Kinderbuch-JUGENDBUCHREZENSIONEN

Kleine Insekten - große Wunder der Natur
 
Russin
Briefe von Insekten
Aus dem Russischen von Christine Müller, Anastasia Meshcheryakova und Kristina Ertl
Illustrationen von Katya Sinkovskaia, Dina Rogatnih
IDMI Verlag, Wien 2010, 60 S.

Aus vieler Herren Länder (aus Vietnam, Italien, England, China, Kasachstan...) schreiben die unterschiedlichsten Insekten an die Autorin Olga Kuvikina, die Biologin (Absolventin der Moskauer Universität), Journalistin, Kinderbuchautorin und Aktivistin des "World Wildlife Fund" (WWF)* ist.

Da ist eine Marienkäfer-Frau, die sich bei Olga Kuvikina darüber beschwert, dass sie ihren Marienkäfer-Ehemann viele Stunden lang mit sich herumschleppen muss; da ist ein Schaben-Mann in der Blüte seines Leben, der wissen möchte, ob er nun eine Schönheit oder ein Monster ist; da ist ein Bombardierkäfer, der schießen kann, eine Dolchwespe mit Internetanschluss, eine Libelle mit Gedächtnisschwund, ein Pillendreher, der nicht zu magischem Pulver zermahlen werden will, nur weil Joanne K. Rowling in ihrem Buch über Harry Potter schreibt, wie Hermine Pulver aus Pillendrehern macht, um einen Zaubertrunk herzustellen.

Fünfundzwanzig Insekten (ein Marienkäfer mit zweiundzwanzig Pünktchen, eine Madagaskar-Fauchschabe, eine Amazonenameise, ein Totenkopfschwärmer, eine winzige Obstfliege, ein Herkuleskäfer, eine Gartenkreuzspinne, ein Atlasspinner, ein Bombardierkäfer, ein Mückenweibchen, ein Männchen der Singzikade, ein Weibchen der Großen Schlupfwespe, eine Honigbiene, eine Feldgrille, ein Heiliger Pillendreher, eine Dolchwespe, eine Braune Mosaikjungfer, ein Hundertfüßer, ein Blauer Himmelsfalter, eine Tarantel, ein mausgrauer Schnellkäfer, eine Schmetterlingsraupe des Gabelschwanzes, eine Feuerwanze, ein Weibchen des Skorpions und ein Weibchen des Gelbrandkäfers) vertrauen ihre Sorgen und Probleme der Autorin an und erhalten von ihr ausführliche Antworten, das Mückenweibchen sogar per Express-Luftpost, weil ihm ein so kurzes Leben beschieden ist. "Über die Grausamkeit der Gelbrandkäfer erfuhr ich", schreibt Olga Kuvikina, "vor vielen Jahren zum ersten Mal, als das Buch von Konrad Lorenz `Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen´ in meine Hände geriet. [...] Seit dieser Zeit bin ich ein ganzes Stück klüger geworden, habe viele Bücher über Tierpsychologie gelesen, aber so ein amüsantes und interessantes Buch wie das `vom tapferen Lorenz´ kam mir nie wieder in die Hände."

"Die eigentlichen Hausherren unseres Planeten", schreibt Olga Kuvikina, "sind die Insekten." Denn, so schreibt sie in ihrem Vorwort, die Insekten seien die zahlreichsten Lebewesen auf unserer Erde. Tatsächlich - im Brockhaus Enzyklopädie, Band 13, steht schwarz auf weiß: "Mit derzeit etwa 950 000 beschriebenen Arten umfassen die Insekten derzeit 80 Prozent aller lebenden Tierarten, und jährlich werden zahlreiche weitere Arten als neu erkannt und beschrieben. (...) Beeindruckend groß ist bei manchen Arten auch die Individuenmenge; so können Schwärme von Wanderheuschrecken aus vielen Millionen Tieren bestehen, ebenso die Staaten einiger Ameisen- und Termitenarten." In einer Legende der Bibel heißt es, dass der König Salomo mit Hilfe eines Zauberringes mit den Tieren sprechen konnte. Wissenschaftler arbeiten jetzt an der Entzifferung der Insektensprache. Sie haben sogar gelernt, den Bienen Befehle zu erteilen und die Schmetterlinge mit Hilfe der Geruchssprache anzulocken! Dies und vieles mehr erfährt man aus diesem lehrreichen Buch, z. B. auch, dass sogar der russische Zar Peter der Große panische Angst vor Spinnen hatte, das von viertausend Schaben-Arten nur ungefähr dreißig für den Menschen schädlich sind, dass es in der ganzen Welt Klubs für Ameisenliebhaber gibt, dass eigens über die winzigen Obstfliegen mit dem gelb-schwarz gestreiften Bäuchlein und den leuchtend roten Augen in Amerika eine eigene Jahreszeitschrift herausgegeben wird, das sich die 2 bis 3,5 Millimeter kleinen Obstfliegen fast so gut dressieren lassen wie Hunde...  Wahrlich ein vortrefflich geschriebenes und wirkungsvoll illustriertes Buch, das 2009 auf der renommierten "Non/Fiction International Intellectual" mit dem zweiten Preis für Kinderliteratur ausgezeichnet wurde.

"Säugetiere", meint Olga Kuvikina, "sind uns in vielem ähnlich, deshalb fällt es ihnen leicht, unser Inneres zu berühren. Doch die Insekten mit ihren gegliederten Körperteilen sind uns fremd", viele – obwohl klein, erschrecken und ängstigen uns. Deshalb wenden viele Mütter und Väter, Großmütter und Großväter nichts dagegen ein, wenn ihre Sprösslinge willkürlich Ameisen zertreten, Libellen töten, Schmetterlingen die Flügel ausreißen…

Wer Kuvikinas Briefe an Insekten gelesen hat, wird die kleinen Insekten als große Wunder der Natur begreifen und sie – wo immer es geht – am Leben lassen!

Sehr hübsch sind die vielen unterschiedlichen Insekten von Katya Sinkovskaia und Dina Rogatnih, gezeichnet - mit Hütchen auf, Stiefelchen an, Pfeife rauchend, mit Boxhandschuhen. Immer zeigt man aber neben den spielerisch umgesetzten Illustrationen auch eine Zeichnung, wie das jeweilige Insekt in Wirklichkeit aussieht und nennt dazu die lateinische Bezeichnung.

Nun möchte aber auch ich der Autorin einen Brief schreiben:

Liebe Frau Kuvikina, ich habe in der Schule gelernt, dass sich die Insekten von allen anderen Tieren dadurch unterscheiden, dass sie sechs Beine haben. Wie kommt also der Hundertfüßer in Ihr Insektenbuch? Außerdem steht in meinem Brockhaus (und auch im Internet), dass die lateinische Bezeichnung für Hundertfüßer Chilopoda ist.  Warum steht bei Ihnen Scolopendra sp.?

Und dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass der "tapfere Konrad Lorenz" ein überzeugter Nationalsozialist war. Am 28. Juni 1938 - wenige Wochen nach Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 - stellte er einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. In seinem Aufnahmegesuch schrieb er: "Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes (nie gespendet oder geflaggt) und hatte wegen dieser auch aus meinen Arbeiten hervorgehenden Einstellung Schwierigkeiten mit der Erlangung der Dozentur. Ich habe unter Wissenschaftlern und vor allem Studenten eine wirklich erfolgreiche Werbetätigkeit entfaltet, schon lange vor dem Umbruch war es mir gelungen, sozialistischen Studenten die biologische Unmöglichkeit des Marxismus zu beweisen und sie zum Nationalsozialismus zu bekehren. Auf meinen vielen Kongreß- und Vortragsreisen habe ich immer und überall mit aller Macht getrachtet, den Lügen der jüdisch-internationalen Presse über die angebliche Beliebtheit Schuschniggs [1897-1977, wurde nach dem ´Anschluss´ Österreichs von den Nationalsozialisten bis 1945 als so genannter `Schutzhäftling´ in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert.) und über die angebliche Vergewaltigung Österreichs durch den Nationalsozialismus mit zwingenden Beweisen entgegenzutreten. Dasselbe habe ich allen ausländischen Arbeitsgästen auf meiner Forschungsstelle in Altenberg gegenüber getan. Schließlich darf ich wohl sagen, dass meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht!"

Da hätte es von Seiten der Autorin oder des Verlages zumindest einer Anmerkung bedurft!


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

* Diese Organisation wurde 1961 in der Schweiz gegründet und umfasst heute ein weltweites Netzwerk aus 59 nationalen Sektionen, Programmbüros und Partnerorganisationen. Der WWF formulierte seine Ziele folgendermaßen:  „Der WWF will der weltweiten Naturzerstörung Einhalt gebieten und eine Zukunft gestalten, in der Mensch und Natur in Harmonie leben. Der WWF setzt sich weltweit ein für: die Erhaltung der biologischen Vielfalt der Erde / für - die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen / für die Eindämmung von Umweltverschmutzung und schädlichem Konsumverhalten.“ - 1986 – anlässlich des Jubiläums zum 25. Geburtstag – wurde der Name den geänderten Tätigkeitsbereichen des WWF angepasst. Man entschloss sich, den Namen in „World Wide Fund For Nature“ zu ändern.

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Am 30.08. ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 27.11.2019..

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