist ein knielanges Kleidungsstück aus Fell mit Kapuze. Kuchljankas wie auch andere Kleidungsstücke für Frauen unterscheiden sich von denen der Männer durch verschiedene Verzierungen, und statt der gesonderten Fellhose der Männer tragen die Frauen zur Kuchljanka eine Kombination mit großem Brustausschnitt, um beim Arbeiten die Arme ganz frei machen zu können. - Der Kherker ist eine sehr weite Kombination aus Fellen (Hose und Oberteil zusammengenäht) mit sehr breitem pelzbesetzten Kragen; eine typische Frauenkleidung.

Folklore: Die asiatischen Eskimos besitzen viele Märchen und Mythen. Die ersten Aufzeichnungen wurden 1901 von W. G. Bogoras vorgenommen. Die Originale der handschriftlichen Aufzeichnungen von Bogoras´ Eskimofolklore werden im Archiv der Akademie der Wissenschaften in Leningrad aufbewahrt.

Wladimir Bogoras (1865 bis 1936) war ein russischer Revolutionär und Völkerkundler, der sich während seines Studiums in St. Petersburg den Volkstümlern angeschlossen hatte. Er wurde verhaftet und zehn Jahre nach Kolyma in Nordostsibirien verbannt. Er studierte dort Folkloristik, Ethnographie und Sprachen und durfte an der Jakutischen Expedition der Russischen Geographischen Gesellschaft (1894-1897) teilnehmen und anschließend nach St. Petersburg zurückkehren. Er war nach der Oktoberrevolution Mitarbeiter des Museums für Anthropologie und Ethnographie und Dozent an der Leningrader Hochschule. Er ist Begründer des Herzen-Instituts für die Völker des Nordens. Seine „Erzählungen von der Tschuktschen-Halbinsel“ (1899) erschienen auch auf Deutsch.

Feste/Bräuche: Eine Vorstellung der Eskimos war, dass der Mensch durch Familienbande mit einem Tier oder auch einem leblosen Gegenstand verbunden ist. Und so wurde jährlich ein Fest zu Ehren einer solchen Familiengottheit veranstaltet. - Die im Frühling erlegten Wale wurden im Herbst feierlich verabschiedet, während die im Herbst erbeuteten im Frühling Abschiedsfest hatten. Bis zu dieser Zeit bemühten sich die Eskimos auf jede Weise, dem Wal gefällig zu sein. Der Jäger, der ihn erlegt hatte, durfte mit niemandem einen Streit anfangen und auch keine Bitte ablehnen. - Als heilige Wesen galten bei den asiatischen Eskimos auch der Rabe und die Spinne. Beide stellten das Alter und die Weisheit dar, sie zu töten war tabu. Die asiatischen Eskimos glaubten fest daran, dass die Spinne ein Leben führe wie der Mensch. Zum Beispiel weil sie ein Netz spinnt, mit dem sie sich ihr Futter fängt. Auch die Seeschwalbe wurde als heiliges Wesen angesehen und durfte deshalb nicht gejagt werden. - Der Glaube, dass die Seelen der Toten in der Ober- und Unterwelt ihr Leben weiterführen, um als Kinder auf die Welt zurückzukehren, spiegelt sich in dem Brauch, Neugeborenen die Namen von Toten zu geben. Ein Kind, das den Namen eines Verstorbenen bekommen hatte, sollte versuchen, alle guten Eigenschaften seines Namensgebers zu erwerben. - Am Tage einer Beerdigung vermieden es die asiatischen Eskimos, Knoten zu knüpfen, zu nähen und Dinge mit Riemen zu befestigen, weil die Enden der Fäden oder der Riemen die Seele des Toten zurückziehen und die Krankheit an die Unterkunft binden könnten. - Starb eine Frau, wurde fünf Tage streng getrauert, bei einem Mann nur vier Tage! - Der bei den Eskimos praktizierte Frauentausch ist nicht als ungezügelte Sexlust anzusehen, sondern er bewirkte eine Fortpflanzung der Rasse ohne Rücksicht auf partnerschaftliche Bindungen. - Und die Sterbehilfe bei den Alten und Gebrechlichen? Und die Kindstötung, vor allem von Mädchen? Die Eskimos waren in so manchen Hungerjahren gezwungen, unnütze Esser zu töten... Überdies leben die Verstorbenen nach dem Glauben der Eskimos in den nach ihnen benannten Nachfahren weiter, werden durch sie sozusagen wiedergeboren. - Unter den Bedingungen der Gentilgesellschaft hatten die Sitten und Bräuche oft keine rationelle Erklärung. Bekannt war nur, dass diese Sitten und Bräuche von den Vorfahren ausgeübt wurden und ihre Nachkommen dies genauso strikt tun mussten.

"Alle Eskimos wußten ausgezeichnet, was in jedem gegebenen Fall zu tun sei, aber jede meiner Fragen `warum´? blieb ohne Antwort. (...) unsere Vorfahren rüsteten sich mit den Alltagsregeln aus, die durch die Erfahrungen und die Weisheit der Generationen ausgearbeitet wurden. Wir wissen nicht wie, wir erraten nicht warum, aber wir folgen diesen Regeln, damit wir ruhig leben können. Und wir sind so unbewandert, ungeachtet all unserer Beschwörer, daß wir alles fürchten, was wir nicht kennen... Deshalb halten wir uns an unsere Sitten und halten unsere Tabus ein."

Knud Rasmussen (grönländisch-dänischer Polarforscher und Ethnologe, 1879 bis 1933)

Religion: Die Eskimos sind schamanische Animisten. Standen sie Naturphänomenen gegenüber, die über ihr Begriffsvermögen oder über ihre Erfahrungen hinausgingen, so beseelten sie sie und schrieben ihnen übernatürliche Kräfte zu. Im wunderbaren Flimmern des Nordlichts zum Beispiel sahen sie die Seelen toter Kinder, die im Himmel Ball spielten. - Sie glaubten an verschiedene böse und gute Geister und an Herrengeister des Meeres und der Tundra. Die guten Geister waren meist Tiere und Vögel, die bösen phantastisch geformte Wesen. Die asiatischen Eskimos statteten Naturkräfte und auch Gegenstände ihrer Umgebung mit menschlichen Eigenschaften aus. Nach den animistischen Vorstellungen der Eskimos hatten Gegenstände und Erscheinungen eine Seele und konnten infolgedessen denken und handeln wie Menschen. Und: Ein Schamane konnte auf die Natur und auf seine Mitmenschen Einfluss nehmen, Tod und Krankheit, Wind und Sturm besiegen... Der Mittler zwischen den Geistern und den Menschen war der Schamane, der mit Hilfe von Zauberhandlungen mit den Geistern verkehren konnte. Der Schamane musste über ansehnliches Wissen, große Geschicklichkeit und Erfahrung verfügen, um die Anwesenden Glauben zu machen, dass er mit den Geistern verkehre. Bei den asiatischen Eskimos konnte nur derjenige Schamane werden, der schlafend oder wachend den Ruf seines "Abbilds" oder "Helfers" vernommen hatte (in der Eskimosprache jugwa = sein Mensch, sein Herr). Der Schamane hatte einen riesigen Einfluss auf seine Umgebung. Die Eskimos glaubten, dass mit seiner Hilfe Krankheiten ferngehalten, Jäger, die sich in der Tundra verirrt hatten oder auf Eisblöcken abgetrieben worden waren, zurückgeführt werden könnten, dass der Schamane imstande sei, gutes Wetter auf dem Meer zu sichern und bei erfolglosen Jagden das Wild herbeizubringen... Um diese Ansprüche zu erfüllen, begann der Schamane seine dramatisierte Vorführung. Doch die Zeremonien blieben erfolglos, solange der Schamane seine Geschenke nicht bekommen hatte. Der Kranke konnte nur wieder gesund werden, wenn er selbst oder seine Verwandten dem Schamanen ein ordentliches Geschenk brachten - in Form von Fellen, Fleisch, Fett oder Kleidung. - 1980 wird von sowjetischen Wissenschaftlern auf der unbewohnten Insel Ittygran - im Beringmeer, nahe der Tschuktschen-Halbinsel - eine große Kultstätte entdeckt: In strenger Ordnung ausgelegte Schädel von Grönlandwalen und in die Erde gerammte fünf Meter lange Kiefer der Tiere bilden eine eigenartige Allee, die zu ringförmigen Steinmauern, möglicherweise Opferstätten, führt. Für die Anlage waren die Knochen von siebzig Walen notwendig; der Charakter des Baus und seine Ausmaße (600 Meter lang, 200 Meter breit) finden im gesamten arktischen Gebiet der Erde nicht seinesgleichen.

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind: Nach einem beständigen Abwärtstrend der 1990er Jahre entwickelten sich nach der Jahrtausendwende einige neue Einrichtungen, unter anderem eine Farm für Legehennen, dessen Produktion bei etwa achttausend Eiern pro Jahr liegt. - 2001 wurde ein Erdgasfeld erschlossen mit dem Anadyr durch eine 2002 eröffnete Pipeline verbunden ist. Im selben Jahr wurde das neue Gebäude des Regionalparlamentes fertig gestellt, das vorhandene "Hotel Tschukotka" wurde renoviert und ein weiteres in Auftrag gegeben.

„Eine staatliche Fischfang-Quote wurde nun erstmalig für die Ureinwohner von Tschukotka eingeführt, meldete die Nachrichtenagentur „Dwina-Inform“. Die neue Regelung erlaubt den Tschuktschen und Eskimos, die den indigenen Völkern angehören, künftig nur noch den Fang von zehn bis 14 Lachse pro Person und Jahr. Insgesamt dürfen jedoch nicht mehr als 1 000 Tonnen Lachs in diesem Jahr gefischt werden, um den Bestand nicht zu gefährden: 225 Tonnen sind für die kommerzielle Fischverarbeitung vorgesehen, 620 Tonnen für wissenschaftliche Forschungszwecke, 75 Tonnen für private Angler und 219 Tonnen für die Ureinwohner. Letztere machen rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung Tschukotkas aus. Die festgelegte Quote ist zu wenig für Völker, die sich traditionell von Lachs ernähren…“

Moskauer Deutsche Zeitung vom 30. Juni 2004

Nach dem Rücktritt des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch wurde sein bisheriger Stellvertreter, der Russe Roman Kopin (geboren 1974 in Kostroma), 2008 zum Gouverneur von Tschukotka gewählt; Kopin ist verheiratet und hat einen Sohn.

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland: Gibt es überhaupt Kontakte zwischen den asiatischen Eskimos und Deutschland? Bis jetzt bin ich in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf Reisen von Deutschland nach Tschukotka gestoßen, und: Erstaunlich viele Deutsche legen sich einen Eskimo-Hund, einen Husky, zu - ohne zu bedenken, dass ein solcher Hund sehr viel Auslauf braucht und - nicht alleine sein kann. Wird er alleine gelassen, veranstaltet er ein Heulkonzert vom Feinsten... - In Bayern kann ein eskimoischer Wintertraum wahr werden: Eine Hundeschlittenfahrt mit acht sibirischen Huskies. Ein Husky ist in der Lage das Neunfache seines eigenen Körpergewichts zu ziehen, und ist so unter anderem ein überlebenswichtiges Nutztier und Familienmitglied der Eskimos. Die Schlittenhunde der Eskimos besitzen einen ausgezeichneten Orientierungssinn, durch den sie nie von bekannten Wegen abkommen, selbst wenn diese durch die dicke Schneedecke nicht mehr sichtbar sind. Bei Husky-Trekking oder einem Husky-Wochenende - zum Beispiel in Bayern - kann man auf Tuchfühlung mit den schlauen Vierbeinern gehen... - Interessant die ins Deutsche eingegangene Redewendung "Das haut den stärksten Eskimo vom Schlitten" für "Das ist unfassbar... ein tolles Ding". Wie ist diese Redewendung in unseren Sprachgebrauch gelangt? Übrigens auch die bei uns so gebräuchlichen Wörter wie Parka, Anorak und Kajak stammen aus der Eskimosprache.

 

Interessant, zu wissen..., dass alle heutigen Schlittenhunde von den sibirischen Eskimo-Huskys abstammen.

 

Die Herkunft des Namens „Husky" könnte eine Ableitung von dem Namen ESKIMO sein - als Verstümmelung des Slangwortes „Esky“. Die Geschichte der Huskys lässt sich mehr als viertausend Jahre zurückverfolgen. Die eigentliche Zucht der Rasse soll nach Ansicht vieler Historiker vor etwa dreitausend Jahren begonnen haben, als das Volk der Eskimos (und Tschuktschen) planvoll in die natürliche Vermehrung ihrer Schlittenhunde eingriff: Entscheidend war die Fähigkeit eines Hundes, unter härtesten Bedingungen überleben und arbeiten zu können. Der sibirische Pelzhändler William Goosak brachte 1908 Huskys nach Alaska und erntete Spott für seine im Vergleich zu den dortigen Hunden kleinen, zierlichen Tiere. Allerdings verschlug es den Spöttern die Sprache, als Goosak mit seinen „sibirischen Ratten“ auf Anhieb den dritten Platz bei dem bekannten historischen Rennen „All Alaskan Sweepstake“ errang. Im Jahr 1910 belegten Siberian-Husky-Gespanne den ersten, zweiten und vierten Platz. Zu denen, die von den schnellen und ausdauernden Hunden begeistert waren, gehörte auch Leonhard Seppala. Er wurde fünfzehn Jahre später mit seinem Leithund Togo berühmt für seine Rolle beim Staffettentransport des Diphterie-Serums per Hundeschlitten von Nenana nach Nome, mit dem 1925 die Ausbreitung einer Epidemie verhindert werden konnte.

 

 Heimat ist da, wo der Wal bläst.

Sprichwort der Eskimos

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

 

Hier fünfzehn eskimoische Sprichwörter:

 

(Bisher Unveröffentlicht)

 

Wenn ein Gast zu dir kommt, zerhack einen Pflock deiner Jaranga, damit sich der Gast wärmen kann.

Die Möwen leben mit den Möwen, die Raben mit den Raben, und auch das Walross lebt mit seinesgleichen.

Güte ist genauso wichtig wie Beine, Nase oder Kopf.

Teile mit einem Hungrigen alles, was du besitzt.

Wer versucht, nach fremden Sitten zu leben, ist wie eine Ente, die zu krächzen anfängt.

Kein Volk ist umsonst auf der Welt.

Wer seinen Namen verliert, hört auf, ein Mensch zu sein.

Der Mann ist immer der Jäger, den eine Frau aus ihm macht.

Eine zweite Frau findet ein Mann immer, eine zweite Mutter nie.

Den Söhnen muss man viel freien Willen lassen.

Die Alten schauen lieber nach unten als nach oben.

Nur geizige und schlechte Menschen weinen toten Dingen nach.

Der Hüter der Weisheit kann nur der Kopf sein. 

Den Herzschlag kann man nicht selbst bestimmen.

Mit einem Bleistift kann man nicht auf Robbenjagd gehen, mit der Feder keinen Wahl harpunieren.

 

Gesammelt, aus dem Russischen übersetzt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

Zitate: "Es gibt auf der Welt ein Land, dem nur drei Monate Sommer ist, die übrige Zeit ist Winter. (...) In dem Land leben Menschen; sie heißen Eskimos. Diese Menschen haben eine eigene Sprache, andere Sprachen verstehensie nicht, und sie reisen nie in andere Länder. (...) Die Eskimos nähren sich von Rentieren, Wölfen und Eisbären. Mit Angelhaken, die sie an Stöcken befestigen, und mit Netzen fangen sie im Meer Fische. Wilde Tiere erlegen sie mit Pfeil und Bogen und mit Spießen. Die Eskimos essen wie die Tiere rohes Fleisch. Sie haben weder Flachs noch Hanf, um Hemden oder Stricke, und auch keine Wolle, um Tuch herzustellen. Stricke machen sie aus Tiersehnen und Kleider aus Tierfellen. Sie legen zwei Häute mit dem Fell nach außen aufeinander, bohren mit Fischgräten Löcher hinein und nähe sie mit Sehen zusammen. Genauso fertigen sie Hemden, Hosen und Stiefel. Eisen haben sie auch nicht. Spieße und Pfeile schnitzen sie auch Knochen. Am liebsten essen sie Tierfett und Fischtran..."

"Lew Tolstoi in: Das neue Alphabet, geschrieben für den Schulgebrauch, 1875

*

"Die Hauptbeschäftigung der Eskimos ist der Fischfang und sie besitzen viel nautische Geschicklichkeit. Der Schädel ist groß, das Gesicht breit mit vorragenden Backenknochen, kleinen schiefen Augen. Füße und Hände sind klein, Brust und Schultern breit und stark; das Haupthaar schwarz und straff, Bartwuchs spärlich. Ihr Temperament kann als singuinisch-phlegmatisch bezeichnet werden; sie sind immer aufgeräumt, aber nicht ausschweifend, und unbekümmert um die Zukunft."

Geographisches Handbuch zu Andree´s Handatlas, herausgegeben von Richard Andree, 1882

*

"Wenn sich das Boot auf Wurfweite dem Land genähert hatte, schnitt man große Scheiben aus der leckeren Walhaut. Die Kinder stellten sich auf, die Knaben für sich und die Mädchen für sich, und dann wurde ihnen die Walhaut zugeworfen. Es kam darauf an, wer sie zuerst schnappte, und wer sie zuerst verschlang; denn die Seele des Wales sieht es gerne, wenn die Menschen darum wetteifern, wer ihn zuerst verzehrt. (...)Es waren sibirische Eskimo vom Ostkap, die sich von einer Handelsreise auf dem Heimweg befanden. Unsere Begegnung mit diesen kühnen Seeleuten war hastig und abenteuerlich, deshalb war ich mehr denn je darauf erpicht, sie in ihrem eigenen Lande kennenzulernen. (...) Gegen Mittag lichtet sich der Nebel, und wir erblicken eine rauhe, schneebedeckte Gebirgslandschaft, die steil aus dem Meere aufragt. Einsamkeit strahlt von diesen Klippen aus, und man empfindet unwillkürlich, dass hier ein Erdteil aufhört. Man sieht gleich, daß man unter fremden Menschen ist. Es sind übrigens eigentümliche Typen, ernste Menschen, die, nach ihrem Gesichtsausdruckzu urteilen, mich anscheinend für einen gefährlichen Gefangenen halten. Sie machen einen primitiven und verkommenen Eindruck. Halbnackte Frauen kommen langsam aus den großen, kuppelförmigen Zelten aus Walroßhäuten und starren neugierig auf das Wesen, das zum Gouverneur gebracht werden soll. Sie sind es gewöhnt, daß Leute aus diesen Gegenden fortgeführt werden, um niemals wieder zurückzukehren."

Knud Rasmussen(1879 bis 1933) in: Thulefahrt, 1921/1923

*

"Das Kajak [der Eskimos] ist das idealste Fischerboot, das man sich nur irgend vorstellen kann, leicht und zierlich, aus pergamentähnlicher Seehundhaut hergestellt und durch ein System von dünnen Knochenstäbchen so versteift wie etwa ein ausgespannter Regenschirm; das ganze ist in allen Einzelheiten so vollendet schön, daß man es gleichzeitig mit einem kunstvollen alten Pergamentband und mit einem modernen Auto oder einem Motorboot vergleichen könnte."

Felix von Luschan in: Völker, Rassen Sprachen, 1927

*

“Ein Eskimo lief fort und brachte noch einige Nachbarn mit, denen er zeigte, wie viel Fische ich in so kurzer Zeit aufs Eis befördert hatte. Die Eskimos glotzten mich an. Plötzlich faßten sie sich an den Händen und begannen einen Freudentanz um mich herum aufzuführen und zu hopsen. Ich stand mitten unter ihnen und fühlte mich vor Freude und Rührung überwältigt.“

Jan Welzl, in: Ein Leben in der Arktis, 1930

*

"Der Erfolg einer Jagd und oft auch das Leben des Jägers hingen vom Wetter vom Zustand des Eises, von den Seeströmungen und von vielen anderen ähnlichen Naturerscheinungen ab. Infolgedessen musste der arktische Mensch ein scharfer Beobachter sein, der in seinem Gedächtnis zahlreiche nützliche und praktische Erfahrungen aufbewahrte. - Noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts glaubten die Eskimos an Amulette die sie alle tragen und die aus Gegenständen bestehen, die in der einen oder anderenWeise mit Tieren oder Menschen zusammenhängen... Sie tragen sie ihr ganzes Leben lang. Außer den Amuletten, die die Menschen vor Krankheiten und anderen leiden schützen und Jagdglück bringen sollten, nahmen die Beschwörungen der Schamanen einen einen wichtigen Platz im religiösen Leben der asiatischen Eskimos ein."

G. A. Menowstschikow, Leningrad, in: Glaubenswelt und Folklore

der sibirischen Völker, 1956

*

"Die anspruchslosen Eskimos, die die grausamsten Schläge der Natur auf sich nahmen, wussten hervorragende moralische Eigenschaften, Kühnheit, Ehrlichkeit, gegenseitigen freundschaftlichen Beistand... zu entwickeln. Hier entstand zum Schutz vor der Kälte wunderschönePelzkleidung, die besonders dank ihrer Leichtigkeit für weite Wanderungen und für die Arbeit bei 50 bis 60 Grad Frost gut geeignet ist. Die asiatischen Eskimos erfanden auch Skier von Ellipsenform, Schutzbrillen gegen die blendenden Schnee und Harpunen für die Waljagd.Ein ganz erstaunliches Völkchen."

Dr. Tamara Dikowa, Archäologin, 1980

*

"Den Zusammenbruch ihrer Ideale hat die sowjetische Eskimofrau Uxima [Uchsima, siehe Buchauszug "Bucht der glücklichen Vorsehung] nicht mehr erlebt. Sie, die einen Russen heiratete und im Leben eine engagierte Kommunistin war, wird noch mit sozialistischem Pomp zu Grabe getragen... Ihr Volk nimmt von `einer großen Lehrerin und Patriotin Abschied´, die Eskimotraditionen mit dem sozialistischen Zeitgeist versöhnen wollte. (...) Fast tot sind die alte Sprache, die traditionellen Jagdgewohnheiten, die Fähigkeit, Häuser und Boote aus Fellen zu bauen, und die kulturellen Riten. Die Vergangenheit hat lediglich in einigen folkloristischen Nischen überlebt..."

"Frankfurter Rundschau" vom 18. März 1994

 

Als Reporterin der Illustrierten FREIE WELT bereiste ich 1980 Tschukotka. In meinem Buch „Diesseits und jenseits des Polarkreises“, 256 Seiten, mit zahlreichen Fotos, 1985 im Verlag Neues Leben, Berlin, erschienen, habe ich über die Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen ESKIMOS geschrieben.

 

 

         

 

 

Bucht der glücklichen Vorsehung (LESEPROBE aus „Diesseits und jenseits des Polarkreises)

 

„Wenn ein Eskimo oder Tschuktsche nicht tanzen konnte, so wurde die Kunde von diesem komischen Kauz über Generationen weitergegeben. Bei allen Völkern, die keine eigene Schriftsprache hatten, war der Tanz stärkstes Ausdrucksmittel ihrer Gedanken und Gefühle. In Anadyr hatte uns das Tschuktschen-Eskimo-Ensemble `Ergyron´ (`Morgenröte´) Jahrhundertealtes und Nachrevolutionäres vorgetanzt. Wir sahen `Kampf zweier Rentiere´, `Fuchs und Jäger´, `Unterhaltung mit einem Wal´, aber auch `Bauleute´, `Das Telefongespräch´, `Die erste Glühlampe´, `Der Pilot Petrenka kam geflogen´.

 

Mitglieder des tschuktschisch-eskimoischen Tanzensembles "Ergyron" ("Morgenröte").

Foto: Detlev Steinberg

An den Tanz `Der Pilot Petrenka kam geflogen´ werde ich auf unserem Flug von Anadyr zur Bucht Prowidenija erinnert. In unserer Jak 40 fliegen siebenundzwanzig Passagiere. Mehr als die Hälfte der Fluggäste sind Einheimische, einer der Piloten ist Tschuktsche. Niemand staunt hier noch über ein Flugzeug, über einheimische Passagiere, über einheimische Piloten. Vor vierzig Jahren noch als Wunder angesehen, ist heute alltägliche Wirklichkeit, dass sich auch Tschuktschen und Eskimos in den Himmel erheben.

Auf der Sonnen beschienenen Tundra gleitet das Schattenbild unserer Jak 40 dahin. Jede himmlische Wolke `spiegelt´ sich schwarz auf der ebenen weiten Tundrafläche. Gemächlich trotten da unten drei Bären ihres Wegs. Deutlich ist zu erkennen, was in der Tundra kreucht und fleucht – der schleichende Wolf, das halbwilde Ren und noch ein Bär und wieder einer…

Die Bucht Prowidenija war 1660 von einer russischen Expedition unter Iwanow entdeckt worden, 1848 erhielt sie von dem englischen Kapitän Moore den Namen `Bucht der glücklichen Vorsehung´ - sein Schiff hatte hier gefahrlos überwintert. Prowidenija gilt als Klimaperle Tschukotkas. Rings von Bergen umgeben, ist die Siedlung im Golf von Anadyr natürlich geschützt vor den eisigen Schneestürmen. Auch uns umfächelt ein angenehm warmer Wind, obwohl die Berge ringsum ewige Schneekappen tragen.

 

Die Bucht Prowidenija - Klimaperle Tschukotkas.

Foto: Detlev Steinberg

Wir wollen ein Dienstleistungskombinat besuchen und (…) die Uchsima treffen.

Das Dienstleistungskombinat:  (…) Die Leiterin des Kombinats ist Nina Ginetejina. `Unser Stolz ist´, sagt sie, `dass wir so gut wie keine Reklamationen haben. Dafür sorgt unsere außerordentlich strenge Gütekontrolle.´ Sie hat im Kombinat Näherin gelernt, arbeitet hier seit siebzehn Jahren und absolviert gegenwärtig in Chabarowsk ein Fernstudium.

Uns haben es neben den kurzen Wartezeiten und geringen Preisen besonders die kunstgewerblichen Erzeugnisse – durchaus Gebrauchsgegenstände – angetan: die Fellanhänger für Halsketten aus Rentierfell, mit Perlen oder bemalten Elfenbeinplättchen verziert; die Torbasen, wasserundurchlässige Winterstiefel, ebenfalls mit Perlenornamenten verziert oder mit zu Mustern verarbeiteten Streifen aus Rentierleder; die Hausschuhe sind wahre Kunstwerke aus Robbenfell und Robbenleder, bestickt mit verschiedenfarbigen Rentierhaaren. Fast alle Ornamente, so erläutert uns Nina Ginetejina, symbolisieren die Sonne, die Jahr für Jahr über viele Monate so innig Ersehnte. Ist sie endlich da, dann wollen auch die Tschuktschen und Eskimos schön für sie sein.

Die Uchsima: `Die Uchsima´ heißt heute offiziell Uchsima Iwanowna Uchsima, schließlich hat jeder Sowjetbürger drei Namen zu haben: einen Vornamen, einen Vatersnamen, einen Nachnamen. Da Uchsima vor der Revolution ihr einziger Name war, gab sie ihn – Ende der zwanziger Jahre, so genau weiß das heute keiner mehr zu sagen – eben zweimal an. Überall auf Tschukotka ist sie jedoch nach wie vor `die Uchsima´.

Als sie uns vorgestellt wird, habe ich Mühe, meine Verblüffung zu verbergen. Was hat sie da im Gesicht? Ist das eine Art Kriegsbemalung? Eine Art Schmuck? Hat sie die dunklen Linien auf den Wangen, der Stirn, der Nase, dem Kinn der Gäste wegen angelegt?

`Die alte Zeit ist mir unauslöschlich ins Gesicht geschrieben´, antwortet sie schon gleich auf meine noch nicht gestellte Frage. `Das sind Tätowierungen, ohne die sich ein Eskimomädchen nirgendwo blicken lassen durfte. Sie hatten magische Bedeutung. Aber welche? Ich weiß es nicht, und niemand konnte sie mir bisher deuten. Und die neue Zeit´, die Uchsima verhehlt nicht ihren Stolz, `sehen Sie an meiner Brust.´

Die ist orden- und medaillengeschmückt.

Die Uchsima ist so alt wie die Revolution. Sie kennt Mister Thomson - in Juri Rytchës Buch `Das Gold der Tundra´ eine der handelnden Personen - noch persönlich. Als hätte es keine Revolution gegeben, bereicherte sich dazumal der amerikanische Händler noch jahrelang an den überaus wertvollen Polarfuchsfellen, die er gegen Nähnadeln, Perlen, Tee, Mehl, Tabak, Alkohol überaus preiswert eintauschte. Nach wie vor kamen auch amerikanische Walfänger über das Beringmeer, um fette Beute zu machen. Und wie eh und je wurde Uchsimas Vater – kühn und tapfer wie alle Meerestierjäger – von ihnen angeworben, `gemietet´, sagt sie.

Ob die amerikanischen Händler oder die vorrevolutionären russischen Aufkäufer ihr Handelsunwesen trieben – für Eskimos und Tschuktschen blieb sich das gleich. Verständigen konnte man sich weder mit den einen noch mit den anderen. Und von Verstehen konnte zwischen `Wilden´ und `Tangitans´, den weißen Männern, schon gar keine Rede sein.

Uchsima war sechs Jahre alt, als auf der fernen Tschuktschen-Halbinsel die Sowjetmacht siegte. Als die ersten Eskimoschulen gegründet wurden, war Uchsima zehn Jahre alt und sechzehn gar als die Eskimos von russischen Wissenschaftlern eine Schriftsprache erhielten. Dazumal wurde die 4-Klassen-Schule Pflicht, die Uchsima absolvierte sie im Abendunterricht.

`Ich bin zu früh geboren´, beklagt sie, `eine meiner Schwestern, neunzehn Jahre jünger als ich, ist Wissenschaftlerin, Autorin der neuen Eskimofibel.´ Vierzig Jahre lang hatte die erste, von russischen Wissenschaftlern erarbeitete Fibel der Eskimos ihre Schuldigkeit getan, nicht nur auf Tschukotka, sondern auch auf der USA-Insel St. Lawrence. Doch später dann nahmen die Eskimokinder keine Fibel mehr ernst, in der neben der Meereskohl sammelnden Großmutter nicht ein Gewächshaus zu sehen ist; hier muss außer dem Hundeschlitten auch ein Hubschrauber dargestellt sein; hier muss ein Vater auf Robbenjagd, der andere als Ingenieur ins Bilibinoer Atomkraftwerk gehen.

Die Lieblingsbeschäftigung der Rentnerin Uchsima ist fernzusehen, `weil ich mir damit die Welt ins Zimmer holen kann´. Nun denke aber keiner, dass die Vierundsechzigjährige die Bequemlichkeit über alles liebt. Sie ist, so sagt man, die aktivste Rentnerin in Prowidenija: Vorsitzende eines Frauenbundes und Zirkelleiterin im Pionierpalast, wo sie die Kinder alteskimoische Perlen- und Pelzstickerei lehrt.

Muss sie dazuverdienen? Sie schüttelt entschieden den Kopf. „Ich bekomme einhundertzwanzig Rubel Rente, davon zahle ich für meine komfortable Zweizimmerwohnung elf Rubel und vierzig Kopeken Miete, siebzig Rubel benötige ich für meinen Lebensunterhalt, da behalte ich etwa vierzig Rubel monatlich übrig.´

Als Zirkelleiterin bekommt sie ein Gehalt von 311 Rubel. Das ist viel, sehr viel, aber nicht zuviel, wenn man an die klimatischen Unbilden dieses unwirtlichsten Gebietens des hohen Nordens denkt. `Bei Schneesturm zum Beispiel´, sagt sie, `muss ich oft genug auf allen vieren zum Pionierpalast kriechen.´

Jedenfalls könnte sie 350 Rubel im Monat sparen. Tut sie es?

`Wozu? Ich `sammle´ kein Geld. Ich weiß damit schon das Rechte anzufangen, schließlich bin ich Großmutter von vier Enkelkindern.´

 

Die eskimoische Rentnerin Uchsima Iwanowna Uchsima - als Zehnjährige tätowiert.

Foto: Detlev Steinberg

Die Uchsima hat einen Sohn, der Fischer ist, und drei Töchter, die alle studiert haben: Mathematik, Medizin, Rechentechnik. Über ihre älteste Tochter Tamara erzählt sie uns diese Episode: `Vor einigen Jahren weilte der tschuktschische Schriftsteller Juri Rytchëu zu Besuch auf Grönland, bei den dortigen Eskimos. Rytchëu erzählte den grönländischen Eskimos viel über die asiatischen Eskimos und sprach auch über meine Familie. Beiläufig erwähnte er, dass meine Tochter Tamara mit einem Russen verheiratet sei. Da fragte ein alter Eskimo, ob die beiden auch schon Kinder hätten. Juri Rytchëu bejahte das. Da seufzten alle Eskimos mitfühlend. Rytchëu fragte erstaunt, was denn daran so traurig sei. Ein alter Eskimo klärte den `Begriffsstutzigen´ auf: `Sobald der Arbeitsvertrag des weißen Mannes abgelaufen ist, verlässt er doch die Eskimofrau und geht wieder zurück in seine Heimat.´ Niemand von den Anwesenden glaubte Juri Rytchëu, dass die Ehe für ein ganzes Leben geschlossen worden war. Inzwischen´, schmunzelt die Uchsima, `habe ich noch zwei `Weiße´ als Schwiegersöhne dazu bekommen: einen Belorussen und einen Ukrainer.´“

 Erstes Zitat des Eskimos Ablugaluk über den Kolchos: „Immer müssen arbeiten, immer ein Mann eine Arbeit. Ein Mann immer Netze machen, ein Mann immer Fische fangen, ein Mann immer Fuchsjagen, ein Mann immer Motor reparieren. Jeder Mann, jede Frau Specialista. Specialista nicht gut! Eskimo möchten einen Tag jagen, einen Tag Fallen stellen, einen Tag fischen – jeden Tag andere Arbeit und nicht Kommissar und Partei-Eskimo immer sagen: Du machen das, du machen das!“

Heinz Helfgen in: Ich trampe zum Nordpol,  1956)

 

Kleines Eskimodorf am großen Ozean (LESEPROBE aus „Diesseits und jenseits des Polarkreises) 

 

„Die `Wega´ ist ein hydrologisches Forschungsschiff, das zu Beginn der Navigationsperiode die Leuchttürme überprüft, Reparaturen an seemännischen Einrichtrungen ausführt, Marschrouten für die Lotsen zusammenstellt und die Bewegung des Eises im Beringmeer kontrolliert. Heute ausnahmsweise Passagierschiff, befördert uns Journalisten die `Wega´ von Prowidenija in das kleine Eskimodorf Sireniki.

Den gleichen Weg wie wir haben Vögel über Vögel, Rosenmöwen meist, mit Kurs zum `Vogelbasar´, den Felseninseln mit steil abfallenden, nischen- und bänderreichen Wänden in nahrungsreichen Meeresgebieten, die zahlreichen Meeresvögeln als Brutstätten dienen. Lummen, Möwen, Sturmvögel ziehen in regelrechten Wolken über uns hinweg. Zug um Zug folgen wohlgeordnete Schwärme. Wladimir Salata, der Kapitän der `Wega´ kennt sich aus in der tschuktschisch-eskimoischen Vogelwelt. `Sehen Sie dort Seetaucher, Ruderfüßler, Strandkäufer, Alken, die seltene Weißgans, die Kaisergans, der Bering-Strandläufer. Viele Vögel nisten bei uns, viele sind auf der Durchreise, so der Kanadische Kranich. Gegenwärtig können Sie auch Hunderte von Eiderenten antreffen. Die Eier der Eiderente waren früher für die Urbevölkerung oft die letzte Rettung vor dem Hungertode, wenn der Winter noch nicht weichen, der Frühling noch nicht kommen wollte. Tiere und Pflanzen – sie haben nicht viel Zeit auf Tschukotka. Es heißt, sich eilen, blühen und verblühen, leben und Leben schenken, kommen und wegfliegen.

Und wie sehr genießen hier die Menschen jede Vogelstimme, jedes Wasserrauschen, jeden Sonnenstrahl, jede oft erstaunlich grellfarbige Blüte. Im hohen Norden gestattet sich niemand, an Natur-Schönheit achtlos vorüberzugehen.

Nach zwei Stunden Fahrt auf der `Wega´, bald schon auf offenem Meer, kommen die ersten Häuser in Sicht, und wir bemerken ein Boot, das mal hoch oben auf einem Wellenkamm schaukelt, dann wieder für Augenblicke in einem Wellental verschwindet. Ich bin heilfroh, dass wir auf der nur ganz leicht schwankenden `Wega´ ans Ufer gelangen werden; denn jene kleine Nussschale dort, in der ich jetzt drei Männer ausmache, ist nicht nach meinem Landrattengeschmack. Doch da deutet Kapitän Salata auf ebendieses Boot und sagt: `Da kommt ja auch schon Ihre Baidara. Wir ankern hier, weiter können wir nicht, zuwenig Tiefgang.´

`Wie viel Meter sind´s denn noch bis zum Ufer?´ frage ich mit möglichst harmloser Miene. - `Zweihundert Meter etwa. Falls Sie an Schwimmen denken, so ist das bei einer Wassertemperatur von plus vier Grad der sichere Tod.´

Nur die Eskimos von Sireniki, hören wir, fahren noch mit diesen jahrhundertealten ledernen Booten, den Baidaras, aufs Meer hinaus. Georg Wilhelm Steller, einer der deutschen Wissenschaftler, die im 18. und 19. Jahrhundert weite Forschungsreisen durch Sibirien unternahmen, schreibt über sie: `Zur See reist man in Baidaren … mit der größten Leib- und Lebensgefahr.

 

 

Eine Baidara besteht aus einem Treibholzgestell, mit Walrossleder bespannt und ohne einen einzigen Nagel, sondern mit Riemen aus Sehundleder zusammengehalten; die wagemutigen Führer dieser ledernen Boote wurden früher "Ritter oder Kosaken der Meere" genannt. Nur die Eskimos von Sireniki, hören wir, fahren noch mit diesen jahrhundertealten ledernen Booten aufs Meer hinaus.

Foto: Detlev Steinberg

Da murmelt Kapitän Salata auch noch kleinlaut, dass man leider keine Strickleiter parat habe, schließlich konnte man ja nicht wissen, dass Damen*… Kurzum, nachdem man uns auf den russischen Arm genommen hat, werden wir sacht in ausgebreitete eskimoische Arme hinabgelassen. Die beiden anderen Eskimos balancieren dabei das Gleichgewicht des Schiffleins aus. Zum Ängstigen kommen wir nicht, denn das Ganze gestaltet sich als eine Art Blitzaktion. Klarzustellen wäre noch, dass wir zwar keine Federgewichte sind, doch die nicht sehr groß gewachsenen Eskimos laut anthropologischer Forschungen die am athletischsten gebauten Menschen sein sollen.

Nun legen sich die Männer in die Riemen, und wir gleiten schnell über ozeanische Wellenkämme. Unsere eskimoischen Bootsmänner sind auffallend klein und auffallend muskulös. Und da erinnere ich mich, was uns im Magadaner Fernöstlichen Akademiezentrum der Wissenschaftler Wladilen Leontjew erzählt hat: `Die Meerestierjagd stellt an die Jäger höchste Anforderungen. Deshalb übt man sich von klein auf in Körperkraft und Gewandtheit. Viele Sportspiele der Eskimos haben ihren Ursprung im teils ehemaligen, teils auch noch heute üblichen eskimoischen Alltag,´

Das Nalukatak-Spiel ist eine Art Trampolinspringen. Als Trampolin dient eine straff gespannte Walrosshaut, die von etwa zwanzig Menschen gehalten wird. Im Alltag mussten die Eskimos, wenn keine hohen Felsen im Siedlungsgebiet waren, hoch springen können, um zu sehen, ob sich am Horizont eine Walfontäne zeigt.

Beim Riemenziehen nehmen zwei Gegner je ein Ende eines Riemens in den Mund. Wer den Gegner auf seine Seite zu ziehen vermag, hat gewonnen. Im Alltag, wenn im Kampf mit angeschossenen Tieren beide Hände benötigt werden, müssen die eskimoischen Jäger die Harpunenleine mit den Zähnen festhalten.

Das Ipirautakurnik-Spiel bedeutet `mit einer lange Peitsche genau die richtige Stelle treffen´. Die richtige Stelle ist die Ferse des Jägers, markiert durch ein in die Stiefelsohle gestecktes angespitztes Stäbchen; die Peitsche muss mindestens zehn Meter lang sein. Im Alltag müssen die angeschossenen Tiere mit einem Wurfgeschoss – im Spiel durch die Peitsche ersetzt – gesichert werden, damit die Wellen sie nicht davontragen.

Das Ikussimmiak-Spiel ist ein Wettlauf auf allen vieren. Die Sportler bewegen sich dabei auf den Fußspitzen und den Ellenbogen fort, die Handgelenke pressen sie an die Ohren. Im Alltag

müssen sich die Jäger oft über weite Strecken auf allen vieren schnell und lautlos an die Jagdbeute heranschleichen.

 

Das Sprungtuchhüpfen ist bei den Eskomos beinahe ein Nationalsport; Kinder springen bis zu sechs Meter in die Höhe.

Foto aus: Reller Völkerschafts-Archiv

Inzwischen sind wir am Ufer angekommen. Sireniki – 703 Einwohner – ist ein typisches Eskimodorf, alle Häuser stehen mit dem `Gesicht´ zum Meer. Viele Einwohner sind am Ufer, vor allem Kinder. Ein ankommendes Schiff ist hier wie eh und je eine Sensation, und diesmal bringt es sogar Gäste. Die Kinder folgen uns auf den Fersen, schmulen sogar in unsere Taschen. Wir hatten für eine solche Situation Berge von Kaugummis, Bonbons und sauren Drops eingesteckt. Im Handumdrehen sind wir alles los. Keiner ziert sich, alle finden es durchaus rechtens, wenn Gäste Gastgeschenke mitbringen. Die kleinen Quälgeister verlassen uns auch nicht, als wir unsere Taschen umkrempeln, um ihnen zu zeigen, dass sie wahr und wahrhaftig leer sind.

Beeindruckend der Kindergarten – mit verglastem Wandelgang für den Winter, mit Höhensonnen, mit Puppen und Kuscheltieren, ach, einfach mit allem, was käuflich ist. Nur eins fehlt – Pflanzen und Bäume. Dafür siehst du sie überall aufgemalt – an Wänden, an Klettergerüsten, ja sogar auf dem Geschirr. Die meisten Kinder hier haben in ihrem Leben noch keinen richtigen Baum zu Gesicht bekommen.

Früher kannten die Eskimokinder nur ein einziges für sie angefertigtes Spielzeug: einen sechseckigen Ball, genäht aus Rentierleder, gefüllt mit Rentiermoos, bestickt mit Sonnenornamenten aus Perlen. Ein einziges Exemplar stand – sozusagen als Museumsstück – in einer Glasvitrine des Kindergartens von Sireniki. Jetzt hat dieses Geschenk einen Ehrenplatz in meiner Wohnung…

Beeindruckend auch das Krankenhaus, 1974 erbaut. Patienten? Ein Kind mit Mandelentzündung und eine Frau, die ein Kind erwartet. Der Chefarzt, der Russe Dr. Wladimir Iwanowitsch Skorik: `Wir sehen unsere wichtigste Aufgabe in der Vorbeugung. Jährlich zweimal finden für Erwachsene und Kinder Reihenuntersuchungen statt. Wenn jemand nicht zu uns kommt, gehen wir zu ihm. Die Lebenserwartung der Eskimos ist von vormals dreißig Jahren auf das Doppelte gestiegen.´

[Der Kontakt mit den Europäern brachte den Eskimos – das soll an dieser Stelle nicht verhehlt werden, nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Zwar haben moderne Waffen, Geräte und Transportmittel das Leben leichter gemacht, aber eingeschleppte Krankheiten und die Dezimierung der lebensnotwenigen Wal- und Robbenbestände stehen diesen Errungenschaften gegenüber.]

Beeindruckend auch die Pelztierfarm. Sie befindet sich nur ein paar Schritte vom Krankenhaus entfernt; in Sireniki liegt alles nur ein paar Schritte auseinander. Gegenwärtig werden zweitausend Blaufüchse versorgt. Längst sind die Spezialisten aus Leningrad und aus Karelien wieder zu Hause. Inzwischen sind die Pelztierzüchter aus Sireniki selbst so qualifiziert, dass sie aus anderen Orten Tschukotkas zu Hilfe gerufen werden. Die Eskimofrau Tytywal gesteht: `Ein ganzes Jahr habe ich gebraucht, um mich an die neue Arbeit zu gewöhnen. Jetzt liebe ich die kleinen Pelztierchen so wie früher die großen Walrosse.´

Am nachhaltigsten beeindruckt mich in Sireniki diese kleine Episode: eine schwarz und weiß gefleckte Kuh und um sie herum staunende Kinder und Erwachsene. Die einen ziehen das Milch gebende Tier am Schwanz, die anderen befühlen seine Hörner, einer betastet das Euter. Wir hören, dass dies das erste Rindvieh ist, das Sireniki zu Gesicht bekommt. Eine Stunde zuvor erst war es mit dem Hubschrauber eingeflogen worden, vier weitere Kühe sollen folgen.

Der berühmte norwegische Polarforscher Fridjof Nansen hatte vor Ausbruch des ersten Weltkrieges Russisch-Asien bereits. In seinem Buch ´Sibirien – ein Zukunftsland´ bewunderte er an den Ufern der Jenissejmündung die `wohl nördlichste Kuh in diesem Teil der Welt´. Ab heute lebt die nördlichste Kuh der Welt schon Hunderte Kilometer weiter nördlich…

(…)

Man bittet uns, schnell noch einmal in den Kindergarten zu kommen, um den historischen Augenblick mitzuerleben, wie jedes Kindergartenkind in Sireniki den ersten Schluck frische Milch bekommt. Aber es ist kein `Oh!´ oder` Ah!` oder `Wunderbar´ zu hören, sondern die Münder sind griesgrämig verzogen. Schura sagt´s für alle: `Trockenmilch schmeckt besser.´

Da ertönt von der `Wega´ das vereinbarte Signal, es bedeutet: `Zurück an Bord!´

Dann: Etwa einhundert Meter vom Ufer entfernt, neben unserer Baidara, die uns zurück zum Schiff bringt, zum Streicheln nahe, zwei Walrossköpfe: Mutter und Kind. Geschrei am Ufer, Aufschrei im ledernen Boot. Ich schreie mit – vor Entzücken. Dann tauchen die beiden Tiere unter unserem Boot hinweg, um friedlich weiter zu schwimmen.

Auf der `Wega´ schließt uns Kapitän Salata gerührt in die Arme. `Hattet Ihr ein Glück´, stammelt er. Das finde ich auch, sage ich, denn wer hat schon das Vergnügen, die bärtigen Meeresriesen im offenen Meer so nahe vor sich zu sehen. Der Kapitän guckt mich ob meiner Ahnungslosigkeit fassungslos an, dann sagt er: `Ganz selten nur verirren sich Walrosse so dicht ans Ufer. Ganz selten kommen sie einem Boot so nahe. Die Tiere hätten mit ihren Stoßzähnen das Boot durchbohren können. Mädchen, Ihr wart in allergrößter Gefahr, versteht ihr?´

Wir verstehen – Gott sei Dank – danach.

Die Eskimoin Wera Alitujewa nutzt die außerfahrplanmäßige Reisemöglichkeit durch die `Wega´, Verwandte in Prowidenija zu besuchen. Kaum hat die `Wega´ abgelegt, da ist sie schon in eine kleines Gedichtbändchen vertieft. Ich entziffere den Namen der Dichterin. Es ist Tatjana Atschirgina, die wir in Anadyr kennen gelernt hatten. Dort hatte sie uns ihr letztes Gedicht vorgetragen:

 

Meine Weißdämmernacht // Rot des Osthimmels Rand, / fest am Ufer der Sand / und bizarr das Gestein, das bereifte. / Hier entspann ich mich ganz, / fach ein Feuerchen an - / mit dem Morgenrot soll es wetteifern! / Soll es knistern vor mir, / soll es flüstern mit mir, / meine Einsamkeit lächelnd verscheuchen. / Wie gemütlich ist´s hier / und mich dauert das Tier, / das dort wartet mit bebenden Weichen. // He, komm näher, mein Hund, / wärm am Feuer dich und / lass dir auch diesen Brotkanten schmecken! / Da – ich mache dir Platz … / Deine Schnauze ist nass, / und der buschige Wedel ist staubig! / Sag, wie geht es dir, Freund? / Hast du´s leicht oder schwer bei der Herde / Schau, jetzt spannt sich das Seil! / Horch, jetzt stöhnt es gar, weil / sich der Lachsschwarm im Netz toll gebärdet. / Und die Quelle singt leis, / und von Fischschuppen gleißt / feuchter Sand in der Runde. / Und die Welle verspielt, / und die Früh frostig kühl – alles ist Lied, ist Wunder! / Meine Weißdämmernacht, /hab ich träumend durchwacht, / und mein Herz konnte sich wieder fassen … / Weiße Möwe im Flug, / und der Hund sachte schluckt / pures Gold – Morgenrot auf dem Wasser.  

Nachdichtung aus dem Russischen von Johann Warkentin

 

Tatjana Atschirgina ist die erste eskimoische Lyrikerin. In all ihren Gedichten spürt man die tiefe Liebe zu ihrer nördlichen Heimat.

Bis vor kurzem war sie Fernseh- und Rundfunkjournalistin. Das Fernsehen auf Tschukotka sendet in zwei Sprachen, in russisch und tschuktschisch. `Der Rundfunk´, so sagt Tatjana Atschirgina, `bringt für meine nur eintausendfünfhundert Landsleute zusätzlich dreimal in der Woche Sendungen in eskimoischer Sprache; diese Sendungen werden auch von den Eskimos in Alaska empfangen. Für die amerikanischen Eskimos gibt es nämlich keine Sendungen in der Muttersprache. Seit kurzem arbeitet Tatjana als Komsomolsekretärin.

`Der Komomol´, sagt Tatjana Atschirgina, `hat viel zu tun auf Tschukotka; denn siebzig Prozent der Bevölkerung sind noch nicht dreißig Jahre alt. Gegenwärtig überlegen wir, wie der Jugendverband helfen kann, den `Beschluss über Maßnahmen zur weiteren ökonomischen und sozialen Entwicklung des hohen Nordens´ zu verwirklichen. In dem Ministerratsbeschluss sind Maßnahmen bis 1990 festgelegt. Es geht um die Entwicklung der Wirtschaft, die Verbesserung der Leitung des wissenschaftlichen und kulturellen Aufbaus, die weitere Entwicklung der Industriezweige, des Volkskunstgewerbes, der Wirtschaften für die Rentier-, die Käfigtier-, die Milchtier-, die Geflügel- und die Schweinezucht, auch um den Gemüseanbau in Treibhäusern und den Bau von Wohnterritorien.´“

 

Zweites Zitat des Eskimos Ablugaluk über den Unterschied zwischen Russen und Amerikanern: „Alle Russen gut. Besser als Amerikaner! Amerikaner nicht essen Eskimo-Essen, kein Ugruk, kein Muktuk. Amerikaner nicht leben mit Eskimo. Amerikaner nicht wollen mit Eskimo tanzen. – Russen essen mit Eskimo, Russen tanzen mit Eskimo, Russen viele Musik, schöne Musik, viele schöne Tanz! Russen lieben Eskimo.“

Heinz Helfgen in: Ich trampe zum Nordpol,  1956)

 

Kap der guten Zuversicht (LESEPROBE aus „Diesseits und jenseits des Polarkreises)

Die Journalistin und Buchautorin Gisela Reller mitten auf dem Ozean...

Foto: Detlev Steinberg

„Herrlich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Leichfüßig bewegen wir uns durch Lorino (bewohnt von etwa 1 100 Tschuktschen, 200 Eskimos, 50 Russen), besichtigen die ersten noch im Bau befindlichen Steinhäuser mit Bad und zentraler Heizung, sogar einen Experimentalbau mit Sommer-Terrasse und Balkon. Unangenehm nur die vielen frei herumlaufenden Schlittenhunde, bei denen man immer gewärtig sein muss, angefallen zu werden. Im Sommer, so hören wir, werden sie freigelassen, und müssen sich nach dem Motto `Wer nicht arbeitet, soll auch nicht (fr)essen´- selbst versorgen.

Wir möchten gern einen Blick in das Innere einer Neubauwohnung werfen.

`Klopfen sie, wo Sie wollen´, sagt Nikolai Sergejewitsch Awertischenko (…), `nur, sie werden kaum jemanden antreffen, alle sind zur Arbeit.´ Erst einmal verblüfft uns, das buchstäblich jede Wohnungstür unabgeschlossen ist, obwohl tatsächlich niemand zu Hause ist. Nikolai, der aus einem Vorort Moskaus Hierhergekommene, sagt schmunzelnd: `Ja, das hat mich in der ersten Zeit auch überrascht. Oft werde ich zu Hause in meinem Heimatort gefragt, was mich in dieser unwirtlichen Gegend so lange festhält. Das ist wirklich gar nicht so leicht in Worte zu fassen. Aber zum Beispiel ist es dieses absolute Vertrauen, das hier jeder zu jedem hat. Früher ging die Jaranga-Felltür nicht abzuschließen, heute lässt ein jeder die Wohnungstür offen. Einem Menschen persönliches Eigentum zu entwenden gilt bei Eskimos und Tschuktschen von alters her als verwerflichstes Verbrechen. Diese unbedingte Ehrlichkeit der Urbevölkerung Tschukotkas färbt auf alle `Zugereisten´ ab. Wir würden uns direkt schämen, unsere Wohnungstüren abzuschließen.´

Endlich rührt sich was – Isabelle Wassiljewna Waltytwalima ist zu Hause. Als sie hört, woher wir kommen, muss sich der arme Nikolai Awertischenko schwere Vorwürfe gefallen lassen. Wenn sie das gewusst hätte, ja, da würde doch längst das Teewasser kochen und eine Nationalspeise auf dem Tisch stehen. Nur unserem Tolja, dem alles gelingt, schafft es, sie davon abzuhalten für ichweißnichtwielange in die Küche zu enteilen. Isabella Waltytwalima ist Eskimoin, ihr Mann Russe. Er arbeitet als Fischer, sie als Bibliothekarin, sechs Kinder haben sie. Ihre Drei-Zimmer-Wohnung (größere gibt es bis jetzt nicht in Lorino) ist enttäuschend europäisch eingerichtet. Sie, selbst noch in einer Jaranga geboren, gibt zu, dass sie sich manchmal, wenn sie es gemütlich haben möchte, auf einen Fellberg auf die Erde setzt. `Wir kannten früher keine Möbel´, sagt sie, `und deshalb haben wir uns an diese Einrichtung ganz schnell gewöhnt. Wir brauchten uns ja nicht umzustellen, sondern nur einzustellen.´ Und weil sie uns nicht bewirten dürfe, so sollten wir uns nur alles ganz genau anschauen. Sie öffnet alle Türen, auch die Schränke, alle Schubfächer. Als geplagte werktätige Hausfrau wage ich einzugestehen, dass mir die penible Ordnung in ihren Schubfächern, vergleichen mit der Ordnung in den meinigen, eine zarte Röte ins Gesicht treibt. Nur im Zimmer der drei Kleinen sieht es so aus, dass ich mein Hausfrauen-Selbstbewusstsein wiedererlange…

Selbstverständlich hat auch das kleine Lorino ein Heimatkundemuseum, in dem man sich bei ausgestopften Eisbären gruseln kann. Selbstverständlich hat auch das kleine Lorino eine Pelz- und Lederwerkstatt, in der die bewährte Fellkleidung angefertigt wird, verzeiht mit Perlen und Lederbändern. Und fünfzig Kühe ha Lorina (seit 1970) und eine Pelztierfrm und – eine Hühnerzucht, was nun allerdings für Tschukotka noch gar nicht selbstverständlich ist.

Plötzlich tut sich was in Lorino: ein Hasten, Jagen, Rennen in Richtung Meeresküste.

Der Walfänger? Der Walfänger!

Da hasten, jagen, rennen auch wir. Als wir atemlos am Ufer ankommen, kribbelt und krabbelt es dort schon wie in einem Ameisenhaufen. Kaum ist der aus tiefer Wunde blutende Koloss (nicht der größte seiner Art) an Land, da stürzen sich Lorinos Eskimos und Tschuktschen auch schon über ihn. Seit alters dürfen als Erste Kinder und Frauen die leckersten Häppchen herausschneiden. Erst dann beginnen die Männer, den Wal mit langgriffigen Messern zu zerteilen, genauso wie dereinst ihre Vorväter. Die Kinder säbeln (mundgerechte) Stückchen aus seiner Haut heraus und verspeisen sie roh an Ort und Stelle mit Wohlbehagen. Überall am Ufer liegen Walskelette, ich habe es mir – wie weiland Martin Luther auf der Wartburg – auf einem Walwirbel bequem gemacht.

Da bietet sich meinen Augen ein gar eigentümlich vertraut-fremdes Bild: Die Frauen haben größere rechteckige oder quadratische Stücke Walhaut herausgeschnitten, sie oben eingekerbt und gehen mit diesen Exemplaren davon wie unsereins mit Plastiktüten.

Itgylgyn – so heißt die Haut mit dem hellrosa Speck – gilt bei Eskimos und Tschuktschen seit alters als besonderer Leckerbissen. Bei mir regt sich keinerlei Appetit beim Anblick der schrundig und grob aussehenden grau gefleckten Walhaut – bis eine Eskimohand die meine zwingt, den Wal `zu streicheln´. Verblüfft stelle ich fest, dass hier der Augenschein wieder einmal trügt, die Haut ist ungeheuer glatt, zart – und da versuch auch ich´s mit einem Stückchen Itgylgyn. Im ersten Augenblick scheint es, als habe man Gummi im Mund, nach intensivem Kauen jedoch wird der Walspeck ein wenig süßlich und zergeht auf der Zunge.

Ab morgen wird es in Lorinos Lebensmittelgeschäft zentnerweise Walfleisch und Itgylgyn zu kaufen geben: dreißig Kopeken das Kilo. Und wie in alten Zeiten werden die Küsten-Tschuktschen und Eskimos zu den Rentier-Tschuktschen wandern, um einen Teil des Walfleisches gegen Rentierfleisch zu tauschen. Auch dieser uralten Sitte wurde von der Internationalen Walfangkommission bei der Festlegung der Fangquote für Tschukotka Rechnung getragen.“

Aber: War früher der Wal nahezu einzige Ernährungsquelle, so ist er heute für Tschuktschen und Eskimos nur noch ein Nahrungsmittel von vielen – allerdings noch ein lebensnotwendiges, wie Mediziner meinen. Ihrer Ansicht nach sind Waltran, Walspeck und Walfleisch Kalorienträger, die von Tschuktschen und Eskimos noch einige Generationen lang benötigt werden, bis sich der Organismus auf die neuen Lebensmittel umgestellt hat.“

 

 

Siedlung mit kompletter Windrose (LESEPROBE aus „Diesseits und jenseits des Polarkreises“) 

 

„Als wir im geländegängigen `Wesdechod´ (`Überallhingeher´) tüchtig durchgerüttelt in Lawrentija ankommen, ist es, obwohl fast schon Mitternacht, nicht stockdunkel; denn die weißen Nächte – `Weißdämmernächte´ -, hier Polartage geheißen sind noch nicht ganz abgeklungen.

Wir sind nun an jenem abgelegenen Fleckchen Erde angelangt, das Ewald Banse in seiner `Neuen Illustrierten Länderkunde´ 1931 so beschreibt: `Da weitet sich die Erde zu stummem Rund, in dem es geheimnisvoll summt und raunt von tausendfach erwogenen Plänen und ungeschehenen Taten. In diese abschreckende Natur haben sich frühe Zweige der gelben Rassengruppe geflüchtet. Nichts wird sich hier je ändern, in diesem ganzen (russosibirischen Erdteil, über den die moderne Gottesgeißel Lenin nun auch gekommen ist.´ Ewand Banse notiert solch hanebüchenen Unsinn laut Nachbemerkung `als Forscher und Künstler, der schreibt, weil es ihn innerlich drängt, nicht weil ein Ämtchen ihn lockt oder sonst Beifall ihn spornt´.

Nach zweistündiger Holperfahrt erwartet uns ein zweistöckiges Hotel. Nur – sollte das Geld nicht für verglaste Doppelfenster gereicht haben? Doch da wird uns Nord unerfahrenen Mitteleuropäern kundgetan, dass die bekrittelten Außenfenster deshalb aus Folie bestehen, weil der tückische Wind äußere Glasfenster erbarmungslos eindrücken würde.

Anderntags stolzieren wir durch Lawrentija – wie Mannequins auf hölzernen Laufstegen. Straßen im herkömmlichen Sinne gibt es hier noch nicht – ein Kilometer betonierte Straße kostet im hohen Norden an die sechshunderttausend Rubel. Lawrentija hat vornehmlich Holzhäuser, erst 1980 begann man auch Steinhäuser zu bauen. Fieberhaft suchen hiesige Geologen nach Baustoffen.

Vor mehr als dreihundert Jahren schon schrieb Semjon Deshnew in seinem Reisebericht, dass auf seinem Weg `der Boden immer gefroren war und im Laufe des Sommers nicht tiefer als zwei Arschin `taut´. In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts erst entstand die Kryopedologie, die Wissenschaft Vom Frostboden, im Zusammenhang mit der damals begonnenen Erschließung der nördlichen sowjetischen Gebiete. Wie unberechenbar sich auch erforschter Frostboden noch gebärden kann, konnten wir auf unserer Reise an einigen Gebäuden bestaunen, die buchstäblich am Versinken oder Einstürzen waren. Inzwischen weiß man, dass solches zum Beispiel durch die Druckkräfte entsteht, die sich durch Volumenveränderungen ergeben: bis zu vierhundert Kilogramm je Quadratzentimeter des Fundaments.

65 Prozent der dreitausend Einwohner Lawrentijas sind Ureinwohner, 45 Prozent davon Eskimos. Folgerichtig ist der 1. Sekretär des Rayonparteikomitees ein Mensch eskimoischer Abstammung, nach Banse `Herdenmensch mit massierten Trieben, Stümper im Leben, die uns Abendländern nichts zu sagen haben´. Und dieser Mensch eskimoischer Nationalität ist – da staunen auch wir ein bisschen – eine Frau: Dr. Nadeshda Pawlowna Otke. Geboren 1941, noch in einer Jaranga, Älteste von fünf Schwestern: Katja ist Unterstufenlehrerin, Walja Stenotypistin, Raja Ärztin, Natascha Direktorin des Heimatkundemuseums in Anadyr. Der Vater, Eskimo, war einer der ersten Kommunisten auf Tschukotka, die Mutter, Tschuktschin, war Hausfrau, aber `ihr Leben lang gesellschaftlich tätig´. Erstmalig lernte ich Geschwister kennen, deren Pass unterschiedliche Nationalitätszugehörigkeit ausweist: in Anadyr die Tschuktschin Natascha Otke und in Lawrentija die Eskimoin Nadeshda Otke. Nadeshda hat am Pädagogischen Herzen-Institut in Leningrad und an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften bei ZK der KPdSU in Moskau studiert. Gestern, so hören wir, war Sprechstunde im Rayonparteikomitee. Mit welchen Problemen war man zu ihr gekommen?

Eine Rentierbrigade beschwerte sich, weil der Hubschrauber die versprochene `Bibliothek´ nicht mitgebracht hatte; ein Kindergarten- und ein Krippenplatz waren angefordert worden; ein Spezialist beklagte seine zu kleine Wohnung; die nicht ausreiche Versorgung der örtlichen

Bevölkerung mit Walfleisch wurde kritisiert; Jugendliche nannten den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in der Freizeit; man forderte die bessere Belieferung mit Rohmaterialien zur Erhaltung der nationalen Künste…

Die Bücher hat heute schon ein Arzt – in der Tundra zu Reihenuntersuchungen unterwegs – mitgenommen; eine Jugendsporthalle ist bereits projektiert. – Wohnungen, Kindergärten- und Krippenplätze jedoch sind rar, und der Umwelt- und Tierschutz gestattet nur die Jagd auf eine begrenzte Anzahl Wale und Walrosse, deren Hauer das begehrte Elfenbein liefern. `Ein weiteres Problem´, sagt ´Nadeshda Otke, die ihre Doktorarbeit über Frauenprobleme geschrieben hat, `ist die hohe Scheidungsquote bei den `Zugewanderten´. Bei Tschuktschen und Eskimos sind Scheidungen ganz unüblich. Wenn sie einen Partner wählen, dann fürs ganze Leben!´

Nach unserem Gespräch im Rayonparteikomitee bummeln wir mit Frau Dr. Otke unter dunkelblauem Himmel am tiefgrünen Meer entlang. Das Nördliche Eismeer (auch: Arktisches Mittelmeer, Nordpolarmeer, Nördliches Polarmeer genannt) ist der kleinste der vier Ozeane und wird vielfach nur als Nebenmeer das Atlantischen Ozeans angesehen; durch die zweiundachtzig Kilometer breite Beringstraße ist er mit dem Stillen Ozean verbunden. `In Lawrentija ist die komplette Windrose zu Hause´, sagt Nadeshda Otke. Und: `Fast alle Eskimos wohnen entlang der Küste. Ohne Meer kann ein Eskimo nicht leben.´

Weiter erzählt sie uns, dass Lawrentija ein Landwirtschaftsrayon ist – mit siebenundzwanzigtausend Rentieren und fast einhundert Kühen (seit 1963); die frische Milch reicht bis jetzt jedoch nur für Kindergärten und Krankenhäuser.

 

Unterricht in Tschuktschisch bei der eskimoischen Lehrerin Klara Kirgi.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Über uns Züge von Wildgänsen und Kormoranen; auf Schritt und Tritt beäugen uns possierliche Langschwanzziesel, und uns zu Füßen liegen dicht an dicht kostenlose Souvenirs: prächtig glitzernde, wundersam geformte Steinchen – Glimmer. Wir finden die Glitzerlinge einfach nur schön, den Geologen sollen sie jedoch so einiges flüstern…“

 

 

Neben meinen Buchveröffentlichen habe ich viele Beiträge über die Völker der ehemaligen Sowjetunion in der Illustrierten FREIE WELT veröffentlicht bzw. in  anderen Medien. Hier einige Beiträge (Auswahl), die gute Ergänzungen zu dem bereits Dargestellten bilden:

 

 

 Aus FREIE WELT 6/81: Interview mit der Schwester der Uchsima, der Wissenschaftlerin Ljudmila Iwanowna Ainana, die die moderne Fibel der Eskimos erarbeitete:

 

Als Sie geboren wurden, war die erste Fibel der asiatischen Eskimos bereits vier Jahre alt...

 

... doch sie kam erst zwei Jahre später - 1934 - hier an. Per Schiff vom Leningrader Institut abgesandt, war sie im Packeis steckengeblieben. Ein russischer Lehrer entdeckte durch Zufall ein Exemplar in der Jaranga des Eskimos Matlju. Eine Studentin aus Leningrad hatte sie ihm mitgebracht. Er trennte sich von ihr nur gegen Quittung (die er natürlich nicht lesen konnte).

 

Was tat man mit der einen Fibel?

 

Russische Lehrer und eskimoische Schüler schrieben (und malten) sie auf Zigarettenpapier ab. Es gab damals keine Hefte auf Tschukotka, eine Bleistifte; man schrieb mit Ruß.

 

Die doch noch eingetroffene Fibel hat dann vierzig Jahre lang ihre Schuldigkeit getan...

 

Mehr als das, und nicht nur auf Tschukotka, sondern auch auf der USA-Insel St. Lawrence. Dort bringen die Eltern ihren Kindern Eskimoisch nach dieser Fibel bei. Doch unsere Eskimo-Kinder nehmen keine Fibel mehr ernst, in der neben der Meereskohl sammelnden Großmutter nicht ein Gewächshaus zu finden ist; hier muss außer dem Hundeschlitten der Hubschrauber zu sehen sein; hier muss ein Vater auf Robbenjagd, der andere als Ingenieur ins Bilibinoer Atomkraftwerk gehen...

 

Und diese neue Fibel haben Sie erarbeitet?

Zusammen mit der eskimoischen Lehrerin Wera Analkbassak. In den ersten beiden Klassen werden unsere Kinder in der Muttersprache unterrichtet, dann erst erfolgt der Unterricht in Russisch.

 

Vierzig Jahre zuvor haben russische Wissenschaftler den Eskimos - von denen nicht ein einziger lesen und schreiben konnte - die erste Fibel geschenkt. Vier Jahrzehnte später stellten studierte Eskimofrauen die neue Fibel zusammen...

 

Ich denke schon, dass die Entwicklung der asiatischen Eskimos (und Tschuktschen) wie ein Wunder anmutet. Bände spricht auch diese kleine Episode: Ein junger Mann aus der Eskimosiedlung Naukan antwortete vor einunddreißig Jahren auf die Frage des Leningrader Institutsdirektors für die Völkerschaften des hohen Nordens, ob er Abiturient sei "Nein, Eskimo..." Heute ist er selbst Schuldirektor.

 

 

 Aus FREIE WELT 4/81: MÄRCHEN

 

Von der Mutter eines Walrosses

 

*

Einmal hatten ein Mann und eine Frau einen Sohn. Da war es dann eines Tages soweit, dass der Sohn das erste Mal mit seinem Vater zur Jagd gehen durfte. Als sie schon genug Tiere gejagt hatten, beugte sich der Sohn zu weit über den Rand einer Eisscholle, fiel ins Meer und ertrank. Der Mann weinte sehr. Da kam ihm eine Idee. Oft schon hatte er beobachtet, wie sehr eine Walrossmutter ihr Junges Liebt. Jahrelang behütet sie es, nimmt es auf den Rücken, wenn es müde ist vom Schwimmen tätschelt und verhätschelt es.

Er machte sich also auf die Suche nach einem Walrosskind, dessen Mutter gestorben war. er irrte lange umher, dann fand er auf  einer Eisscholle ein verlassenes Walrosskind, das schon ganz schwach war. Er nahm es auf und ging den langen Weg zurück.

Zu seiner Frau sagte er, dies sei ihr Sohn, der Geist Kele habe ihn verzaubert. Die Frau war froh, ihr Kind wieder bei sich zu haben - in welcher Gestalt auch immer. Sie behütete es - bis sie gar nicht mehr traurig war, dass ihr Sohn wie ein Walross aussah.

 

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 Aus FREIE WELT 4/81: MÄRCHEN

 

Das Walkind und der Küstensohn

*

 

vor langer Zeit bat ein Wal eine schöne Küstenfrau, sie möge mit ihm aufs Meer hinausgehen. Der Küstenfrau gefiel der stattliche Wal. Aber da sie zu Hause einen Mann und einen Sohn hatte, musste der Wal sie sehr lange bitten... Nach einem Jahr brachte die Frau ein Wal-Kind zur Welt. Irgendwann aber bekam sie Sehnsucht nach ihrem Menschenkinde. Da erlaubte der Wal-Mann ihr, nach Hause zurückzukehren. Mann und Sohn der Küste waren sehr froh über ihre Rückkehr. - In jedem Frühjahr und Sommer kam das Wal-Kind ganz nah an die Küstensiedlung. Da immer viele Meerestiere bei ihm waren, kehrten die Küstenmenschen nie mehr ohne Beute heim. Jedes Mal, wenn sich das Wal-Kind dem Ufer näherte, ging der Küstensohn zu ihm. Einer zeigte dem anderen viele Spiele. Beide wussten, dass sie Brüder waren. - Eines Tages töteten neidische Menschen der Nachbarsiedlung den Wal-Jungen. Die Küstenmenschen trauerten sehr lange um den getöteten Wal-Jungen, der eine Menschenfrau zur Mutter hatte..."

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 Aus FREIE WELT 4/81: MÄRCHEN

 

 Die Mädchen-Bärin

*

Es ist schon lange her, da ging der Sohn, der mit seiner Mutter zusammenlebte, zur Jagd. eine Bärin, die am Meer umherstreifte, sah ihn schon von weitem. Um ihn nicht zu erschrecken, schlüpfte sie aus ihrer Bärenhaut. Von diesem Tag an trafen sich die Mädchen-Bärin und der junge Jäger jeden tag. Schon bald nahm der Jäger die Mädchen-Bärin mit nach Hause, und alle drei lebten friedlich miteinander. Schließlich aber fiel der Mutter auf, dass die Frau ihres Sohnes kein Fleisch aß, sondern nur Fett und Speck. Da ahnte sie, dass diese Frau eine Bärin war. Als der Sohn einmal wegging, jagte die Mutter die Bärenfrau fort. Der Sohn war sehr traurig, als er hörte, dass seine Frau und die beiden Kinder nicht mehr da waren. Sogleich ging er sie suchen. Er fand sie alle bei den Brüdern seiner Frau. Die Bärenbrüder wussten schon, dass der Mann ihrer Schwester ein Mensch war. Weil ihre Schwester diesen Menschen so gern hatte, erlaubten sie ihm, für immer bei ihnen zu leben."

 

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 Aus FREIE WELT 6/81: MÄRCHEN

 

 Der Hase und die Sonne

*

Eines Tages stahlen die Tungaks - die bösen Geister der Eskimos - den Bewohnern der Tundra die Sonne. Alle Tiere tappten fortan im Dunkeln und fanden kaum Nahrung. Als sie am Verhungern waren, beschlossen sie, rat zu halten. Von sämtlichen Tierarten kam je ein Ábgesandter. der Rabe, der als der Weiseste galt, eröffnete die Beratung: `Geflügelte und bepelzte Mitbrüder´, krächzte er: `Ich habe mir von den Alten sagen lassen, dass unweit von hier, in einem tiefen Erdloch die Tungaks hausen. Sie bewahren die Sonne in einem weißen Steingefäß auf. Senden wir das größte und stärkste aller Tiere, den Bären, nach der Sonne aus.´ Etwas abseits besserte eine alte schwerhörige Eule ihre Narte, den Hundeschlitten, aus. `Warum lärmen die Tiere so?´ fragte sie eine kleine Schneeammer. - `Sie wollen den Bären schicken, die Sonne zurückzuerobern.´- Da sagte die Eule: `Sowie der Bär auf einen Leckerbissen stößt, vergisst er alles auf der Welt. Der bringt uns die Sonne nicht!´ als die Tiere die Worte der alten Eule vernahmen, wussten sie nicht, was tun. Da meinte der Rabe: `Schicken wir den Wolf. Er ist nach dem Bären der Stärkste und Flinkste.´ Wieder fragte die Eule ihre kleine Nachbarin: `Warum lärmen die Tiere so?´- `Sie wollen den Wolf schicken, die Sonne zu holen.´- Da sagte die Eule: `Sowie der Wolf unterwegs einem Rentier begegnet, vergisst er alles auf der Welt. Der bringt uns die Sonne nicht!´ Als die Tiere die Worte der alten Eule vernahmen, wussten sie nicht, was tun. Da piepste ein kleiner Ziesel im grauen Pelz: `Das Schneehäschen müsste man schicken.´ Wieder fragte die Eule die Schneeammer: `Warum lärmen die Tiere so?´ - `Sie wollen den Hasen schicken.´- Die Eule dachte ein Weilchen nach, dann sagte sie: `Ja, den Hasen wird nichts aufhalten!´

Und so war es denn auch...

Fortan preisen alle Tiere in der Tundra das tapfere Schneehäschen."

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 

 Aus FREIE WELT 19/1981: MÄRCHEN

 

 Der Rabe und die Eule

*

In alten Zeiten soll nicht nur der Rabe, sondern soll auch die Eule schneeweiß gewesen sein…

Eines Tages begegneten sie sich in der Tundra, da sagte der Rabe: `Beide sind wir weiß. Wollen wir einander färben!´ - `Na, schön´, sagte die Eule, `versuchen wir´s mal.´- Einverstanden´, sagte der Rabe, ´ich bemale dich zuerst.´

Aus der Tranfunzel einer Jaranga kratzte der Rabe den schwarzen Ruß und verzierte sorgfältig mit einer großen Schwanfeder das Gefieder der Eule. Ein jedes Federchen erhielt einen dunkelgrauen Tupfer; auf den Flügeln waren sie größer, auf Brust und Rücken kleiner.

Die Eule musterte sich von allen Seiten und freute sich: `Jetzt bin ich wirklich schön.´ Und zum Raben sagte sie: `Und jetzt mache ich dich schön.´

Der Rabe wandte sich der Sonne zu, schloss die Augen und verhielt sich ganz still, damit die Eule ihn nur rech schön bemale.

Die Eule gab sich ebenfalls ganz große Mühe. Wie sie dann fertig war, musterte sie den Raben von allen Seiten und beäugte auch sich selbst. Da stellte sie fest, dass der Rabe schöner war als sie. Sie wurde so wütend darüber, dass sie den ganzen Tranruß über den Raben ausschüttete. Gleich darauf flog sie davon. Der Rabe wollte seinen Augen nicht trauen: `Ach du Glotzauge, ach du Krallenfuß!´ rief er erbost. Aber es half nicht, der Ruß hatte die Federn des Raben für alle Zeiten rabenschwarz durchtränkt."

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 Aus FREIE WELT 24/1981: MÄRCHEN

 

 Der Eisbär und der Wind

*

Steht einmal ein Eisbär auf einer Eisscholle und schaut in die weite weiße Welt. Da- eine Ringelrobbe! `Ach hätte ich einen Freund´, denkt der Eisbär, `der könnte ihr in den Rücken fallen, dann hätten wir ein leckres Mahl!´

Er hatte aber keinen Freund...

Da hörte er ein piepsiges Stimmchen: `Hilf mir, puste kräftig, damit ich wieder zu Kräften komme. Ich treibe dir dafür auch die Scholle mit der Ringelrobbe heran.´ Also pumpt sich der Eisbär die Lungen voll und bläst so stark er nur kann. Und schon gleich treibt der Wind eine Eisscholle auf ihn zu, auf der viele Ringelrobben liegen.

Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang saust der Wind über dem Meer hin und her, und im Morgengrauen ist er zum Umsinken müde. Da kommt ihm seine neuer Freund, der Eisbär in den Sinn...Mit Müh und Not schleppt er sich zu der Eisscholle de Bären. Doch der will nichts von Freundschaft wissen, eil er doch im Augenblick gar keinen Hunger hat. Da sagt der todmüde Wind sehr traurig: `Du bist kein echter Freund. Du denkst an Freundschaft nur, wenn du selbst in Not bist.´

So endete die kurze Freundschaft zwischen Eisbär und Wind."

*

Aus dem Russischen übersetzt von  Johann Warkentin; Redaktion: Gisela Reller

 

 

 Aus FREIE WELT 24/1981: LIed

 "Uniapat"

 

Woher kommst du, Uniapat? / Suchten dich schon so lang. / Warum blickt dein Auge so bang? / Sag, wie war dein Fang? / "Ich war in der weiten Welt, / schwamm beim Mond fern im Meer, / Fischlein kamen zu mir her / und mein Netz ward schwer, /  und mein Netz ward schwer."/ Ei, das freut uns, Uniapat, / wenn dein `Fang ist so reich. / doch weshalb bist du so bleich? / Sag, was fingest du gleich? / "Ach, ich fing zwei Monde nur, / darum ich traurig bin. / Wer sie aber hat im Sinn, / dem geb ich sie hin, /dem geb ich sie hin.

Aus dem Russischen übersetzt von  Helmar Balzer; Redaktion: Gisela Reller

 

 

"Die Mehrzahl der Vorstellungen, magischen Bräuche und Tabus der Eskimos hingen mit ihrem Kampf um das Leben, mit ihrer Jagd auf Tiere der Tundra und des Meeres zusammen. In einigen kam die Absicht zum Ausdruck, Wild für die Zukunft zu bewahren, da die rücksichtslose Ausbeute der Natur unvermeidlich zu Hunger und Verderb führen würde."

 

G. A. Menowstschikow, Leningrad, in: Glaubenswelt und Folklore der sibirischen Völker, 1956

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise zu den ESKIMOS (und Tschuktschen):

 

Rezensionen in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

* KATEGORIE REISELITERATUR/BILDBÄNDE: Klaus Bednarz, Östlich der Sonne, Vom Baikalsee nach Alaska, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 2003.

"Die dritte Etappe führt Klaus Bednarz von den Tschuktschen und asiatischen Eskimos auf der äußersten Nordostspitze Sibiriens über die Beringstraße bis zu den Küstenindianern im Süden Alaskas."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Tatjana Kuschtewskaja, Mein geheimes Russland, Reportagen, Mit 70 Fotos, Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt, Claudia Catz, Verena Flick und Alexander Nitzberg, Grupello Verlag, Düsseldorf 2000.

"Aber auch die Texte - Reportagen, Skizzen, Essays, Berichte - die über nicht berühmte Personen erzählen, sind erstaunlich, vor allem deshalb, weil diese Personen meist Vertreter der kleinen Völkerschaften der ehemaligen Sowjetunion sind: Udmurten, Jakuten, asiatische Eskimos, Tschuktschen, Nenzen, Chanten, Nganasanen, Ewenken, Ewenen, Zigeuner... Obwohl ich als Journalistin viele Male in der Ex-UdSSR war, um über die mehr als hundert kleinen Völkerschaften zu berichten, hat auch mir die Kuschtewskaja immer wieder Verblüffendes mitzuteilen."

In: www.reller-rezensionen.de

 * KATEGORIE REISELITERATUR/BILDBÄNDE: Thomas Roth, Russisches Tagebuch, Eine Reise von den Tschuktschen bis zum Roten Platz, List Verlag, München 2002.

"Ich erinnere mich an einige Tagesschau-Beiträge von Thomas Roth, die ich sehr interessant fand, zumal ich als DDR-Journalistin in den meisten Gebieten selbst gewesen bin - auch im eskimoischen Lawrentija auf Tschukotka, auch im Burjatischen Kloster von Iwolginsk, auch in Magadan, auch in Wladiwostok. Was ich in Wladiwostok damals nicht erfahren hatte: Einer der berühmtesten Glatzköpfe, der in Hollywood die ganz große Kariere machte, kam aus Wladiwostok - Yul Brynner, der dort 1920 geboren wurde. Bynners Großvater, ursprünglich ein Schweizer, besaß eine Import-Export-Firma in Wladiwostok, die bis weit nach Ostsibirien und in die Mandschurei Handel trieb. Brynners Mutter setzte sich, von ihrem Mann verlassen, mit dem vierjährigen Jungen nach Paris ab."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Unna, Aus dem Russischen von Charlotte und Leonhard Kossuth, Unionsverlag, Zürich 1997.

"Mir scheint, dass Tschuktschen und asiatische Eskimos vom diktatorischen russischen Regen in die demokratische westliche Traufe gekommen sind. Die Lebensbedingungen sind eher schlechter geworden und die von Rytchëu angemahnten Gefühle von 12 000 Tschuktschen und 1 200 Asiatischen Eskimos haben weniger Platz denn je."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Im Spiegel des Vergessens, Aus dem Russischen von Charlotte und Leonhard Kossuth, Unionsverlag, Zürich 1999.

"Ach, dieses Buch ist einfach ein Ärgernis. Und kaum eine Seite, auf der nicht gesoffen wird, was das Zeug hält. Im vorangegangenen Buch `Unna´ haben, von den Russen verführt, die einheimischen Tschuktschen und asiatischen Eskimos auf Tschukotka bis zur Bewusstlosigkeit `übles Wasser´ getrunken, in diesem Buch scheint ganz Russland im Suff."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Die Reise der Anna Odinzowa, Aus dem Russischen von Charlotte und Leonhard Kossuth, Unionsverlag, Zürich 2000.

"Nun will Anna Odinzowa an Ort und Stelle das Leben der Nomaden in der Tundra erkunden. Ihr Vorbild ist die amerikanische Ethnologin Margaret Mead (1901 bis 1978), die das Leben der Eingeborenen von Samoa erforschte. Doch Anna Nikolajewna Odinzowa will mehr, will `keine Sicht von außerhalb´. Aus eigenem Erleben will sie über das Leben in einer Jaranga (der Wohnstatt der Tschuktschen und asiatischen Eskimos), über die Beschwörungsformeln eines Schamanen, über das Sexualleben der Ureinwohner berichten... Schon sieht sie sich im Petersaal der Kunstkammer einen Aufsehen erregenden `Vortrag von universellem Maßstab´ halten! Und dafür ist der besessenen Wissenschaftlerin jedes Mittel recht."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Der letzte Schamane, Die Tschuktschen-Saga, Aus dem Russischen von Antje Leetz, Unionsverlag, Zürich 2002.

"In den Überlieferungen wird als erster Vorfahr Rytchëus Ermen erwähnt, der einen Sohn, Akmol, hatte. Der wiederum nahm sich in der benachbarten Eskimosiedlung Nuwuken die Eskimofrau Ulessik. Beide hatten einen Sohn, Mlemekym,  und der wiederum einen jüngeren Bruder, Goigoi. Der Nachkomme von Mlemekym war Mlerynnyn, der sich als zweite Frau die Ewenin Tulma nahm, die die Tochter Koranau gebar. Der älteste Sohn von Mlerynnyn, Tynemlen, wird in den Überlieferungen neben Kunlelju genannt, der berühmt war wegen seiner Siege über die russischen Kosaken. Zum Gedenken an die Vorfahren gaben die Schamanen dem nächsten Nachkommen des Stammes den Namen Mlemekym. Die Namen wiederholten sich von Zeit von Zeit, mehrmals taucht der Name Tynemlen auf, der die Tochter des Rentiermenschen Tynawana zur Frau nahm. Ihr ältester Sohn, Mlatangin, heiratete Korginau, die Tochter des Schamanen Kaljantagrau, der die Verbindung der Ureinwohner von Uëlen mit dem Schamanengeschlecht begründete. Aus dieser Ehe ging Juri Rytchëus Großvater hervor, der die Tochter des Rentiermenschen Rentyrgin, Giwewnëu, heiratete. Er war der letzte Schamane von Uëlen."

In: www.reller-rezensionen.de

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Der Mondhund, Aus dem Russischen von Antje Leetz, Unionsverlag, Zürich 2005.

„Ganz sicher sehen die Tschuktschen und die asiatischen Eskimos Juri Rytchëu unabdingbar als einen der ihren an, weil es seine an Verstand und Herz appellierenden Geschichten sind, die in aller Welt Verstehen und Zuneigung weckten für zwei am `Rande der Welt´ lebende kleine Völker, deren Sitten und Bräuche Pelzhändlern, Forschungsreisenden, zufällig hierher verschlagenen Schiffbrüchigen den Atem stocken ließ.“

In: www.reller-rezensionen.de

 

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Juri Rytchëu, Polarfeuer, Aus dem Russischen von Antje Leetz, Unionsverlag, Zürich 2007.

„Mit diesem - verspätet zu uns nach Deutschland gelangten Roman - hat Juri Rytchëu ein wunderbares Werk geschaffen - voller grandioser Bilder mit nordischer Natur und arktischem Getier. Trotzdem ist `Polarfeuer´ keine Folkloreliteratur, sondern Weltliteratur. Der Autor verfällt niemals in Schwarz-Weiß-Malerei (obwohl schon in den sechziger Jahren geschrieben). Vielleicht hat er die eine oder andere Szene heutigentags hinzugefügt? - Eine Szene hatte ich im Buch nicht verstanden: Warum darf man, dem Brauche nach, einen ins Wasser gefallenen Menschen nicht retten? Juri Rytchëu antwortete mir anlässlich seiner Berliner Buchlesung: `Die Tschuktschen und Eskimos können nicht schwimmen [weil sich das Wasser auf Tschukotka nie auf mehr als auf 4 Grad plus erwärmt]. Ertrinkende gelten als Opfer böser Geister, mit denen man nicht kämpfen darf.´“

In: www.reller-rezensionen.de

* HÖRBUCH: Juri Rytchëu, Der Mondhund, Aus dem Russischen von Antje Leetz, Lesung, Sprecher: Karl Menrad, Goya LiT, Zürich 20052 CDs.

"Ein Polarhund beißt ein Stück von der Mondscheibe ab und erlangt dadurch die Kunst, sich in ein anderes Lebewesen zu verwandeln. So wird der Polarhund, der jetzt Monder heißt, erst eine Robbe, dann ein Rabe, eine Mücke, ein Rentier, ein Vielfraß und zuletzt ein Mensch. Nach jeder Verwandlung erlebt er viel Neues, Gutes und Böses und erfährt viel über die Tücken des Lebens. Als Mensch verliebt sich Monder in Tirkyneu (sprich: Tir-ky-ne-u), die Tochter des Sonnenherrschers. Wegen dieser Liebe will Monder nun für immer ein Mensch bleiben..."

In: www.reller-rezensionen.de

* HÖRBUCH: Juri Rytchëu, Traum im Polarnebel, Aus dem Russischen von Arno Specht, Lesung, Sprecher: Manfred Zapatka, Der Hörverlag, München 2003, 4 CDs, Mit Booklet.

"Am Schluss des Hörbuches ist auch hier `am Ende der Welt´ von Revolution und Bolschewiki die Rede. Bald wird Schluss damit sein, dass es keine Behörden, keine Oberen gibt, dass jede Siedlung für sich und mit sich allein auskommen darf... - Es fällt einem nicht schwer, Manfred Zapatkas angenehmer Stimme fast fünf Stunden lang zu lauschen."

In: www.reller-rezensionen.de

 

 Literaturhinweise (Auswahl)

* Hans Bauer, Knud Rasmussen, Ein Leben für die Eskimo, VEB F. A. Brockhaus Verlag, Leipzig 1974.

Der Autor zeichnet ein fesselndes Bild von der ungewöhnlichen Forscherpersönlichkeit Knud Rasmussens. Und er schildert Episoden aus den fünf Expeditionen Rasmussens, die den Eskimoalltag darstellen  u. a. gefährliche Jagden und Geisterbeschwörungen.

"Die andere Berührung mit der Eskimo-Vergangenheit hat Rasmussen auf der Felseninsel Klein-Diomedes zwischen Kap Prince of Wales in Alaska und der Ostküste Sibiriens, auf der er eines Tages während einer Exkursion Schutz suchen mußte, als ein schwerer Sturm in der Beringstraße tobte. Auf dem äußersten Vorsprung eines Abhanges gewahrte er ein Haus, das stattlicher als die anderen ist. Ehemals, so erfährt er, war es das Festhaus des Ortes, jetzt aber, im Zuge der Modernsierung auch des Eskimolebens, ist es zu einer Nähstube für einsame alte Frauen geworden. - Rasmussen läßt es sich nicht entgehen, das Haus zu besuchen. Durch einen langen Gang, in dem sich der Geruch längst entschwundener Zeiten festgesetzt und ältestes Eskimotum konserviert zu haben scheint, geht es dann zu einer runden Öffnung im Fußboden. Sie stellt einen Eingang dar, durch den man über eine recht steile Leiter in einen weitausgedehnten Aufenthaltsraum gelangt, der einer Halle gleicht - An den vier Wänden hängen dort alle möglichen Schmuckstücke und Ringe, die an die zeit erinnern, da hier getanzt und gefeiert wurde, und an ihnen entlang verläuft eine Schlafbank. Eine der Frauen, die sich hier aufhalten, ist Manjunqo, die ganz in der Vergangenheit lebt und die Rasmussen auch gern aus ihren Erinnerungen erzählt, allerdings erst, nachdem ihr glaubhaft gemacht worden ist, daß der Fremde kein Missionar und kein Händler ist, also nicht zu jenen Leute gehört, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht hat und von denen sie deshalb nichts wissen will. - Sie erzählt von den Tagen, als in diesem Hause in jedem herbst große Fest zu Ehren der `Seele des Wals´ gefeiert wurden, und sie berichtet davon, daß ein Gebot verlangte, das Fest mit immer neuen Liedern und Gesängen zu eröffnen. Um aber auf gute Gedanken zu kommen, hätten die Männer alle Lampen gelöscht, darauf geachtet, daß tiefste Stille herrsche..."

* Lieselotte Düngel-Gilles, Knud Rasmussen, Altberliner Verlag Lucie Groszer, Berlin 1970.

Die Autorin zeichnet in ihrem Buch ein echtes, unromantisches Bild der Eskimos, wie Rasmusen es in seinen Tagebüchern überliefert hat. Zugleich führt sie uns die Gestalt des großen Forschers vor Augen, den die Eskimo Bruder nannten.

 

* Heinz Israel, Eskimo, Beinschnitzerei eines Polarvolkes, Aus dem Staatlichen Museum für Völkerkunde Dresden, Prisma Verlag Zenner und Gürchott, Leipzig 1983.

 

* Jan Welzl, Ein Leben in der Arktis, Aus dem Tschechischen übertragen von Adolf Lane, Verlag Scherl Berlin 1930.

Ein Buch, das ich verschlungen habe! Es beginnt damit, dass der Autor Jan Welzl, ein Tscheche, als Schlosser beim Baum der Transsibirischen Eisenbahn arbeitet. 1893, so schreibt er, sei ihm zum ersten Mal der Gedanke gekommen, „aus Irkutsk durch das unendliche Sibirien nach dem hohen Norden zu gehen“. Jan Welzl war längst „kein Neuling mehr im Wandern. Schon im Jahre 1894 „begab ich mich als junger Schlossergeselle auf eine Wanderung von Hohenstadt nach Genua, von dort nach Triest, Bosnien, Serbien, Rumänien und wieder zurück in die Heimat. So wanderte ich vier Jahre lang und hatte also viel von der Welt gesehen, noch ehe ich wieder zu Fuß nach Genua ging, von dort als Matrose nach Nordamerika fuhr, dann zurück über den Atlantischen Ozean an der Küste von Westafrika entlang bis zum Tafelberg und über den Indischen Ozean nach Wladiwostok, Port Arthur und schließlich nach dem Baikal“. Im Norden, so hörte Welzl, lauere zwar überall der Tod, aber ein umsichtiger, erfahrener und bedachtsamer Mann könne hier sein Glück finden. Jan Welzl freundete sich immer mehr mit dem Gedanken an, zu Fuß durch ganz Sibirien bis zum Eismeer zu gehen. „Zwar lag noch ein schreckliches, unbekanntes Festland zwischen mir und meinem unklaren Ziel. Aber ich hatte gehört, daß verschiedene politische Sträflinge in Fesseln die Urwälder und Wüsten [?] durchquert haben, daß sie oft Jahre unterwegs waren und über unermeßliche Ströme gekommen sind. Und das waren Verbannte, die dauernd auf der Hut sein mußten, um nicht von Kosaken ergriffen, zu Tode geprügelt oder wieder in ihre Kerker gebracht zu werden. Und das waren oft bis zu Tode entkräftete Menschen mit angegriffener Gesundheit. Wenn sie durchgekommen waren, weshalb sollte ich es nicht fertigbringen, ich, ein junger, kräftiger, gesunder, erfahrener Mann, der ein schönes Häuflein gesparter Rubel besaß, mit denen er einige Jahre zu reichen hoffte.“ Und so machte sich Jan Welzl vom sibirischen Krasnojarsk aus auf dem Weg bis zu den Bäreninseln, den Neusibirischen Inseln, zur Wrangelsinsel, zur Insel Nowaja Semlja, auch zur Einsamkeitsinsel. Was Jan Welzl in all den Jahren erlebt, ist schier unglaublich – aber wahr! - Vom Schlossergesellen und vielseitigen Handwerker bringt er es im Eskimo-Land zum Großhändler, Posthalter, Zahnarzt, Arzt, Schiffseigner und: zum Häuptling und Obersten Richter von Neusibirien. Aus keinem anderen Buch habe ich so viele spannende Einzelheiten über die asiatischen Eskimos zu Anfang des 20. Jahrhunderts erfahren wie aus dem Buch von Jan Welzl.

 

* Die Sonnentochter und andere Märchen der Tundra, darin das eskimoische Märchen "Kleine Leute", Die von Margarete Spady übersetzten Märchen wurden von Lieselotte Fleck nacherzählt, Zeichnungen: N. G. Basmanowa, Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin 1954.

 

Von 1953 bis 1956 habe ich im Berliner Verlag Kultur und Fortschritt Verlagsbuchhändlerin gelernt. Als 1954 "Die Sonnentochter und andere Märchen der Tundra" erschien, erfuhr ich das erste Mal von Völkern wie   Eskimos, Ewenen, Ewenken, Itelmenen [Kamtschadalen], Jakuten, Jukagiren, Keten, Korjaken, Mansen, Nanaier, Nenzen, Nganassanen, Niwchen,  Oroken,  Saamen [Lappen], Selkupen, Tschuktschen, Udehen. Ich war fasziniert!

Es sollte dann noch fast ein Vierteljahrhundert vergehen, bis ich die Lebensorte dieser Völker als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT selbst bereiste. 

Gisela Reller

* Märchen der Nordvölker, Die Herrin des Feuers, Verlag Progress, Moskau 1974 (in deutscher Sprache).

Darin auch Märchen der Eskimos.

 

* Märchen der Völker des Nordens, Der Rabe Kutcha, Verlag Malysch, Moskau 1976 (in deutscher Sprache).

Von den fernen Küsten der eisigen Meere des Nordens, aus den Weiten der Tundra, aus der Taigawildnis und von den Ufern der riesigen sibirischen Ströme kommen diese eskimoischen Märchen, deren Helden Tiere sind.

 

 * Märchen aus dem hohen Norden der Sowjetunion, Die Kranichfeder, Für Kinder nacherzählt von N. Gesse und S. Sadunaiskaja, Mit Illustrationen von Manfred Butzmann, 4. Auflage, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1983.

Jäger und Rentierzüchter sind die Helden dieser Märchen. Sie fahren mit dem Schneesturm um die Wette, ringen mit eisernen Ungeheuern, messen ihre Kräfte mit Waldriesen und verehren die Herrin des Feuers. Vielfältig spiegelt sich das Leben der Völker aus dem hohen Norden in seiner reichen Folklore, auch das der Eskimos.

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

* Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

* Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Herausgegeben von Leonhard Kossuth unter Mitarbeit von Gotthard Neumann, Nora Verlag 2008.

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

Die erste Ausgabe von HANDSCHLAG liegt vor. Von links: Dr. Gotthard Neumann, Leonhard Kossuth (Präsident), Horst Wustrau (Gestalter von HANDSCHLAG), Gisela Reller, Dr. Erika Voigt (Mitarbeiter des Kuratoriums zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V.).

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

 

 

Pressezitate (Auswahl)  zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

 

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Illustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und Gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen in der Zeit

von 1981 bis 1991.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“.

Zeichnung: Egbert Herfurth

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

 

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

 

Die ESKIMOS wurden am 30.08.2014 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 10.12.2015.

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Zeichnung: Karl-Heinz Döhring