Kinderbuch-JugendbuchREZENSIONEN

"Es muss sein."

Russin
Ein glücklicher Zufall
und andere Kindergeschichten
Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt
Mit Illustrationen von Wolf Erlbruch
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2005, 78 S.

Ein glücklicher Zufall ist das erste deutsch erschienene Kinderbuch der international bekannten russischen Erzählerin Ljudmila Ulitzkaja ("Medea", "Reise in den siebenten Himmel", "Die Lügen der Frauen", "Sonetschka und andere Erzählungen"; 2003 wurde sie  mit dem russischen Booker Prize ausgezeichnet.). Ein glücklicher Zufall beinhaltet sechs Geschichten - mit Rötelzeichnungen illustriert von dem vielmals ausgezeichneten Wolf Erlbruch (geboren 1948), seit 1997 Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.

Die erste Geschichte - Ein Papiersieg - erzählt wie Genja Pirapletschikow  von seinen Mitschülern wegen seines Namens gehänselt wird, weil er beim Laufen eigenartig hüpft, weil er nie einen Vater gehabt hat, weil er oft kränkelt ("Herbstkatarrhe, Winteranginen, Frühjahrserkältungen"...) Er ist sieben (oder acht?) Jahre alt. Da hat seine kluge Mutter eine Idee: Sie lädt Kinder der Klasse und Kinder vom Hof zu seinem Geburtstag ein. Genja fürchtet sich vor diesem Tag und will seine Feinde partout nicht zu Gast. Die Mutter aber sagt: "Es muss sein." Zum Geburtstag dann gibt es Kuchen, Tee, Drops, Karamellbonbons, eingewickelte Pralinen. Jeder darf essen, soviel er will. Dann spielt die Mutter auf dem Klavier. Beethoven. Genjas Lieblingsstück vom Murmeltier. Als sich alle satt gegessen haben, schlägt die Mutter ein Pfänderspiel vor. Doch keiner hat ein Pfand. Da schlägt die Mutter vor, dass Genja für alle Gäste ein Pfand bastelt. So fertigt der geschickte Genja aus Papier Segelschiffe, einen Becher, ein Salzfass, einen Brotkorb, ein Hemd, einen Menschen, einen Hund... Alle bedankten sich für Genjas Papierwunder. Zum ersten Mal war der kleine Genja glücklich, und die Mutter, die Geschirr spülte, "lächelte und ließ Tränen in die Seifenlauge fallen". Eine zu Herzen gehende Geschichte... - Die zweite Erzählung - Der Flüsteropa - handelt von einem fast blinden Urgroßvater, der seiner Urenkelin Dina aus der Patsche hilft, als durch ihre Schuld die Uhr ihres Bruders Alik kaputtgeht. - Die dritte Geschichte - Die Wachsente - erzählt von dem alten Lumpensammler Rodion und von Valka, die "Meister des Sports" wird. - Die vierte Kindergeschichte - Die Nägel - schildert, wie Serjosha durch seinen Urgroßvater lernt, sinnvolle Arbeit zu tun. Der einst ungeliebte Opa erwirbt die Liebe seines Urenkels. - In der fünften Geschichte - Ein glücklicher Zufall - schreibt die Autorin wie durch eine böse Nachbarin, die ihre vielfarbigen Federbetten genau vor der Wohnung der alten Kljukwina auslüftet, ein Kind gerettet wird. - Die letzte Geschichte - Das Kohlwunder - berichtet von den zwei Mädchen Olga und Dussja, Kriegswaisen, die von der alten Ipatjewa, der man den Spitznamen "Elefantin" gegeben hat, aufgenommen werden. Eines Tages schickt sie die Mädchen Kohl einzukaufen. Nachdem sie stundenlang angestanden haben, stellen sie fest, dass sie das Geld verloren haben. Ein glücklicher Zufall rettet sie...

Alle sechs Geschichten spielen in der Nachkriegszeit (Im Original heißt das Buch "Kindheit neunundvierzig".) - in der Zeit der Waisen, des Hungerns und der Armut, in der zwei Kohlköpfe zum Überleben beitragen. Diese sechs sehr anrührenden Kindergeschichten wirken auf uns Heutige recht nostalgisch. Sind sie als Gegenentwurf zum heutigen Russland gedacht? Alle sechs Geschichten sind ganz einfache Geschichten, simpel sind sie nicht, alle Geschichten haben ein glückliches Ende, auch die Nachkriegszeit ist bei der Ulitzkaja nicht nur traurig und öde. Mit allen sechs Geschichten hat uns Ljudmila Ulitzkaja (geboren 1943) unverwechselbare Kindergestalten geschenkt - einfach zu lesen schon für Achtjährige.


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de 
Weitere Rezensionen zum Thema "Krieg / Nachkriegszeit":

  • Grigori Bjelych / Leonid Pantelejew, Republik der Strolche.
  • Arkadi Gaidar, Timur und sein Trupp.
  • Grigori Bjelych / Lonid Pantelejew, Republik der Strolche.

Am 06.12.2005 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 27.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

  
Genja zu seinem Geburtstag:
Der von allen Kindern
Gehänselte bastelt
Papierwunder -
Segelschiffe, Menschen, Hunde...

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