Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wir sind TOFALAREN: Die Rentierzüchterin Raja und der

Wolfsjäger Albert Bakanajew

 

 

    

 Fotos aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden. 

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

„Hier gibt es Gebiete, in denen die Menschen noch kaum Spuren hinterlassen haben und Taiga, riesige Flüsse, Wasserfälle und mysteriöse Höhlen. Hier findet man Meteoritgestein, und  hier leben die selten gewordenen Zobel, eine kleine Pelztierart. Es ist das Land, von dem Valentin Rasputin sagte, es sei das `Land das dem Himmel am nächsten´ ist.“

Authentisch Reisen, Breisgau, 2012

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, das kleinste Volk Sibiriens, die Tofalaren, kennenzulernen, sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein tofalarisches Sprichwort -

 

Eine schöne Reise besteht aus lauter schönen Kleinigkeiten.

 

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Die TOFALAREN… (früher: Karagassen; Eigenbezeichnung: Tofa  = Mensch und Tofalar = Plural)

 

 

Noch einbauen?

Die Tofalaren bilden eine sehr kleine Volksgruppe im Ost-Sajangebirge (Bezirk Nishneneudingsk) westlich des Baikalsees. Tofalaria - das Land der Tofa - ist ein Land mit malerischen Bergen, mit schnell dahin fließenden Flüssen, mit unberührter Taiga und Alpenwiesen. Die selbst im Sommer schneeweißen Gipfel grenzen Tofalaria von Tuwa im Süden ab; die Flüsse fließen von hier nach Norden, in die Ebene, oder nach Westen, in das Miuss-Becken - zum Fluss Jenissej.Ihre Bevölkerungsstärke beträgt 700 Personen. Die Tofalaren wurden erstmals in chinesischen Chroniken des 5. Jahrhunderts erwähnt. Etwa im 17. Jahrhundert wurde Tofalarien ein Bestandteil des Moskauer Staates, hier verlief die Grenze zu China. Sie wurden erst spät, im Laufe des 17. bis 19. Jahrhunderts turkisiert. Davor htten ihre Vorfahren eine der benachbarten ugrischen Sprachen benutzt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden sie Karagassen genannt. Erst danach setzte sich die Bezeichnung Tofalaren durch. Ihre Herkunft ist (wie die vieler anderer sibirischer Ethnien, über die lange keine schriftlichen Quellen vorlagen, umstritten. Ihre sprachliche Nähe zu den turksprachigen Tuwinern, lässt vermuten, dass sie aus dem westsibirischen Tuwinien (Tuwa) abgewandert sind. Allerdings ähnelt ihre Lebensweise stark der der nordsibirischen Völker. Traditionell waren die Tofalaren nomadische Jäger und Sammler. Ihr einziges Haustier war das Rentier, das ihnen als Transportmittel, Felllieferant und Nahrungsquelle diente. Auch Hunde waren wichtige Helfer auf der Jagd und durften mit den Menschen im Zelt leben. Die Behausungen, die im Sommer mit Rinde, im Winter mit Tierhäuten bedeckt war, ließen sich leicht auf- und abbauen. Im Winter ernährten sich die Tofalaren hauptsächlich von der Jagd, im Sommer von Wildpflanzen und Fischen, weshalb sie alle drei Tage ihren Aufenthaltsort wechselten. Eine Wende im Leben der Tofalaren brachte das Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, als sie sich gezwungen sahen, auf ihre traditionelle Lebensweise zu verzichten. Der Staat schuf die Bedingungen, dass sie sesshaft werden konnten. Zu diesem Zweck wurden im Gebiet Irkutsk drei auch heute nochexistierende Siedlungen erbaut: Alygdsher, Nercha und Werchnaja Gutara. Natürlich konnten sie nicht die ganze Zeit nur in diesen Siedlungen bleiben. Die Hirten begleiteten ihre Rentierherden. Die Jäger verließen für längere Zeit die Siedlungen, um in der Jagdsaison in ihre oft weit entfernt gelegenen Jagdgebiete zu ziehen. Dennoch wurde ein großer Teil der Tofalaren richtig sesshaft. In ihren Siedlungen wohnten auch Russen. Mit der Zeit entstanden feste nachbarliche, freundschaftliche und später auch verwandtschaftliche Beziehungen. In den 1920er und 1930er Jahren wurde ihnen noch ein nationaler Rayon zugestanden. Heute gelten sie als eine in ihrer Existenz bedrohtes indigenes Volk des russischen hohen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens, die sich seit der Perestroika im Dachverband RAIPON (Russische Assoziation der indigenen Völker des Nordens) zusammengeschlossen haben. Für sie war in den 1990er Jahren eine sinkende Lebenserwartung, hohe Kindersterblichkeit und ein schnelles Sinken des natürlichen Bevölkerungswachstums kennzeichnend; hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Gründung der Organisation, damals unter dem Namen "Assoziation der Kleinen Völker" erfolgte 1989 auf dem ersten Kongress der kleinen Indigenen Völker Russlands im Moskauer Kreml. Zu den Teilnehmern des Kongresses, bei welchem indigene Vertreter aus ganz Russland erstmals öffentlich und unzensiert über die Lage ihrer Ethnien berichteten, gehörte der damalige Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow. Erster Präsident der Vereinigung wurde der von der fernöstlichen Halbinsel Sachalin stammende Schriftsteller Wladimir Sangi. (Mit ihm führte ich 1990 das unten stehende Interview.) Wladimir Sangi wurde 1993 durch Jeremej Ajpin, einen weiteren Schriftsteller, diesmal aus dem westsibirischen Volk der Chanten abgelöst. Sangi akzeptierte seine Abwahl jedoch nicht, sodass die Organisation unter leicht abgeändertem Namen neu gegründet werden musste. Eremej Ajpin machte als Präsident von RAIPON keine besonders glückliche Figur und wurde deshalb 1997 durch den Nenzen Sergej Charjutschi abgelöst, der zuletzt im April 2005 für weitere vier Jahre im Amt bestätigt wurde. RAIPON engagiert sich vor allem im Bereich der Gesetzgebung. Wichtigste Forderung ist die Umsetzung verbriefter Landrechte in Gestalt sogenannter Territorien zur Traditionellen Naturnutzung. Dieses Anliegen verfolgt RAIPON praktisch seit seiner Gründung, die Umsetzung eines entsprechenden Gesetzes wird jedoch von der Regierung seit Jahren verschleppt, was RAIPON-Präsident Charjutschi in erster Linie der Erdöl-Lobby anlastet. International engagiert sich RAIPON im Rahmen der UNO. Sie hat Beraterstatus beim UNO-Wirtschafts und Sozialrat (ECOSOC) und ist als eine von sechs indigenen Organisationen der Arktis als Ständiger Teilnehmer im Arktischen Rat vertreten. So umfassten die Tofalaren 2002 nur noch rund 837 Personen. Rund die Hälfte von ihnen (378 Menschen) sprachen zu diesem Zeitpunkt noch die tofalarische Sprache. Eine wichtige Rolle spielt das jährliche Sippentreffen „Suglan“, das im Frühsommer stattfand und auf dem traditionell alle organisatorischen Fragen besprochen wurden. Auch Ehen wurden hier geschlossen. Nach dem Abschluss aller wichtigen Fragen wurden sportliche Wettkämpfe und Spiele durchgeführt. Die kargen Verhältnisse verhinderten die Entwicklung von Kunst und Handwerk. Ihre Alltagsgegenstände waren einfach, die Kleidung kaum verziert, und sie kannten keine Schrift. Da sie außerdem kein organisiertes Gemeinwesen hatten war, das schon damals kleine Volk vor der Ankunft der Russen seinen burjatischen Nachbarn im Ost-Saja und davor chinesischen Herren tributpflichtig. Vom 17. Jahrhundert bis 1925 wurden Abgaben in Form von Fellen an die russischen Einwanderer gezahlt. Besonders schädlichen Einfluss auf die traditionelle Lebensweise hatten aber weniger die Steuern als die russischen Händler, die industrielle Waren und Alkohol in die entlegenen Gebiete zu transportieren und zu überhöhten Preisen, oft auf Kredit zu verkaufen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die meisten Familien extrem verschuldet. Ihr Glaube war schamanistisch, jede Sippe hatte einen Schamanen. Sie verehrten Berge, Flüsse, Seen und besonders den Bären, den „Herrn der Taiga“. Die Tofalaren waren im 19. Jahrhundert durch russische Missionare oberflächlich christianisiert worden. Ihr Glaube war schamanistisch, jede Sippe hatte einen Schamanen. Sie verehrten Berge, Flüsse, Seen und besonders den Bären, den „Herrn der Taiga“. Die Tofalaren waren im 19. Jahrhundert durch russische Missionare nur oberflächlich christianisiert worden. Das geht aus den Veröffentlichungen des Ethnologen Bernhard Eduardowitsch Petri (1884 bis 1937) hervor, der die tofalarische Kultur und Lebensweise in den 1920er Jahren sehr ausführlich untersuchte und sich für ihren Erhalt einsetzte. 1982 hat der bekannte sibirische Schriftsteller Wladimir Rasputin (1937 bis      )eines seiner Bücher Tofalarien gewidmet., in seinen führen Skizzen und Erzählungen sind ist die Natur Sibirien und das in enger Verbundenheit mit ihr lebende Volk der Tofalaren Gegenstand. Die tofalarische Sprache beherrschen jetzt 114 Personen - das sind 16 Prozent -, und Russisch sprechen alle Vertreter dieses Volkes. Doch der Umstand, dass nicht alle die Sprache ihres Volkes sprechen, hindert die Vertreter dieses Volkes nicht daran, sich als Tofalaren zu empfinden. Auch die Kinder aus Mischehen betrachten sich als Tofalaren. Im Jahr 1986 wurde für die Tofalaren ein Schrifttum entwickelt, und seit 1989 erlernen die Kinder die Sprache ihres Volkes in den Kindergärten und Schulen. Für diese Zwecke werden in Petersburg Lehrer ausgebildet. Für die Kinder wurden eine Fibel und verschiedene Lehrmittel zur Entwicklung der tofalarischen Sprache herausgegeben. Für die Schüler der fünften bis neunten Klasse wurden Lehrgänge zum Erlernen der traditionellen Gewerbe eingerichtet. Die Tofalaren streben die Wiedergeburt ihrer nationalen Kultur an. Große Bemühungen unternimmt diesbezüglich die nationale Assoziation „Tofalaria". 1989 wurde ein Schriftsystem für Tofalarisch ausgearbeitet und seit 1990 gibt es ein Lehrwerk, mit dem in Schulen Tofalarisch unterrichtet wird. Im Jahr 2000 erhielten die Tofalaren den Status eines kleinen Urvolkes. Leider gilt dieses Volk als aussterbendes Volk. Die Frage, wie sich ein ganzes Volk in ein winziges Volk verwandeln konnte, kann nur mit Vermutungen beantwortet werden. 1927 schrieb er, der an den ersten Expeditionen in das Gebiet des Baikalsees teilgenommen hatte: „Als die Russen in das Gebiet am Baikalsee kamen, trafen sie die Tofalaren in einem Zustand an, der dem gegenwärtigen nahe kommt, die Verringerung ihrer Anzahl war bereits lange vor der Erschließung Sibiriens erfolgt."Auf dem Höhepunkt der stalinschen Repressionen wurde der Professor von der Universität in Irkutsk der Spionage angeklagt und hingerichtet.

Die nomadische Rentierzucht und die Jagd waren die traditionellen Hauptbeschäftigungen der Tofalaren. Da die Gebirgslandschaft und die stetige Wanderschaft die Möglichkeiten für die Kommunikation der Tofalaren untereinander einschränkten, entwickelte sich bei ihnen der Brauch, an Bäumen Zeichnungen zu hinterlassen. Mit der Axt bereiteten sie am Baumstamm eine Fläche dafür vor, dann mahlten sie mit Kohle wilde Tiere oder Haustiere, Wohnstätten oder Schamanen mit einem Tamburin in den Händen. Ein jegliches bemerkenswerte Ereignis, egal ob eine erfolgreiche Jagd oder ein gewöhnliches Teetrinken unterwegs, wurde von den Taiga-Nomaden auf diesen Baumzeichnungen dargestellt. Der austretende Harz, der die Zeichnungen allmählich bedeckte, schützte sie zuverlässig vor der Verwitterung und vor Nässe. So entstand an den Bäumen eine eigenartige Chronik. Auf ihrer Wanderung durch die Taiga suchten die Tofalaren stets diese Baumzeichnungen, aus ihnen erfuhren sie, welche Ereignisse sich an dem betreffenden Ort zugetragen hatten.

Was das Studium der Bräuche dieses Volkes betrifft, so ist die Erzählung von Marta Kangarajewa interessant. Sie wurde 1930 geboren und wohnt im Dorf Alygdsher, im Gebiet Irkutsk:

„Im Sommer begaben sich die Tofalaren in die Berge, dort weideten die Rentiere gut. Im Winter wohnten sie dort, wo die Zedern wuchsen, um Zedernnüsse zu sammeln und Wild zu erlegen. Im Frühling zogen sie ins Tal. Und so waren sie ein Leben lang unterwegs - sie waren Nomaden. Starb bei ihnen ein Mensch, so zimmerte man ihm aus drei Baumstämmen eine Liegestatt. Dort wurde der Tote aufgebahrt. Man hinterließ ihm ein Rentier zum Reiten und den Sattel, ein Kochgeschirr, ein Trinkgefäß und Lebensmittel, damit er essen und auf seinem Rentier in die Totenwelt ziehen konnte. So wanderten die Tofalaren ihr ganzes Leben umher. Gebar eine Frau ein Kind, gewährte man ihr keinen einzigen Ruhetag, denn es galt, weiterzuziehen, selbst im Winter bei starkem Frost. Wohin hatten sie es so eilig? Die Kinder der Tofalaren wurden mit der Rentiermilch groß. Im Sommer und im Herbst tranken sie frische Milch, im Winter aßen sie die gefrorene Milch. Man machte sie so: Im Herbst, wenn die Milch am dicksten war, wurde sie in Säcke abgefüllt, die aus Innereien der Tiere hergestellt waren. Im Winter wurden diese Säcke dann mit einer Axt in Stücke geschlagen, die man den Kindern gab. Die Kinder der Tofalaren kannten deshalb keine Angina, ihre Wangen waren stets rot wie Äpfel. Die Tofalaren aßen hauptsächlich Fleisch. Wurde ein Tier erlegt, so aßen sie das Fleisch roh geschnitzelt, oder sie bereiteten Schaschlyk zu. Nur Bärenfleisch wurde nie roh verzehrt. Man aß den Bärenspeck, man ließ Bärenfett aus. Man aß auch nur Fisch aus Flüssen. Fisch aus den Seen wurde nicht gegessen, denn das waren stehende Gewässer, die Fische rochen dort nach Schlamm, manchmal waren sie krank. Sehr viele Tofalaren wurden von einer Epidemie hinweggerafft - von den schwarzen Pocken. Ganze Jurten, sagte man, starben aus. Man ließ die Jurte nicht lange an einem Ort stehen. Wohnte eine Familie eine Woche lang in einer Jurte, waren die Erde und das Gras schon ganz zertrampelt, und es wurde schmutzig. Die Frau trug dann die Jurte an einen neuen Ort, wo es sauber war. Diesbezüglich liebten sie die Sauberkeit. Wir aber wohnen jetzt an einem Ort. Wir räumen die Häuser auf, doch der Staub bleibt, und diesen Staub atmen wir zusammen mit verschiedenstem Zeug ein. Deshalb sind wir auch oft krank, wir leben nicht lange", schlussfolgert Marta Kangarajewa. Historisch gesehen hat es sich so ergeben, dass dieses Urvolk in den Jahren der Sowjetmacht faktisch vom Staat unterhalten wurde, wobei es jedoch die Fertigkeiten seiner traditionellen Wirtschafsweise zu verlieren begann. Leider war auch die materielle Kultur dieses Volkes - die alte Bekleidung, der Schmuck, die Hausgeräte - für die Tofalaren unwiederbringlich verloren gegangen. Ein großer Teil davon befindet sich jetzt im Anthropologischen Museum in Sankt Petersburg, wo ich ihn 1982 besichtigte. Dort wurde eine Abteilung eingerichtet, die Tofalaria gewidmet ist und über eine gute Sammlung verfügt. Auch im Heimatkundemuseum von Irkutsk und von Nishneudinsk sieht man Gegenstände dieser materiellen Kultur. Nur dort wird man heute noch die Nationalkleidung der Tofalaren sehen können. Die schönen Kopftücher mit den Fransen, die sie an Feiertagen trugen, kamen ebenfalls von den Russen. Die Frauen wie die Männer umgürteten ihre Kleidung gern. Diese Gürtel waren entweder aus Seide oder aus Atlas, und sie spielten in der Bekleidung der Tofalaren offenbar eine große Rolle. Um sich einen solchen Gürtel zu besorgen, nahmen sie einen weiten Weg auf sich: nach Tuwa, nach Burjatien oder sogar in bis in die Mongolei. Unter den Farben überwogen Rot, Dunkelblau und Grün, aber nicht Weiß. Nur wenn es zur Jagd ging, trug man Ledergürtel. Gegenwärtig sind die Tofalaren vollständig sesshaft geworden, sie wohnen in Siedlungen mit Krankenhäusern, Schulen und kulturellen Einrichtungen. Die meisten von ihnen befassen sich mit der traditionellen Wirtschaftsweise. Es gibt inzwischen auch eine eigene Intelligenz. Die Wissenschaftler geben zu, dass sich die Tofalaren als Volk in einer kritischen Lage befinden. Ihre Anzahl ist gering, viele Elemente der nationalen Kultur sind verloren gegangen, die wachsende Anzahl von Mischehen beschleunigt den Prozess ihrer Assimilierung. Andererseits sind ihre kompakte Ansiedlung und der Wunsch, die eigenen Traditionen zu erhalten, ein stabilisierender Faktor. Welche dieser beiden Tendenzen die Oberhand gewinnt, das wird die Zukunft zeigen. In Ansätzen versucht man außerdem, Elemente von Kultur und Folklore wiederzubeleben. Die Tofalaren leben heute deutlich ärmer als die Menschen in anderen ländlichen Gebieten Russlands, die eine bessere Infrastruktur haben. Sie ernähren sich heute wieder von der Jagd und gesammelten Waldfrüchten.

... (auch Tofen) leben im Westen des Gebiets Irkutsk, westlich des Baikalsees, in der Russischen Föderation. Ausgesprochen tofalarische Dörfer sind Alygdscher, Nercha und Werchnjaja Gutara, gelegen in Talkesseln des Hochgebirges. Die Tofalaren sind eine kleine Völkerschaft, die aus der Vermischung turksprachiger, ketischer, mongolischer und samojedischer Gruppen hervorgegangen ist.

"Die früheurasiatisch-finnisch-türkische Mischung spricht aus den Gesichtszügen der Karagassen [Tofalaren], ihrem breiten, runden Gesicht mit heraus-springenden Jochbeinen, niedriger, flacher Stirn, schmalen Augenlidspalten, aus der kurzen, gedrungenen Gestalt und den kleinen Händen und Füßen."

Prof. Dr. R. Karutz in: Franckh´sche Verlagshandlung, Stuttgart 1925

Bevölkerung:  Nach der Volkszählung von 1926 zählten die Tofalaren 2 828 Angehörige; 1939 sind sie nicht gezählt worden; 1959  waren es 476 Tofalaren; 1970 gleich 570; 1979 gleich 576; 1989 gleich 722; 2002 gleich 837;  nach der letzten Volkszählung von 2010 gaben sich 762 Personen als Tofalaren aus. 

"Wasser liefert der Ziehbrunnen. Ein Dieselgenerator produziert ein paar Stunden Strom am Tag. Dann holt eine verwitterte Satellitenschüssel grobkörnige russische TV-Bilder vom Himmel. In den kältesten Winterwochen, wenn Temperaturen von minus 60 Grad Wasser in Beton verwandeln, kämpfen sich schwere Lastwagen von der nächstgelegenen Stadt Nischneudinsk über den zugefrorenen Fluss Uda in das Dorf [Alygdsher] und versorgen es mit Mehl, Patronen, Zigaretten und Wodka. Sobald das Eis schmilzt, erreichen nur noch kleine Propellerflugzeuge und ausgemusterte Militärhubschrauber in einem einstündigen Flug die Landewiese."

FOCUS vom 17. Juni 2002

Fläche: Die Tofalaren haben kein eigenes nationales Territorium.

Geschichtliches: Die Tofalaren wurden erstmals in chinesischen Chroniken des 5. Jahrhunderts erwähnt. Ursprünglich lebten die Tofalaren als Jägernomaden im Sajan-Gebirge, von wo sie von den Tuwinern abgedrängt wurden. Im 17. Jahrhundert zogen sie in ihr heutiges Gebiet. Die Tofalaren sind in ihrer Lebensweise eng verwandt mit den Tuwinern, deren Nachbarn sie sind. - 1648 wurde im Siedlungsraum der Tofalaren, am Uda-Fluss, von russischen Kosaken eine befestigte Siedlung, der Udinsker Ostrog - heute Nishneudinsk - gebaut. Etwa im 17. Jahrhundert wurde Tofalaria ein Bestandteil des Moskauer Staates, hier verlief die Grenze zu China. Seit dieser Zeit bestanden zwischen den Tofalaren und den Russen enge Kontakte, die Tofalaren tauschten von den Russen Brot, Gewehre, Schießpulver... ein. In der Mitte de 17. Jahrhunderts kamen die Tofalaren unter russische Herrschaft und wurden mit dem Jassak (Steuer, Abgabepflicht) belegt. Den Jassak mussten Tofalaren im Alter von 18 bis 60 Jahren zahlen. So mussten die Tofalaren zum Beispiel 1889 den Pelz-Ertrag für 248 Soldaten aufbringen - eine Zahl, die nach einer Zählung 1851 festgelegt worden war, obwohl es zu der Zeit nur 103 karagassische (tofalarische) Jäger gab. Die hohe Veranschlagung des Jassaks, die niedrigen Aufkaufpreise für Zobel (zwei bis zweieinhalbmal niedriger als der Marktpreis) sowie die zahllosen zusätzlichen Abgaben führten zur Verelendung der tofalarischen Bevölkerung. Aber nicht nur von den Russen wurden die Tofalaren ausgeplündert, sondern auch  von reichen Burjaten, die sich bei den Tofalaren angesiedelt hatten. - Eine Wende im Leben der Tofalaren brachten die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, als sie sich gezwungen sahen, auf ihre traditionelle Lebensweise zu verzichten. Der Staat schuf die Bedingungen, dass sie sesshaft werden konnten. Zu diesem Zweck wurden im Gebiet Irkutsk drei  auch heute existierende Siedlungen erbaut: Alygdsher, Nercha und Werchnaja Gutara.

„Mit der ersten Flugzeuglandung 1936 bekamen die Statthalter Stalins Zugriff auf die abgeschieden lebenden Tofalaren. Die Tofalaren mussten ihre Tipis [Tschums] verlassen und in Holzhütten ziehen, Einheimische in Tracht wurden im einzigen Laden nicht mehr bedient, Tofa-Wörter wurden verboten. Kinder, die mehr als eine Grundschulbildung erhalten sollten, steckten die neuen Herrscher in Internate, Hunderte von Kilometern von zu Hause entfernt. Als sie nach Jahren zurückkamen, hatten sie die Sprache ihrer Eltern vergessen. Sogar die Gipfel des Gebirges tauften die Kommunisten um. Der heilige `Fuchsberg´ am Flussufer gegenüber Alygdscher hieß jetzt `Pionierberg´. Und dann stand plötzlich eine Lenin-Skulptur auf dem Dorfplatz…“

FOCUS vom 17. Juni 2002

Natürlich konnten sich die Tofalaren nicht die ganze Zeit in ihren Siedlungen aufhalten. Die Hirten mussten ihre Rentierherden begleiten und die Jäger mussten ihre Siedlungen für längere Zeit verlassen, um in der Jagdsaison in ihre oft weit entfernt gelegenen Jagdgebiete zu ziehen. Dennoch wurde ein großer Teil der Tofalaren im Laufe der Zeit sesshaft. In  den Dörfern der Tofalaren wohnten auch Russen. Mit der Zeit entstanden feste nachbarliche, freundschaftliche und später auch verwandtschaftliche Beziehungen.

Staatsgefüge: Die Tofalaren verfügten und verfügen nicht über eine eigene nationale Staatlichkeit.

Verbannungsgebiet: Die Wohnorte der Tofalaren befinden sich in Gebiet Irkutsk, Hauptstadt ist die gleichnamige Stadt, am einzigen Abfluss des Baikasees, der Angara; Irkutsk liegt an der Transsibirischen Eisenbahn. Von Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1917 ging Irkutsk als Verbannungsort für politische Häftlinge in die russische Geschichte ein.

Einige Transportzüge wurden an der Station Jaja im Sibirischen Gebiet (heute Gebiet Kemerowo) abgeladen. Dort hielt man die Mehrheit der Verschleppten monatelang in `Durchgangslagern´ hinter Zäunen aus Stacheldraht. Ein Teil der Verbannten wurde von der Station Jaja nach Tomsk gebracht. Andere Transportzüge lud man in Irkutsk aus. Tausende Verbannte wurden, gemeinsam mit Kindern, in das alte, halbzerstörte Alexandrowsker Zentralgefängnis gejagt, wo das Wasser von den Dächern tropfte, und es war schon Winter.“

Gesellschaft „Memorial“, Krasnojarsk

Wirtschaft: Die Haltung von Rentieren bildete seit jeher neben der Jagd die Grundlage ihrer Wirtschaft. Das Ren wurde als Reit- und Lasttier abgerichtet und war für den Transport bei der Jagd für sie unentbehrlich. Die Renkühe wurden auch gemolken. Wichtigstes Pelztier war der Zobel, dessen Bestand bis Ende des 19. Jahrhundert stark dezimiert wurde, später war es dann das Eichhörnchen. Der Beutel des Moschustieres und das Geweih der Marale waren begehrteTauschobjekte der Tofalaren. Bis zur Übernahme des Gewehrs, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, benutzte man für die Jagd ausschließlich Pfeil und Bogen. Im Gegensatz zu anderen sibirischen Völkern betrieben die Tofalaren keine Fallenstellerei, und der Fischfang spielte bei ihnen nur eine untergeordnete Rolle. Dagegen war das Sammeln von wild wachsenden Pflanzen und den Nüssen der Zirbelkiefern, das die Frauen zur Nahrungsergänzung besorgten, von großer Bedeutung.

Was sind Zirbelnüsschen? Im August und September fallen sie aus den Zirbelkiefernzapfen nach dreijähriger Reifezeit in ihren dicken, harzigen Zapfen auf die Erde und werden von der Bevölkerung gesammelt. 90 Prozent Eiweiße, ein hoher Anteil ungesättigter Fettsäuen und eine ganze Reihe wichtiger Vitamine machen die Samen zur begehrten Nahrungsquelle - auch für Bären. Die Bewohner vieler sibirischer Dörfer – auch die Tofalaren – ernten die Nüsschen in großem Maßstab. In großen Säcken werden sie dann auf die Märkte gebracht und verkauft.

 

 

 

 

 

 - Nach der Oktoberrevolution wurden die Tofalaren in Kolchosen zusammengefasst, die meisten Tofalaren leben deshalb heute in festen Häusern.

 

 

Ein weißes ist ein heiliges Rentier. Die Wissenschaft vermutet, dass das Ren erstmalig im Sajan-Gebirge domestiziert wurde.

Foto von E. Alexander, 1909, aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Verkehr:  Das Rentier ist bei den Tofalaren nicht Zug-, sondern Reittier. - 1936 landete das erste Flugzeug im wohngebiet der Tofalaren. Flugzeug und Hubschrauber sind heute die Haupttransportmittel. Seit der Perestroika landet das Flugzeug allerdings nur noch unregelmäßig.

 

Sprache/Schrift: Das Tofalarische gehört zur uigurischen Gruppe der östlichen Turksprachen. die Tofalaren wurden erst spät, im Laufe des 17. und 19. Jahrhunderts, sprachlich turkisiert. Davor hatten ihre Vorfahren eine der benachbarten uigurischen Sprachen benutzt. - Im Jahr 1988 wurde für die Tofalaren ein Schrifttum entwickelt, und seit 1989 erlernen die Kinder die Sprache ihres Volkes in den Kindergärten und Schulen. Für diese Zwecke werden in Petersburg Lehrer ausgebildet. Für die Kinder wurden eine Fibel und verschiedene Lehrmittel zur Entwicklung der tofalarischen Sprache  herausgegeben.  Von den im Jahre 2002 gezählten 837 Personen sprachen nur  noch 378 Menschen die tofalarische Sprache. Doch der Umstand, dass nicht alle die Sprache ihres Volkes sprechen, hindert die Vertreter dieses Volkes nicht daran, sich als Tofalaren zu empfinden. Auch die Kinder aus Mischehen betrachten sich meist als Tofalaren.  - Der Dorfälteste von Alygdscher, der 84 Jahre alte Pawel Unguschtaew, beklagt, dass mit der Sprache auch die überlieferten Gebräuche verschwunden seien. So hätten die Jäger früher das erlegte Wild fachgerecht zerlegt, für jedes Teil eines Hirsches gab es einen eigenen Namen. „Heute wird einfach alles auseinander gehauen.“

Zwei Sätze Tofalarisch: „Dilim sak-tip turu men.“ = „Ich vermisse meine Sprache so sehr.“ - „Tschorij ver, dilim tschidej ver.“ = „Wenn ich gehe, geht die Sprache mit mir.“

Literatursprache/Literatur: Die Literatursprache der Tofalaren ist Russisch. - Valentin Rasputin (geboren 1937) gilt als Repräsentant der sogenannten „Dorfprosa“. Gegenstand seiner frühen Skizzen und Erzählungen sind die Natur Sibiriens und das in enger Verbundenheit mit ihr lebende Volk der Tofalaren. In der genauen Wiedergabe von Naturerscheinungen und ethnographischen Besonderheiten sind diese Texte vor allem Milieuschilderungen. - In der kleinen Bibliothek von Alygdscher, einem vorrangig von Tofalaren bewohnten Dorf,  stehen alle Bände, die jemals in Tofalarisch geschrieben wurden: drei Kinderbücher.

 

Bildung: Die Kinder der Tofalaren wurden während der Sowjetzeit vom Krippenalter bis zum Abschluss der Hochschule unentgeltlich ausgebildet, was sie von ihren traditionellen Berufen entfremdete, weshalb inzwischen für die Schüler der fünften bis neunten Klasse Lehrgänge zum Erlernen der traditionellen Gewerbe eingerichtet wurden. Tofalaren studieren meist in Krasnojarsk, Ulan-Ude oder Leningrad (heute St. Petersburg). Bereits in den achtziger Jahren gab es tofalarische Lehrer, Mediziner, Biologen, Energetiker... In den tofalarischen Dörfern gibt es heute Fernsehen, Ambulatorien, Bibliotheken, Kindergärten und Schulen.

 

 

In einer tofalarischen Dorfschule lernen die Kinder der Rentierzüchter schlossern und tischlern.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Kultur/Kunst: Die Rundumversorgung vom Staat und der jahrelange Aufenthalt der Kinder in Internaten führte dazu, dass die Fertigkeiten der traditionellen Wirtschafsweise teilweise verloren gingen. Leider ging auch die materielle Kultur  - die alte Bekleidung, der Schmuck, die Hausgeräte - für die Tofalaren unwiederbringlich dahin. Ein großer Teil davon befindet sich jetzt als Exponate im Anthropologischen Museum in Sankt Petersburg. Dort wurde eine Abteilung eingerichtet, die den Tofalaren gewidmet ist und über eine gute Sammlung verfügt. Auch die Heimatkundemuseen von Irkutsk und Nishneudinsk verfügen über Gegenstände der tofalarischen materiellen Kultur. Nur dort kann man heute noch die Nationalkleidung der Tofalaren besichtigen. - Gegenwärtig bemüht man sich darum, sowohl die materielle als auch die geistige Kultur der Tofalaren wiederzubeleben. Tofalarischen Frauen haben sich als geschickte Schneiderinnen erwiesen. Sie nähen Kleidung für Kinder und Jäger sowie Abendkleider. Ihr letztes Meisterwerk ist ein feierliches Samtgewand, mit Nerz-, Zobel- und Luchsfell besetzt und mit Elementen des nationalen Glasperlenflechtens verziert. Die Tofalaren streben die Wiedergeburt ihrer nationalen Kultur an. Große Bemühungen unternimmt diesbezüglich die nationale Assoziation „Tofalaria". Seit 1990 wird die tofalarische Sprache in den Schulen offiziell unterreichtet. -

Gesundheitswesen: Unter den Tofalaren waren im 19. Jahrhundert Trachom, Rheumatismus und Tuberkulose so sehr verbreitet, dass diese Krankheiten als etwas ganz Natürliches angesehen wurden. Sehr viele Tofalaren wurden von den schwarzen Pocken hinweggerafft; ganze Jurten, so sagte man, starben aus. - 1989 betrug in der Region Irkutsk (Ewenken und Tofalaren) die Kindersterblichkeit (der Kinder bis zu einem Jahr) 57 auf tausend Neugeborene. In Alygdscher gibt es ein Krankenhaus, in Nercha ein Entbindungsstützpunkt und in Werchnjaja Gutara ein Ambulatorium.

Klima: Das Klima ist extrem kontinental, Temperaturen bis minus 60 Grad sind keine Seltenheit. - Es kann passieren, das ein Gewitter mitten im Sommer zunächst Schnee statt Regen bringt. Bald darauf gießt es dann in Strömen.

„Gerade im hohen Norden zeigt sich, wie verheerend die Auswirkungen des Klimawandels sein können. Nördlich des Polarkreises leben mehr als dreißig [vierzig bis fünfzig] indigene Völker – viele davon in Sibirien – von der Jagd, der Rentierhaltung, vom Fischfang und vom Sammeln. ÜberJahrhunderte konnten sie ihre Lebensweise den sich wandelnden Umweltbedingungen anpassen. Jetzt droht den rund vierhunderttausend Ureinwohnern die Vernichtung ihres arktischen Lebensraums. Denn hier vollzieht sich der Klimawandel, der in erster Linie in den Industriestaaten verursacht wird, zwei- bis dreimal schneller als im globalen Durchschnitt. Höhere Temperaturen lassen das ewige Eis schmelzen und verändern die Lebensbedingungen für Mensch und Natur. Die Folgen: Die Ureinwohner müssen zusehen, wie ihre Jagdbeute ausstirbt und wichtige Pflanzen nicht mehr wachsen. Die schützende Schneedecke schmilzt zu früh, so dass die Rentiere nur noch verkümmertes Rentiermoos vorfinden. Menschen sterben, weil vertraute Wege auf dünnerer Eisdecke nicht mehr sicher sind. Ganze Dörfer mussten schon aufgrund von Küstenerosion und Stürmen umgesiedelt werden.“

Verein pro Sibiria e. V., München

Natur/Umwelt: Reißende Flüsse, tosende Wasserfälle und ringsum endlose Taiga - das ist Tofalarien. - 1999 erhielt die ECOSOC (UN-Wirtschafts- und Sozialrat) den Umweltschutzpreis der Vereinten Nationen "Global 500" für Verdienste zum Erhalt der Umwelt im russischen Norden.

Pflanzen- und Tierwelt: Flora und Fauna des Sajan sind vielfältig. Die Botaniker haben bisher mehr als dreitausend Pflanzenarten ausgemacht, die hier in merkwürdiger Nachbarschaft auftreten: Zirbelkiefer neben Edelweiß, Birke neben Lilie, Berberitze neben Wildknoblauch. Auf den bunten Almwiesen wachsen bis zu zweieinhalb Meter hohe Gräser, auf den hochgelegenen Steinhängen spärliche Moose und Flechten. - Im Gebirge und in der Taiga sind zahlreiche Tiere zu Hause: Bären, Elche, Isubrahirsche, Rehe, Moschustiere, Wildschweine, Steinböcke. Die Tiere sind nicht scheu, sie lassen einen Menschen auf zehn bis fünfzehn Schritte herankommen. Wölfe gibt es nur noch wenige. Hauptfeinde der Hasen, Eichhörnchen, Erdhörnchen und Mäuse sind Fuchs, Zobel, Luchs, Marder, Vielfraß und Dachs. Im Gebirge gibt es auch Hermeline und Sibirische Nerze. Die größeren Vogelarten sind durch Auerhahn, Birkhahn, Haselhuhn und Rebhuhn vertreten. - In den sechziger Jahren des 19. Jahrhundert führten die Tofalaren Pferde ein. -  Nach Ansicht von Fachleuten sind die Rentiere der Tofalaren die stärksten und ausdauerndsten in ganz Sibirien.

"Bemerkenswert sind die Hufe des Rentieres. Alle vier Zehen stecken in `Schuhen´ aus Horn, dabei sind diese `Schuhe´ an den Seitenzehen lang und berührten die Erde (bei anderen Hirschen sitzen sie hoch über dem Erdboden). An den Mittelzehen sind diese `Überschuhe´ aus Horn ungewöhnlich breit und schaufelförmig gebogen. Im Winter wachsen sie besonders stark und werden noch breiter. Läuft das Ren über sumpfigen Boden oder durch lockeren Schnee, spreizt es die Zehen, und die Hufe verwandeln sich in eine Art `Schneestampfer´ oder `sumpfgängiges Fahrzeug´. Außer den `Schuhen´ spielen hier auch die `Bürsten´ eine wichtige Rolle - Büscherl langer und harter Haare, die zwischen den Zehen wachsen. Die Haare dieser `Bürsten´ stehen nach verschiedenen Seiten ab, und deshalb haben die Hufe des Rens nicht nur eine große Standfläche (beim Elch beträgt sie z. B. nur ein Viertel davon), sondern sie rutschen auch nicht, wenn das Tier über Eis oder vereisten Schnee läuft."

Sawwa Uspenskiin: Tiere in Eis und Schnee, 1983

 

Behausungen: Weil die Tofalaren vorrangig nomadisierende Jäger waren, wohnten sie vorrangig in Stangenzelten, die im Sommer mit Birkenrinde, im Winter mit der geräucherten Haut von jungen Edelhirschen bedeckt wurden. Der Eingang befand sich an der Ostseite und wurde mit einem Tierfell verhängt. Als Liegestatt dienten die Felle wilder Tiere oder die des Hausrens, manchmal auch Filz, der bei den Burjaten eingetauscht wurde. Heute werden diese Zelte oft zur Aufbewahrung von Lebensmittelvorräten benutzt; denn díe Tofalaren wohnen heute, sofern sie nicht mit ihren Rentierherden unterwegs sind, in festen Häusern.

   

Behausungen der Tofalaren: selten Pfahlhütte, meist Tschum, bedeckt mit Fellfetzen.

Foto von E. Alexander, 1909, aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Ernährung: Die Kinder der Tofalaren wurden mit Rentiermilch groß. Im Sommer und im Herbst tranken sie frische Milch, im Winter aßen sie die gefrorene Milch. Im Herbst, wenn die Milch am dicksten war, wurde sie in Säcke abgefüllt, die aus den Innereien der Tiere hergestellt waren. Im Winter wurden diese Säcke dann mit einer Axt in Stücke geschlagen, die man den Kindern gab. Die Kinder der Tofalaren kannten deshalb keine Angina, ihre Wangen waren stets rot wie Äpfel. Die Tofalaren aßen hauptsächlich Fleisch. Wurde ein Tier erlegt, so aßen sie das Fleisch roh geschnitzelt, oder sie bereiteten Schaschlyk zu. Nur Bärenfleisch wurde nie roh verzehrt. Man aß den Bärenspeck, man ließ Bärenfett aus. Man aß auch nur Fisch aus Flüssen. Fisch aus den Seen wurde nicht gegessen, denn das waren stehende Gewässer, die Fische rochen dort nach Schlamm. Im Winter wohnten die Tofalaren dort, wo die Zedern wuchsen, um Zedernnüsse zu sammeln. Wildwachsende Pflanzen - Beeren Rhabarber, Bärlauch, wilde Zwiebeln, Saranawurzeln - waren beliebte Nahrungsergänzungsmittel. - Drei Gerichte gelten den Tofalaren noch heute als unübertrefflich: Rentierzunge, Elchlippen nebst anliegenden Knorpeln und Quappenleber. Doch diese Spezialitäten gehören auf die Festtafel; Hauptnahrung der Jäger ist geräuchertes Fleisch.

Kleidung: Kleidung, Schuhwerk und Schmuck der Tofalaren waren primitiv, aber zugleich sehr bequem im Gebrauch. Die schönste Frauenkleidung wurde aus chinesischer Seide genäht, natürlich konnte sich das nur eine wohlhabende Hausfrau leisten. Die Männer schmückten ihre Bekleidung mit schwarzen Bändern, die Frauen - mit bunten. Die Motive für ihre Ornamente entlehnten sie oft bei den Russen. Die schönen Kopftücher mit den Fransen, die sie an Feiertagen trugen, kamen ebenfalls von den Russen. Frauen wie Männer umgürteten ihre Kleidung. Diese Gürtel waren entweder aus Seide oder aus Atlas, und sie spielten in der Bekleidung der Tofalaren eine große Rolle. Um sich einen solchen Gürtel zu besorgen, nahmen die Tofalaren einen weiten Weg auf sich: nach Tuwa, nach Burjatien oder sogar bis in die Mongolei. Bei den Farben überwogen Rot, Dunkelblau und Grün, selten Weiß. Die Kleidung der Tofalaren bestand aus Fell, Pelz und Leder, dazu kam Bast, der für Beinwickel (statt Strümpfe) gebraucht wurde. Im Sommer trugen die Frauen Schilfhüte, bei festlichen Gelegenheiten hohe Aufsätze mit langen Rückenbändern. 

Folklore: Der erste, der sich damit beschäftigte, die zahlreichen Märchen der Tofalaren aufzuzeichnen, war der Russe Nikolai Fjodorowitsch Katanow (1862 bis 1922). Er war ein russischer Ethnograph, Linguist und Turkologe türkischer Herkunft und lehrte an der Universität Kasan. Seine Reisebeschreibungen liefern unter anderem wichtige Beiträge zur Kenntnis des Schamanismus. Die chakassische Staatliche Universität in Abakan ist nach ihm benannt.

Feste/Bräuche: Da die Gebirgslandschaft und die stetige Wanderschaft die Möglichkeiten für die Kommunikation der Tofalaren untereinander einschränkten, entwickelte sich bei ihnen der Brauch, an Bäumen Zeichnungen zu hinterlassen. Mit der Axt bereiteten sie am Baumstamm eine Fläche dafür vor, dann mahlten sie mit Kohle wilde Tiere oder Haustiere, Wohnstätten oder Schamanen mit einem Tamburin in den Händen. Ein jegliches bemerkenswerte Ereignis, egal ob eine erfolgreiche Jagd oder ein gewöhnliches Teetrinken unterwegs, wurde von den Taiga-Nomaden auf diesen Baumzeichnungen dargestellt. Der austretende Harz, der die Zeichnungen  allmählich bedeckte, schützte sie zuverlässig vor der Verwitterung und vor Nässe. So entstand an den Bäumen eine eigenartige Chronik. Auf ihrer Wanderung durch die Taiga suchten die  Tofalaren stets diese Baumzeichnungen, aus ihnen erfuhren sie, welche Ereignisse sich an dem betreffenden Ort zugetragen hatten. - Beim „Tanz mit dem Moschustier“ wird auf Pferden und Rentieren durch die Taiga und die Steppe um die Wette geritten.

„Starb bei den Tofalaren ein Mensch, so zimmerte man ihm aus drei Baumstämmen eine Liegestatt. Dort wurde der Tote aufgebahrt. Man hinterließ ihm ein Rentier zum Reiten und den Sattel, ein Kochgeschirr, ein Trinkgefäß und Lebensmittel, damit er essen und auf seinem Rentier in die Totenwelt ziehen konnte. So wanderten die Tofalaren ihr ganzes Leben umher. Gebar eine Frau ein Kind, gewährte man ihr keinen einzigen Ruhetag, denn es galt, weiterzuziehen, selbst im Winter bei starkem Frost.

Die Tofalarin Marta Kangarajewa

(geboren 1930 im Dorf Alygdsher)

Einige Bräuche haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten: Eine Bärentatze an den Türpfosten genagelt, soll vor bösen Geistern schützen; während der Jagd wird dem Feuergott Tee und Essen geopfert, damit der Jäger Erfolg bei der Jagd hat; wenn jemand stirbt, heißt es, "Er ist Beeren pflücken gegangen"; man muss die Schuhe des Toten berühren, damit er nicht kommt und die Träume der Lebenden stört.

 

Religion: Die Tofalaren sind - sofern gläubig - schamanische Animisten, die im 19. Jahrhundert durch russische Missionare oberflächlich christianisiert wurden. - Den Sowjets waren die sibirischen Zauberpriester nicht geheuer. Die einundsiebzigjährige Tofalarin Marta Kangarajewa berichtet: „Als ich klein war, sah ich, wie ein Schamane jemanden heilte. Daraufhin wurde er ins Gefängnis gesteckt, dann verbannt. Leute, die zauberten, versteckten ihre Instrumente in den Felsen und in den Bergen.“

 

Hölzerne Götzenfigur, die bei Völkern, die dem Schamanenkult anhängen, Gegenstand der Verehrung sind, 18. Jahrhundert.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind: Die Tofalaren gelten heute wieder als eine in ihrer Existenz bedrohte indigene Völkerschaft, die sich seit der Perestroika im Dachverband RAIPON ( = Russian Association of Indigenous Peoples of the North”) als "Assoziation der Kleinen Völker" - gegründet im März 1990 - unter Anwesenheit des damaligen Präsidenten Michail Gorbatschow zusammengeschlossen hat. Erster Präsident der Vereinigung wurde der von der fernöstlichen Halbinsel Sachalin stammende Schriftsteller Wladimir Sangi, ein Niwche. Dieser wurde 1993 durch Jeremej Ajpin, einem weiteren Schriftsteller, diesmal aus dem westsibirischen Volk der Chanten, abgelöst.  Die Assoziation mit Sitz in Moskau vertritt die Interessen der etwa vierzig bis fünfzig indigenen Völker des russischen Nordens. Oberstes Gremium der Assoziation  ist der Koordinationsrat, dem Vertreter verschiedener Völker angehören. Vorsitzender ist seit 2013 Grigori Ledkov, aus dem Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Die Rolle RAIPONs als Vertretung der indigenen Völker Russlands ist zwiespältig. Einerseits ist diese Organisation die mit Abstand wichtigste Vertretung der Ethnien des Nordens und leistet als solche umfangreiche Arbeit, national wie international. Andererseits setzt die traditionelle Staats- und Regierungsnähe den Aktivitäten der Organisation enge Grenzen. RAIPON engagiert sich vor allem im Bereich der Gesetzgebung. Wichtigste Forderung ist die Umsetzung verbriefter Landrechte in Gestalt sogenannter Territorien zur traditionellen Naturnutzung. Dieses Anliegen verfolgt die Assoziation praktisch seit ihrer Gründung, die Umsetzung eines entsprechenden Gesetzes wird jedoch von der Regierung seit Jahren verschleppt, was wohl in erster Linie der Erdöl-Lobby anzulasten ist. - International engagiert sich RAIPON im Rahmen der UNO. Die Organisation hat Beraterstatus beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) und ist als eine von sechs indigenen Organiationen der Arktis als Ständiger Teilnehmern im Arktischen Rat vertreten. - Seit den 1990er Jahren ist für die Tofalaren eine sinkende Lebenserwartung, hohe Kindersterblichkeit und (wieder einmal) ein schnelles Sinken des natürlichen Bevölkerungswachstums kennzeichnend; hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit. - Im Jahr 2000 erhielten die Tofalaren den Status eines kleinen Urvolkes. - 2014 kommt nicht nur das sonst regelmäßig eingetroffene Flugzeug unregelmäßig, sondern auch der einzige Dorfladen von Alygdscher  ist geschlossen.  - Es ist davon auszugehen, dass sich die Tofalaren als Volk in einer kritischen Lage befinden. Ihre Anzahl ist gering, viele Elemente der nationalen Kultur sind verloren gegangen, die wachsende Anzahl von Mischehen beschleunigt den Prozess ihrer Assimilierung. Andererseits sind ihre kompakte Ansiedlung und der Wunsch, die eigenen Traditionen zu erhalten, ein stabilisierender Faktor. Welche dieser beiden Tendenzen die Oberhand gewinnt, muss die Zukunft zeigen.

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland: Seit 1989 bis heute pflegt und entwickelt man in Irkutsk und Pforzheim enge Freundschaftsbeziehungen. Am 21. November 1999 unterschrieben der Bürgermeister von Irkutsk, Wladimir Jakubowsky, und der Bürgermeister von Pforzheim, Joachim Becker, eine Vereinbarung über eine Partnerschaft zwischen den beiden Städten. Diese Vereinbarung wurde am 18. September 2007 von dem Bürgermeister von Irkutsk, noch immer Wladimir Jakubowsky und der Bürgermeisterin von Pforzheim, Kristel Augenstein, bestätigt. 1999 fand der erste Schüleraustausch statt. Seit Beginn des Austauschprogramms haben zwölf offizielle Treffen stattgefunden, das heißt 180 Schüler haben die Kultur des jeweils anderen Landes persönlich kennengelernt. Ob auch Tofalaren zu den Austauschschülern gehörten, konnte ich nicht erkunden. - 1996: Der Film des Litauers Sarunas Bartas, der für den Film "Few Of Us" das Manuskript schrieb, Regie führte und die Kamera lenkte, spielt  in einer gottverlassenen Gegend Sibiriens, bewohnt von Tofalaren, das um 1930 zur Sesshaftigkeit veranlasst wurde. Der Film zeichnet sich durch eine atemberaubend schöne Landschaft aus. Wir sehen aber auch Nomaden, die, ihrer Lebensform beraubt, sich dem Alkohol ergeben... Der Film wurde auch in Deutschland gezeigt. - 2010 haben sich Wissenschaftler zu den Tofalaren auf den Weg gemacht, um ihre Sprache vor dem Vergessen zu bewahren, dabei der dreißigjährige Sprech- und Musikwissenschaftler Sven Grawunder aus Halle.

 

 

Interessant, zu wissen..., dass sich Wissenschaftler darum bemühen, die Sprache der Tofalaren nicht sterben zu lassen.

 Eine gewaltige, drängende Aufgabe. Denn zwei Drittel der 6 500 Idiome, die heute auf der Welt gesprochen werden, werden im Laufe dieses Jahrhunderts verstummen – etwa vier im Monat. Damit das mit der tofalarischen Sprache nicht geschieht, haben sich drei Wissenschaftler nach Alygdscher, einem von Tofalaren bewohnten Dorf, begeben: der Linguist David Harrison von der Yale-University aus den Vereinigten Staaten, der Sprech- und Musikwissenschaftler Sven Grawunder aus Halle (der in Tuwinien schon den Kehlkopfgesang erlernte) und Greg Anderson, Linguist aus Manchester. Nur weil die Tofalaren so kompakt in drei Dörfern angesiedelt sind, beherrschen noch etwa dreißig Tofalaren fließend ihre Muttersprache: eine melodiöse Mundart mit vielen Vokalen, mit dem Türkischen verwandt, aber herber und melancholischer. „Tofa [tofalarisch] ist schwierig, aber wunderschön“, schwärmt David Harrison, der Leiter der kleinen Expedition. Vor Jahren schon haben die Kinder von Alygdscher aufgehört, Tofalarisch zu lernen. Adscham, avam, hljää-ma, ibi – Vater, Mutter, Brot, Rentier. Viel mehr kennen sie nicht. „Das ist das deutlichste Zeichen, dass eine Sprache todkrank ist“, erklärt Harrison. „Das Projekt ist ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen fehlende Zähne und den übermäßigen Konsum von Alkohol. Manchmal wissen wir nicht, ob die Aussprache eines Vokals korrekt ist oder ob der Wodka sie verursacht oder die fehlenden Beißerchen“, klagt Greg. Tofalarisch sei gerade wegen seiner kleinen Sprecherzahl eine komplizierte Sprache. „Große Sprachgemeinschaften“, erläutert Anderson, „tendieren zu langweiligen Strukturen." Deshalb habe das Chinesische eine so simple Grammatik, beschränke sich das Deutsche auf die Hilfsverben „sein“ und „haben“. „Die Tofalaren benutzen achtzehn Hilfsverben, verfügen über ein ausgefeiltes System von Fällen und über eine komplexe Vokalharmonie. Tofalarisch bereitet selbst Linguisten immer wieder Überraschungen.“ Die Wissenschaftler machten auch eine ganz neue Entdeckung: Die Tonbandanalyse hatte ergeben, dass das Wörtchen „sig“ eine ganz besondere Funktion hat. Es kann an jedes Substantiv angehängt werden und bedeutet, dass etwas entsprechend riecht: „et“ heißt Fleisch, und „et sig“ heißt „nach Fleisch riechend“. Tofalaren können also mit den Werkzeugen der Grammatik Dinge ausdrücken, wozu die Sprecher weniger ausgefeilter Sprachen viele Worte brauchen. Tausend Jahre Einsamkeit haben ihre Sprache geformt. So lange zogen die Tofalaren durch die Birkenwälder, jagten Nerze, sammelten Pilze und züchteten Rentiere – und passten das Vokabular ihrem Leben an. Allein für das Rentier schufen sie zwanzig verschiedene Ausdrücke.

 

 

Doppelt?

Interessant, zu wissen..., dass der sibirisch-russische Schriftsteller und Umweltaktivist Walentin Rasputin, 1937 in dem Dorf Ust-Uda an der Angara geboren, seine ersten Erzählungen und Skizzen dem Volk der Tofalaren widmete; er sagte, dass das Land der Tofalaren dem Himmel am nächsten sei. Da die Tofalaren in den 60er / 70er Jahren noch dem Matriarchat anhingen, vermuten Literaturwissenschaftler, dass Rasputin in seinen folgenden Werken deshalb ältere Frauen zu Protagonistinnen seiner Romane und Erzählungen machte. Mit seinem Roman “Abschied von Matjora“ der das Versinken seines Heimatdorfes in den Fluten der vom Irkutsker Wasserwerk aufgestauten Angara schildert, erlangte er Weltruhm. Die Frau ist auch hier die

 

 Heimat verloren - alles verloren.

Sprichwort der Tofalaren

 

 

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier Zwölf  tofalarische Sprichwörter:

 

(Bisher Unveröffentlicht)

 

Sagst du die Wahrheit, reinigst du dein Gewissen.

Trau keinem Zobel, wenn du ein Angsthase bist.

Fremdes Fleisch ist gut, aber eigenes ist besser.

Die Taiga ist so kalt, wie es die Augen reicher Leute sind.

Warum die Stiefel ausziehen, wenn das Wasser noch nicht zu sehen ist.

Mancher Brauch ist wie ein großer Stein auf dem Weg.

Man kann dem Schicksal so wenig entgehen, wie der Wolf dem Jäger entkommt.

Ein wahrer Mensch kann nur der sein, der ein ehrliches Herz besitzt.

Zanke nicht, bis deine Zunge trocken wie ein Dörrfisch ist.

Der feige Hase bekommt nie ein kühnes Herz.

Gram fügt der Seele Schaden zu.

Ein Fohlen sollte man nicht satteln, ein Kind nicht erschrecken.

 

 Gesammelt, aus dem Russischen übersetzt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

 

Zitate:  „Als die Russen in das Gebiet am Baikalsee kamen, trafen sie die Tofalaren in einem Zustand an, der dem gegenwärtigen nahe kommt, die Verringerung ihrer Anzahl war bereits lange vor der Erschließung Sibiriens erfolgt."

 Professor Bernhard Petri von der Universität Irkutsk, 1927

*

Wie ein Tofalare einem Schriftsteller erklärt, wie er in seiner sibirischen Heimat zu finden ist: "Du fliegst bis Tjumen, dort steigst du in einen Kahn um, fährst tausend Kilometer flussabwärts, gehst am rechten Ufer an Land, dann noch rund dreihundert Kilometer mit Rentieren weiter, und wenn du mein Zelt gefunden hast, geh nicht gleich rein, ich könnte auf der Jagd sein, und dann hab ich die Selbstschussanlage gegen die Bären scharf gemacht - gibt einen glatten Durchschuss! Du musst unbedingt kommen!"

 Andrej Bitow (russischer Schriftsteller, geboren 1959) in:

Armenische Lektionen, 1969 

*

"Von der übrigen Welt abgeschnitten, zwischen Bergen verloren, führten de Tofalaren einen harten Kampf gegen die Natur Sibiriens und gegen die ständige Not; sie wurden von Kaufleuten beraubt, die ihnen wertvolle Pelze und Fische zu Spottpreisen abkauften. `Von Gott und Zaren verlassen´, hieß es über sie."

In: "Sputnik" 10/1975

 

Als Reporterin der der Illustrierten FREIE WELT bereiste ich 1983     Tuwinien. In meinem Buch "Von der Wolga bis zum Pazifik", 236 Seiten, mit zahlreichen Fotos von Detlev Steinberg und ethnographischen Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring, 1990 im Verlag der Nation, Berlin, erschienen, habe ich über die Tuwiner, Kalmyken, Niwchen, Oroken und TOFALAREN geschrieben.

 

Stippvisite: Tofalaren (LESEPROBE aus: "Von der Wolga bis zum Pazifik")

"Die achthundert Jukagiren erhielten ihre Schriftsprache 1981, die neunhundert Selkupen 1986, die etwa achthundert Tofalaren sogar erst 1988. Die Tofen - wie man die Tofalaren auch nennt - sind eine der kleinsten Völkerschaften des Landes. Das kleinste Volk sind übrigens die Alëuten auf den Kommandeurinseln mit dreihundert Angehörigen.

Fein säuberlich gedruckt sehe ich auf tofalarisch kyrillische Buchstaben, und man liest sie so fließend, wie einem das Russische eben geläufig ist, doch plötzlich ist das Wundern groß, denn zu den zweiunddreißig Schriftzeichen, die man vom Russischen her kennt, haben sich noch sieben hinzugesellt, wie man sie ausspricht, weiß ich nicht. Da ist zum Beispiel ein Buchstabe, dem russischen `H´ sehr ähnlich, aber mit einem Häkchen versehen. Oder ein anderer, der an den altrussischen Buchstaben `Fita´ erinnert. Und dann ist da noch das Ypsilon, ein `Gast´ aus dem lateinischen Alphabet.

Der Philologe Dr. Walentin Rassadin, von mir befragt nach den Geheimnissen dieser Sprache, meint lächelnd: `Phonetisch ist die Sprache der Tofalaren ziemlich kompliziert. Daher braucht die Schriftsprache einige Buchstaben mehr als das russische Alphabet. Was diese Schriftzeichen angeht, so sind sie auch in der Schriftsprache anderer Völker unseres Landes anzutreffen.´

die Kyrillisierungsidee hatte 1934 der Erste Sekretär des Ostsibirischen Gebietskomitees, vorgetragen auf dem 17. Parteitag: „Ich muss, Genossen, hier auf einen ernsthaften Fehler zu sprechen kommen, der meines Erachtens bei der Einführung einer Schrift für die nördlichen Völker zugelassen wurde. Bei uns im Norden gibt es ungefähr fünfzehn Völker, und einige von ihnen, wie zum Beispiel die Tofalaren, die Nenzen, die Dolganen, zählen nur ein bis zweitausend Seelen. Da fragt man sich: wozu brauchen sie ein lateinisches Alphabet? Ist es nicht einfacher, für die Schrift dieser Völker das russische Alphabet zur Grundlage zu nehmen, um den Werktätigen der nördlichen Völker die Beherrschung der Schrift in zwei Sprachen – der Muttersprache und der russischen – zu erleichtern?“

Die Tofalaren leben seit eh und je - nur einige hundert Kilometer von den Tuwinern entfernt - im Gebirge und sind Nachfahren von Jägern und Rentierhaltern. Ich bin schon vor Jahren einigen Tofalaren bei meinen Sibirienreisen begegnet; von ´unliebenswürdigen´ Wissenschaftlern des 18. Jahrhunderts wurde ihre Sprache als eine Art `Entengeschnatter´ charakterisiert, für mich klang sie wie Musik. Es kommt wohl immer auf die Einstellung an, die man zu fremden Völkern hat...

Es gibt insgesamt etwa achthundert Tofalaren. Mit herkömmlichem Maß gemessen, ist das wenig. Man muss aber berücksichtigen, dass fast 25 Prozent des ohnehin zahlenmäßig kleinen Stammes Anfang des Jahrhunderts Opfer von Epidemien wurden, dass die Tofalaren im Krieg nicht in ihren Bergen bleiben wollten und den für sie großen Verlust von etwa hundert Menschen, die nicht von der Front zurückgekehrt sind, zu beklagen haben. Hochachtung gebührt diesem Volk dafür, dass es sich nicht aufgelöst hat. Der Grund ist nicht allein darin zu suchen, dass die Heimat der Tofalaren so weit abgelegen und so unzugänglich ist. Mitte des vorigen Jahrhunderts erklärte der Sibirienforscher Stubendorf, die Tofalaren hätten weder Geschichtsbewusstsein noch eine eigene Kultur. Aber gerade die nationale Kultur und das Geschichtsbewusstsein, festgeschrieben in der Folklore und der reichen und bildhaften Sprache, haben den Tofalaren geholfen, sich ihre nationale Eigenständigkeit zu bewahren.

 

Julij Iwanowitsch Stubendorf diente von 1864 bis 1880 als Militär- und Zivilgouverneur in Irkutsk. Er hatte eine sehr gute humanitäre Bildung und war als Wissenschaftler tätig. Auf seine Initiative hin wurde die Sibirische Abteilung der Russischen Geografischen Gesellschaft (SARGG) in Irkutsk gegründet. Stubendorf war der erste Geschäftsleiter dieser Organisation.

 

`Darum wurde auch der Beschluss gefasst, für die Tofalaren eine eigene Schriftsprache aufzubauen´, erläutert der Leiter der Abteilung Bildungswesen des Gebietsexekutivkomitees in Irkutsk. `Die grammatische Grundlage ist vorhanden, jetzt wird eine Fibel erarbeitet, und wir wählen die entsprechenden Lehrkräfte aus. Dem Wunsch der Tofalaren Rechnung tragend, wollen wir 1989 mit dem Unterricht in der Muttersprache beginnen.´

Wie kam es denn nun zu der tofalarischen Schriftsprache? Anfang der sechziger Jahre war Walentin Rassadin, damals noch Student, zum ersten Mal zu den Tofalaren gereist. Nach und nach fühlte er sich bei ihnen heimisch, ging mit ihnen auf die Jagd in die Taiga, half ihnen in der Wirtschaft, lauschte ihrem Gesang, ihren Erzählungen und Überlieferungen. Walentin Rassadin erzählte. `Auf der Grundlage des russischen Alphabets nahm ich im Verlaufe meiner Arbeit faktisch eine Transkription vor und verwendete dabei auch Schriftzeichen aus anderen Turksprachen des Landes.´

Bevor das Projekt für das Alphabet an wissenschaftliche Institutionen in Moskau und Leningrad, Nowosibirsk und Jakutsk, Tuwinien und Chakassien weitergeleitet wurde, hielt sich Walentin Rassadin erneut dort auf, wo die Träger der lebendigen Sprache wohnten und arbeiteten.

Alt und jung verglichen seine sämtlichen Schriftzeichen mit der gesprochenen Sprache, probierten nach Tofalarenart alles gründlich aus. Diese Proben aufs Exempel und eingehende Gespräch mit dem tofalarischen Lehrer Wladilen Schibkejew bewirkten, dass auf einige überflüssige kyrillische Buchstaben des russischen Alphabets verzichtet werden konnte.

Dann war es vollbracht: Eine der kleinen sowjetischen Völkerschaften hatte ihre eigene Schriftsprache. Die Zeit ist nicht mehr fern, in der die Kinder der Rentierzüchter und Jäger ihre Fibel und das Lehrbuch ihrer Muttersprache `Tofa dyly´ aufschlagen können.

 

 

Der Russe Dr. Walentin Rassadin "fühlte sich bei den Tofalaren so heimisch", dass er seine Frau Olga aus diesem Volk freite.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Nun fehlt die Schriftsprache - ich hoffe, kein Volk vergessen zu haben - nur noch den Agulen, Rutulen und Zachuren im Kaukasus, den Schoren in Zentralasien, den Udehen, Ultschen, Nganasanen und Nainaiern im Fernen Osten."

 

 

Aus FREIE WELT 3/1988:

Warum ein Schamane sein Kostüm verkaufte...

 

 

Ein alt-tofalarisches Schamanenkostüm, das sein Besitzer verkaufte, weil es Mängel aufweist, wird von dem Ethnographen Dr. Werner A. Hartwig präsentiert. Das Kostüm ist  seit 1936 im Besitz des Leipziger Museums für Völkerkunde.

Foto von Wolfgang Gregor aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

"Das alt-tofalarische Schamanenkostüm befindet sich seit 1936 in den Beständen des Leipziger Museums für Völkerkunde. Sein ursprünglicher Besitzer, ein alter Tofalare, lebte 1929 mit seinen Angehörige, im Bergaltai. Zu jener Zeit weilte der russische Gelehrte J. A. Jewsenin dort, um unter den nur rund fünfhundert Tofalaren, die früher Karagassen hießen, ethnographisch-religionswissenschaftliche Forschungen zu betreiben. Seine Aufzeichnungen vermitteln einen Einblick in die traditionelle religiös-schamanistische Vorstellungswelt des kleinen turksprachigen Volkes der Tofalaren, die vor der Oktoberrevolution ausschließlich Jäger und Rentierzüchter waren. Bis zum Sieg der Revolution lebten sie in der sich auflösenden Ordnung der Urgemeinschaft. Dr. Werner A. Hartwig erzählte mir, wie es zum Verkauf des Schamanenkostüms gekommen war. Unter der angestammten Bevölkerung Sibirien herrschte in vorrevolutionärer Zeit die Vorstellung, dass die sie umgebende Natur nicht nur von Pflanzen und Tieren, sondern auch von unzähligen Geistern bewohnt sei, die aus den Seelen Verstorbener hervorgegangen sind, und von Naturgeistern. Die Welt hielten die Tofalaren für ein Gebilde aus Himmel, Erde und Unterwelt, die jeweils aus mehreren Schichten bestanden. Des weiteren war man überzeugt, dass bestimmte Personen - eben die Schamanen - die Fähigkeit besäßen, im Zustand der Ekstase unmittelbare Beziehungen zu den Geistern aufnehmen zu können. Während der Schamane herum sprang, trommelte und sang, sei seine Seele ins Reich der Geister geflogen oder geritten. Die Geister konnten aber auch in der Trommel Platz nehmen und durch den Mund des Schamanen zu den Versammelten sprechen. Unter solchen Voraussetzungen bedurfte der Schamane für die Ausübung seiner Tätigkeit nicht nur einer Art Berufung, sondern auch einer entsprechenden Ausrüstung, eben eines Kostüms.

Warum nun trennte sich der alte Schamane von seinem mit soviel Mühe angefertigten Kostüm? Weil es Mängel aufweist: Die Trommel - das wichtigste Utensil - musste unbedingt eine runde Form haben. Doch da das Holz nicht genügend geweicht worden war, sprang der Reifen, und die Trommel nahm eine ovale Form an. Das gefiel den Geistern nicht... Und auch das Gewand war nicht ohne Fehl und Tadel. Bei den vielen Stoffsträngen hat es offenbar Probleme mit den Farben gegeben. Weiß (für Osten), Rot (für Westen), Blau (für Süden) und Gelb (für Norden) waren erforderlich. Zwar sind alle vier Farben im Gewand vorhanden, aber es fehlte wohl an den erforderlichen Mengen, deshalb wurde Weiß zum Beispiel teilweise durch Grau ersetzt. Schließlich finden sich auf der Vorderseite des Gewandes auch noch Spuren getrennter Nähte. Hier hatten die Witwen und jungen Mädchen - die sogenannten reinen Frauen, nur sie durften an dem Gewand nähen - offensichtlich einige Anhängsel nicht an den richtigen Platz genäht. Deshalb erschien das Kostüm dem Erlik-khan - dem Herrscher über alle Wesen der Unterwelt - nicht annehmbar. Die Geister teilten dem Schamanen also mit, dass der falsch angenähte Behang an die richtigen Stellen gebracht werden müsse oder ein neues Kostüm hergestellt werden solle. So jedenfalls hatte sich die Frau des alten Schamanen gegenüber dem Wissenschaftler J. A. Jewsenin über den Verkauf des Kostüms geäußert."

 

 

Dieses Kostüm...

... eines tofalarischen Schamanen sollte nicht nur einen Vogel symbolisieren, sondern war auch Schutzanzug und das notwendige Hilfsmittel bei der Reise ins Jenseits.

 

Die Trommel...

... ist der Hauptbestandteil der Schamanenausrüstung. Sie fertigte der Schamane unbedingt selbst an, während er bei der Herstellung des Gewandes Hilfe in Anspruch nahm. Die Trommel symbolisiert ein Rentier oder einen Hirsch, je nachdem, mit welcher Tierhaut sie bespannt war. Auf diesem "Tiere" unternahm die Seele des Schamanen seine weite und gefährliche Reise in das sagenhafte Jenseits. Die Trommel hat einen Umfang von 2,10 Meter und einen Durchmesser von 62 Zentimetern, sie ist aus einem 17 Zentimeter breiten Tannenholzreifen gefertigt. An der Außenseite befinden sich 21 Holzpflöcke aus 21 Baumarten. Der Reifen und die Pflöcke sind mit Rentierleder bespannt, das vom Haar befreit ist. In der Trommel befindet sich ein Holzgriff, in dessen oberen Teil lange Schlitze sind, durch die angeblich die hilfreichen Geister ein- und austreten. Während der kultischen Handlungen wurden die Opfergaben für die Geister, die aus Tüchern und Stoffbändern bestanden, an den oberen geschwungenen Stab gebunden. Im oberen Teil des Haltegriffs befindet sich ein Loch, in das lange weiße Stränge angebunden sind, die dem Schamanen als Leine zum Führen seines "Reittieres" dienten. Rechts und links vom oberen Griffende steckt je ein gebogener Draht im Trommelreifen. An den linken Draht ist ein roter, an den rechten ein weißer Stoffstreifen geknüpft. Die beiden Bogen symbolisieren die Ohren des Tieres. Die Bedeutung der Trommel - des "Reittieres" - liegt darin, dass der Schamane mit ihr die Schutz- und Hilfsgeister herbeirief und die bösen Geister verscheuchte. Während der Zeremonie hielt der Schamane die Trommel mit der linken Hand, in der rechten hielt er den Schlegel.

 

Der Schlegel...

...ist wie der Trommelreifen aus Tannenholz hergestellt. Der runde Griff ist 12 Zentimeter lang.

 

Das Gewand...

...wird nach der rechten Seite übergeschlagen. Auf der vorderen Seite ist durch rote Streifen, die mit Rentierhaaren angenäht sind, das Skelett einer menschlichen Brust angedeutet. Ungefähr in der Höhe der Brustwarzen hängen zwei Bündel zu je sieben Stoffsträngen, die oben in Ziegenfell gefasst und unten mit Stoffquasten versehen sind. Am unteren Saum laufen drei Streifen um den Mantel herum: ein unverzierter roter, ein zweiter roter mit 36 Ornamenten , die Gelenke symbolisieren, und ein grünlichgelber mit Schlangenornamenten.

An den Schultern der Rückseite des Gewandes sind zwei durchlochte Eisenplatten - die Schulterblätter - mit Lederriemchen befestigt. Auf dem Rücken sollen die aufgenähten roten Bänder von der Schulter bis zum Kreuz die Rippenpaare darstellen. Auf dem dritten Wirbel von unten ist ein Riemen mit einem Ring befestigt, durch den ein Strang gezogen ist, der den Schweif symbolisiert. Auf gleicher Höhe mit der Befestigungsstelle des Schweifes ist rechts und links davon je eine liegende achtförmige Figur aus Stoff aufgenäht. (Auf der Zeichnung durch die Stoffstränge verdeckt.) Sollten diese Flecken die Nieren des Schamanen darstellen? Darüber sind nochmals zwei ähnliche blauweiße Schweife befestigt. Der Schamane nannte sie während seiner Aktion "meine Schlangen". Daneben, fast schon unter den Achseln, hängen zwei kleine Messingglöckchen, deren Ton einigen Geistern angenehm gewesen sein soll. Unter den Achseln sind ebenfalls Stränge angebracht, die hier Flügel darstellen. Der Schamane verwandelt ich nämlich während seines Kampfes mit den bösen Geistern bald in einen Vogel, bald in ein Insekt, bald in ein größeres Tier. Beim Gewand kommt der Schutzcharakter besonders deutlich zum Ausdruck: In den aufgenähten Skeletteilen - den "Gelenk"ornamenten - und in den vielen Stoffstreifen, die im wesentlichen die Knochen des Schamanen vor dem Zugriff der bösen Geister bewahren sollten.

 

Die Stiefel...

... aus Rentierfell - mit den Haaren nach innen - sind mit roten Stoffstreifen benäht. Die Deutung dieser Figuren ist nicht überliefert. Bei den senkrecht am Schaft angebrachten Streifen könnte es sich um Schienbein und Wadenbein handeln. Vier Mittelfußknochen sind durch rote Streifen und die Zehen durch entsprechende Stickerei mit Rentierhaar angedeutet.

 

Die Kopfbedeckung...

... ist aus Hirschleder gearbeitet. Sie besteht au einem 28 Zentimeter langen und 15 Zentimeter breiten Band, hinten mit zwei Knöpfen zu schließen. In den oberen Rand sind zehn Uhufedern eingesteckt, die vor dem Angriff böser Geister schützen sollen; denn der Uhu hatte die Kraft, Geister zu verscheuchen oder gar aufzufressen. Weiterhin symbolisieren diese Federn die Fähigkeit des Schamanen, sich in einen Vogel verwandeln zu können. Auf das gelbe Tuch sind mit Rentierhaaren Ornamente eingestickt, die Augen, Augenbrauen, Nase, Mund, Ohren versinnbildlichen.

 

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT  habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang nicht nur Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt, sondern auch Märchen, Lyrik, Rätsel... – von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek.

Aus FREIE WELT 23/1985: Das tofalarische Märchen  

 

Die unsterblichen Menschlein und das Wasser des Lebens

 

 

 

Zeichnung von Klaus Müller aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

*

Es geschah in alten Zeiten. Ein junger Jäger ritt auf seinem feurigen Pferd durch die Steppe. Da begegneten ihm ungewöhnliche Menschen. Sie hatten Hufe und Pferdeköpfe. Sie liefen so schnell wie Pferde, und in der Steppe stand ein Dröhnen, als galoppierte eine Pferdeherde dahin.

Der Jäger erschrak. Was soll ich tun, dachte er und ließ sein Pferd galoppieren. Die Menschen mit den Hufen entdeckten den Jäger, lachten lauthals und verfolgten ihn. In den Händen hielten sie eiserne Haken. Der Jäger spornte sein Pferd. Aber die Menschen mit den Hufen waren schneller. Sie kamen näher, gleich würden sie ihn eingeholt haben. Vorne war ein Sumpf. Der Jäger peitschte sein Pferd mit aller Kraft, das Pferd schwang sich hoch und flog über den Sumpf. Die Menschen mit den Hufen aber blieben im Sumpf stecken und kehrten um.

Der Jäger war nun in einem unbekannten Land. Er ritt durch einen Wald, da erblickte er einen gesattelten Hasen. Der Hase trug auch einen Zaum, wie es sich für ein Pferd gehört. Seltsam, wem mag dieser Hase gehören? dachte der Jäger.

Kaum hatte er das gedacht, da sprang ein winziges Menschlein aus der Erde hervor. Es schwang sich auf den Hasen, ruckte die Zügel und sprengte juchzend davon.

Der Jäger war in ein Wunderland geraten, in dem unsterbliche Menschlein lebten. Sie wohnten im Wald unter der Erde und ritten auf Hasen.

Das Menschlein auf dem Hasen bemerkte den Jäger, kehrte um und erzählte ihm von seinem Volk. Der Jäger erfuhr, dass die Menschlein weder Krankheit noch Alter kannten und nicht starben, dass man sie aber töten konnte, und kürzlich habe ein flinker schwarzer Zobel eines der Menschlein angefallen und ihm die Kehle durchgebissen.

`Du bist doch ein guter Jäger, so räche uns denn und töte den schwarzen Zobel.´

Der Jäger machte sich auf die Suche nach dem schwarzen Zobel, spürte ihn auf und tötete ihn. Die Menschlein freuten sich und sagten:

`Sei bedankt, jetzt wollen wir dir auch Gutes tun. Kehre zurück nach Hause und erwarte uns in deiner Jurte. Wir kommen bei Vollmond, am fünfzehnten, und wir bringen dir das Wasser des Lebens.´

Der Jäger kehrte nach Hause zurück und erzählte von dem Wunderland, in dem die unsterblichen Menschlein lebten, und sie hätten ihm versprochen, bei Vollmond, am fünfzehnt, zu kommen und ihm das Wasser des Lebens zu bringen. Die Frauen hackten Holz und machten sich bereit, die Gäste zu empfangen.

Endlich eines Tages sahen sie Reiter auf grauen Hasen aus dem Wald gesprengt kommen. Die Frauen lachten laut.

`Schöne Gäste kommen zu uns! Was die für Vieh haben! Wie das Vieh, so das Volk!´

Das ergrimmte die Menschlein.

`So dummen Menschen können wir das Wasser des Lebens nicht geben´, sagten sie.

Sie verschütteten das Wasser auf Bäume: auf die Tanne, die Zirbelkiefer, die Kiefer. Dann wandten sie ihre Hasen und verschwanden.

Seither sind Tanne, Zirbelkiefer und Kiefer immergrün. Wenn die Frauen nicht gelacht hätten, wären die Menschen unsterblich geworden.

*

 Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Reschke, ausgewählt von Gabriele Kleiner,

Redaktion: Gisela Reller

 

 

"...Wenn die Frauen nicht gelacht hätten, wären die Menschen unsterblich geworden." Ein Tofalare mit seinen drei Frauen und fünf Kindern.

Foto von E. Alexander, 1909, aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

"(Die Tofalaren) sind freundliche, untersetzte Menschen mit asiatischen Gesichtszügen..."

 

In: FOCUS vom 17. Juni 2002

 

Rezensionen und Literaturhinweise (Auswahl) zu den TOFALAREN:

 

 

Rezension in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

* Bis jetzt habe ich kein Buch über die Tofalaren rezensiert!

 

 

Literaturhinweise (Auswahl)

 

* Märchen aus dem hohen Norden der Sowjetunion, Die Kranichfeder, Für Kinder nacherzählt von N. Gesse und S. Sadunaiskaja, Mit Illustrationen von Manfred Butzmann, 4. Auflage, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1983.

Jäger und Rentierzüchter sind die Helden dieser Märchen. Sie fahren mit dem Schneesturm um die Wette, ringen mit eisernen Ungeheuern, messen ihre Kräfte mit Waldriesen und verehren die Herrin des Feuers. Vielfältig spiegelt sich das Leben der Völker aus dem hohen Norden in seiner reichen Folklore, auch das der Tofalaren.

 

* Märchen der Nordvölker, Die Herrin des Feuers, Verlag Progreß, Moskau 1974 (in deutscher Sprache).

Darin auch Märchen der Tofalaren.

 

„Tofalaria - das Land der Tofa - ist ein Land mit malerischen Bergen, mit schnell dahin fließenden Flüssen, mit unberührter Taiga und Alpenwiesen. Die selbst im Sommer schneeweißen Gipfel grenzen Tofalaria von Tuwa im Süden ab.“

 

Michail Pawlow in: Die Stimme Russlands vom 30. September 2010

 

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

 

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

* Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

 

Die erste Ausgabe von HANDSCHLAG liegt vor. Von links: Dr. Gotthard Neumann, Leonhard Kossuth (Präsident), Horst Wustrau (Gestalter von HANDSCHLAG),

Gisela Reller, Dr. Erika Voigt

(Mitarbeiter des Kuratoriums zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten

im Ausland e. V.).

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

„Die Tofen (Tofalaren) sind ein mutiges Volk, das lange den rauen Ostsajan besiedelt hat und der unfreundlichen Natur des Gebirgslandes erfolgreich widersteht.“

 

„Stimme Russlands“ vom 24. Januar 2007

 

 

 

Pressezitate (Auswahl)

 zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Illustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und Gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen

in der Zeit von 1981 bis 1991.

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“ .

Zeichnung: Egbert Herfurth

 

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

 

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

Die TOFALAREN wurden am 24.02.2014 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 14.05.2016.

Die Weiterverwertung der hier veröffentlichten Texte, Übersetzungen, Nachdichtungen, Fotos, Zeichnungen, Illustrationen... ist nur mit Verweis auf die Internetadresse www.reller-rezensionen.de gestattet - und mit korrekter Namensangabe des jeweils genannten geistigen Urhebers.

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring