| Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2007, 2. Auflage, 365 S. 
 "Ich habe immer gedacht, der Krieg sei schwarzweiß. Aber er ist bunt. 
          - (...) Die Farben sind grell, die Bäume grün, und der Himmel ist 
          hellblau dort, wo Menschen getötet werden. Das Leben blüht und 
          gedeiht, die Vögel zwitschern, und die Bäume treiben junges Grün. - 
          Tote Menschen liegen im Gras und sind überhaupt nicht schrecklich, sie 
          gehören in diese bunte Welt. Man kann danebenstehen und lachen, sich 
          unterhalten. Die Menschheit erstarrt nicht und verliert nicht den 
          Verstand beim Anblick der Leichen. - Sehr seltsam, dass der Krieg bunt 
          ist." Der das - als Ich-Erzähler - in seinem Buch Die Farbe des 
          Krieges mit dreißig Jahren schreibt, war achtzehn Jahre alt, als er im ersten 
          Tschetschenien-Krieg
          das Grauen erlebte - eineinhalbtausend Kilometer weit weg von zu Hause.
 
 Das Schreiben seines Kriegsbuches, sagte 
          Arkadi Babtschenko anlässlich der Basler Buchmesse 2007, sei für ihn 
          eine Art Therapie gewesen, sein dokumentarischer Roman sei nicht 
          autobiografisch, aber wahrheitsgetreu. Babtschenko war 1996 als Wehrdienstleistender nach 
          Tschetschenien versetzt worden - 
          angeblich um Brötchen zu backen. "Bei der Ausbildung hat uns der 
          dunkle Major gesagt, er stelle ein Kommando zum Brotbacken zusammen. 
          Er wusste, womit er uns kriegen konnte. In der Bäckerei zu malochen, 
          ist der heimliche Traum jedes Soldaten. Umso mehr der Traum eines 
          `Geistes´, also eines Soldaten, der noch kein halbes Jahr gedient hat. 
          (...) Der Hunger ist in den ersten Monaten besonders quälend (...). 
          Unserem noch im Wachstum befindlichen Organismus fehlte es ständig an 
          Futter, und nachts fraßen wir auf der Latrine, jeder heimlich für 
          sich, Zahnpasta ´Jagodka´, die so appetitlich nach Erdbeeren duftet."
 
 Als die Rekruten im 
          Kaukasus ankommen, 
          sehen sie, wie auf der Landebahn in Mosdok (einer nordossetischen 
          Kleinstadt nahe der tschetschenischen Grenze) die Leichen der in 
          Tschetschenien gefallenen russischen Soldaten ausgeladen 
          werden - in silbernen Folien, glitzernd wie Bonbonpapier. Da ahnen die 
          jungen Männer, dass sie nicht zum Brötchenbacken hierher gekommen 
          sind.
 
 Seinem atemberaubenden Buch hat 
          Babtschenko, der inzwischen Jura studiert hat und heute als Autor und 
          Journalist arbeitet, "Zehn Bilder vom Krieg" vorangestellt, die einem 
          das Blut in den Adern stocken lassen. Da sind die russischen Soldaten 
          "vertiert, glühend vor Hass auf alle und jeden; da wird von den Tschechos (wie die Russen die 
          Tschetschenen nennen) berichtet, die 
          einen russischen Soldaten aufgeschlitzt haben "wie eine 
          Konservendose", die Eingeweide herausnahmen und ihn, "noch lebendig, 
          mit seinen Därmen" erdrosselten; da ist von einer kranken Kuh die 
          Rede, der russische Soldaten aus Mitleid den Gnadenschuss geben, aber 
          das Verrecken von Kameraden berührt sie kaum. "Im Krieg verändert sich 
          der Mensch sehr rasch. Erschrickt man am ersten Tag noch über einen 
          Toten, so stützt man nach einer Woche schon aus Bequemlichkeit den 
          Ellbogen auf einen abgerissenen Kopf auf, während man Fleisch aus der 
          Konservendose löffelt."
 
          Babtschenko fasst geradezu Unbegreifliches in 
          Worte.
          
 Der den "Kriegsbildern" nachfolgende 
          erste Text-Teil dieses dokumentarischen Romans berichtet über den ersten 
          Tschetschenien-Krieg (1994-1996). "Leichen treffen ein wie 
          am Fließband. (...) Die Körper werden geliefert, wie sie gerade 
          anfallen, haufenweise; zerrissen, verbrannt, aufgedunsen." So sehr die 
          Kriegsgräuel in diesem Teil erschüttern, so sind geradezu unerträglich 
          die skrupellosen Prügel der älteren Soldaten gegenüber den Neuzugängen 
          - Glattärsche, Dachse, Frischlinge, Geister und heiße Schweine 
          genannt. "Der Speichel ist salzig, vermischt mit Blut, meine Zähne 
          sind locker. Ich kann keine feste Nahrung essen, Brot kaue ich mit 
          Mühe. Wenn es in der Kantine statt Brot Zwieback gibt, esse ich nur 
          die Suppe. Das ist bei uns allen so. Wir können nicht kauen, wir 
          können nicht tief einatmen - das Brustbein ist von den Faustschlägen 
          der Altgedienten so malträtiert, dass es wie ein einziger blauer Fleck 
          aussieht. Luft bekommen wir nur mit flachen, häufigen Atemzügen." die 
          meist nächtlichen Prügelszenen der Altgedienten, "Großväter" geheißen, 
          nehmen wohl die Hälfte dieses Text-Teils ein. "Im Zivilleben als man 
          mir von der Herrschaft der alten Männer erzählte, dachte ich, ich 
          würde so nicht leben können. Ha! Wo zum Teufel soll ich hin! Entweder 
          du hängst dich auf, oder du kriegst eins in die Schnauze - eine andere 
          Wahl hast du nicht." Die Zahl der gemeldeten Misshandlungen geht Jahr 
          für Jahr in die Zehntausende, und ohne das "Komitee der 
          Soldatenmütter" wären viele gar nicht erst bekannt geworden. Aufsehen 
          erregte zuletzt - auch in der deutschen Presse - der Fall des Rekruten 
          Andrej Sytschow, dem nach Misshandlungen in der Panzerschule von 
          Tscheljabinsk beide Beine und die Genitalien amputiert werden mussten. 
          Über die desolaten Zustände in der völlig korrupten russischen Armee 
          berichtet auch die russische Journalistin Anna Potitkovskaja in ihrem Buch 
          "In Putins Russland".
 
 Der zweite Teil des erschütternden 
          Kriegszyklusses berichtet über den zweiten Tschetschenien-Krieg 
          (1999-2000), in den Arkadi Babtschenko aus eigenem Antrieb ging. 
          Warum? Als Söldner? Ein Motiv dafür wird an keiner Stelle des Buches 
          deutlich. Oder doch? Wollte er als Altgedienter die Frischlinge 
          prügeln? Er tut es - an einer einzigen Stelle des Buches berichtet er 
          darüber: "Nachts schlage ich die Wache dafür, dass sie ihren Posten 
          eigenmächtig verlassen hat. Dann schlage ich zwei von unseren Neuen." 
          Gibt es so etwas wie eine Kriegs-Sucht? "Ich liebe dich, Krieg. (...) 
          Du bist meine erste Frau, meine erste Liebe. Viele Jahre sind 
          vergangen, aber niemanden konnte ich so lieben wie dich. Mit achtzehn 
          Jahren wurde ich als naiver Welpe in dich hineingeworfen, und ich bin 
          in dir getötet worden. Und bin wiederauferstanden als hundertjähriger 
          Greis, krank, mit leerem Blick und ausgebrannter Seele. - Du bist für 
          immer in mir."
 In den beiden Tschetschenien-Kriegen 
          kamen bis zu zweihunderttausend Menschen ums Leben. Und heute? "Im 
          jetzigen russischen Fernsehen kommt der Tschetschenien-Krieg überhaupt nicht vor", sagt 
          Elena Tregubowa in einem Interview ("Berliner 
          Zeitung" vom 21./22.07.07), "obwohl dort nach wie vor jeden Tag 
          Menschen sterben*."
 In Babtschenkos Buch folgt Ungeheuerlichkeit auf Ungeheuerlichkeit: Da werden an die Soldaten 
          Erkennungsmarken aus Aluminium ausgegeben - Babtschenko erhält die 
          Nummer 629600 -, da suchen unter menschenunwürdigen Bedingungen 
          russische Mütter ihre noch lebenden oder schon toten 
          Söhne, da geraten russische  Soldaten aus Unorganisiertheit in 
          die eigenen Schusslinien... Als ich in 
          "Der Animator" von Andrej Wolos 
          las, dass ein russischer Militär den Tschetschenen Waffen 
          (Haubitzengeschosse) verkauft, um sich für das Geld sein Traumhaus zu 
          bauen, mochte ich das nicht glauben. In Babtschenkos Buch verkaufen 
          Angehörige der russischen Armee zu Hauf illegal Waffen an die 
          Tschetschenen. "Die Regimentskommandeure stehlen schon ganze 
          Autoladungen voll, und die Generäle stehlen die Autos selbst. Es sind 
          Fälle bekannt, da den Tschechos nagelneue, noch eingefettete 
          Panzerfahrzeuge verkauft wurden, gewissermaßen ab Werk. (...) Mit 
          unserem Leben wurde längst für die Einfamilienhäuser der Generäle bezahlt, die an der 
          Rubljowskoe-Chaussee wie Pilze aus dem Boden 
          schießen."
 Der letzte Funke Menschlichkeit wird mit Haschisch und Wodka erstickt.
          
 Sätze wie diese empfinde ich wie einen Aufschrei des Autors:
 Wir wissen nicht, wofür wir kämpfen. Wir 
          haben kein Ziel, keine ethische, innere Rechtfertigung für all unser 
          Töten." / "Mit diesem Krieg machen alle ihr Geschäft." / "Jeder 
          versucht, ein Stück aus dem Kuchen namens Krieg zu schnappen. Wen 
          kümmern wir, die Soldaten?"/ "Sie bezeichnen diesen Krieg als 
          Regierungsaufgabe. So könnte es eigentlich auch in den 
          Gefallenenmeldungen stehen: `Kopf abgeschnitten in Erfüllung der 
          Regierungsaufgabe.´" / "Die Offiziere unseres Bataillons sind zu einer 
          organisierten Bande geworden. Sie sind `Schakale´." / "Unsere Armee 
          ist eine Arbeiter- und Bauernarmee, durch ewigen Geldmangel zur 
          Verzweiflung getrieben, vertiert vor Hunger, ohne Dach über dem Kopf, 
          gepeinigt und geprügelt von allen und jedem, unabhängig von den 
          Rangabzeichen, und rechtlos - keine Armee, sondern eine Herde." / 
          "Dreckschweine. All diese Jelzins, Dudajews, Gantamirows, Awturchanows, Sawgajews, Gratschows und 
          Putins - wer sind sie? wer ist dieses 
          Gesindel, das auf unserem Blut Karriere macht?" / "Die 
          Klugen und die Schönen sind dank ihrer reichen Papas am Krieg 
          vorbeigekommen, in Grosny sterben gewöhnliche Bauernjungs, die kein 
          Geld hatten, um sich freizukaufen." / "Der Krieg wird nicht hier, sondern in 
          Moskau gemacht."
 
 "Einem Menschen, der nie im Krieg gewesen 
          ist, kann man den Krieg nicht erzählen - nicht, weil er zu dumm oder 
          begriffsstutzig wäre, sondern einfach, weil er nicht die nötigen 
          Sinnesorgane besitzt, um den Krieg zu begreifen. Es ist ja auch dem 
          Mann nicht gegeben, ein Kind auszutragen", weiß Babtschenko. Dennoch: 
          Unvergessliche Kriegsbilder prägen sich ein, Wegschauen geht nicht 
          mehr! Arkadi Babtschenkos als Antikriegsbuch zu lesendes Werk ist von 
          ungeheurer Eindringlichkeit, in einem ganz nüchternen und gerade 
          dadurch beeindruckenden Stil ohne stilistischen Zierrat. Die Farbe 
          des Krieges erhielt den Preis der russischen literarischen 
          Zeitschrift "Debüt", Kritiker vergleichen Babtschenkos Buch mit den 
          Werken von Erich Maria Remarque und Ernest Hemingway. Babtschenko ist 
          inzwischen verheiratet, hat eine kleine Tochter und zwei Mädchen aus 
          dem Waisenhaus adoptiert. Als "Kriegsreporter" schreibt er für die "Nowaja 
          Gaseta" (Neue Zeitung), eine der letzten unabhängigen Zeitungen 
          Russlands, für die auch die regimekritische, 2006 ermordete Journalistin 
          Anna Politkovskaja schrieb.
 
 In einem fundierten Nachwort des 
          Übersetzers Olaf Kühl werden die historischen Hintergründe der 
          Tschetschenien-Kriege aufgezeigt; es empfiehlt sich, es vor der 
          Lektüre von Die Farbe des Krieges zu lesen.
 
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