Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

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Wird laufend bearbeitet!

 

 

Wir sind KABADINERINNEN - vom Tanzensemble der

Kabardiner und Balkaren

  

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Foto: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden. 

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

"Aber erst als wir das Vorgebirge umschifft hatten, erfreuten wir uns des vollen Blickes auf diese paradiesische [kaukasische] Gegend, welche in der That unvergleichlich zu sein scheint. Im vollstem Maße vereinigt sie alle Combinationen, welche eine ungekünstelte Natur in ihren lieblichsten Formen hervorbringen kann. (...) Auch erschaut man schöne halbwilde Pferde, wie sie stolz ihren gewölbten Nacken krümmen. Ihre flatternden Mähnen erhoben sich schon bei schwachem Hauche des Windes. Gleich dem Wilde in unseren Wäldern sprangen sie lustig in den grünenden Thälern herum und über die steilen Abhänge der Hügel hinweg."

Karl Koch in: Die kaukasischen Länder und Armenien, 1855

 

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, Kabardino-Balkarien zu bereisen und auch die KABARDINER kennenzulernen, sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein kabardinisches Sprichwort -

 

Wer der Enge der Heimat entfliehen will, der reise.

 

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Die KABARDINER… (Eigenbezeichnung:  Kaberdei)

Die Kabardiner sind eine ethnische Gruppe der Tscherkessen. Sie bewohnen hauptsächlich die russische Teilrepublik Karbadino-Balkarien im Nordkaukasus, wo sie etwa 57,2 Prozent der Bevölkerung  ausmachen.

Zitat: "Der Gebirgsrücken des Kaukasus ist der Rückgrat der kaukaischen Welt, das Knochengerüst für die Natur der Landschaft, der Nerv zum Fleisch und Blut der Bewohner."

Roderich von Erckert (1821-1900; deutscher Ethnograph, Kartograph und Offizier

in russischen Diensten), Der Kaukasus und seine Völker, 1887

Die Kabardiner sind seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. im Kaukasus beheimatet.

"Natürlich muss an Vieles eben kein europäischer Maasstab angelegt werden, und kamen und kommen Missethaten einzelner vor, die von Rohheit und Raubsucht zeugen, aber immer doch seltene Ausnahmen bilden und in der dünn gesäeten Bevölkerung und der Übersichtlichkeit vieler Gegenden ihre Erklärung finden. die Abadsechen in den nördlichen Gebieten waren die kriegerischsten, gebildetsten und friedlichsten, die Kabardiner die vornehmsten, gebildetsten und friedlichsten, die Franzosen unter den Tscherkessen, von denen Mode, Kleidung und Benehmen noch heute ausgeht."

Roderich von Erckert (1821-1900; deutscher Ethnograph, Kartograph und Offizier in russischen Diensten)

in: Der Kaukasus und seine Völker, 1887

Es gibt zwölf tscherkessische Stämme, zu denen auch die Kabardiner gehören.

 

Die zwölf tscherkessischeN Stämme:

 

  1. die Abadzechen oder Azachen

       2. die Beslenejer

      3. die Bjedughen

     4. die Hatkuajer

       5. die Kabardiner

        6. die Makhoscher

       7. die Mamkeyher

      8. die Natkhuajer

       9. die Schapsugen (Adygen)

10. die Temirgojer oder Chemgujer

11. die Ubychen

         12. die Yecerikahuajer

 

Sechs dieser Stämme (die Hatkuajer, Makhoscher, Mamkeyher, Natkhuajer, Ubychen und Yecerikhuajer) sind mehrheitlich in die Diaspora gegangen; die wenigen Zurückgebliebenen schlossen sich anderen Stämmen an; die Ubychen gelten als ausgestorben. Die anderen sechs Stämme leben noch heute im Kaukasus: die Kabardiner in der Republik der Kabardiner und Balkaren, die Adygen in der Republik Adygeja, die Tscherkessen in der Republik der Karatschaier und Tscherkessen. Das Exekutivkomitee der Internationalen Tscherkessischen Assoziation empfahl im Jahre 2011 allen tscherkessischen Stämmen, sich im Russischen und in anderen Sprachen Tscherkessen zu nennen. Wohl, um im Ausland die Begriffsverwirrung zu beseitigen.

 

Bevölkerung: Nach der Volkszählung von 1926 zählten die Kabardiner139 8648 Angehörige; 1939 gibt es 161 216 Kabardinerr; 1959  waren es gleich 200 634; 1970 gleich277 435; 1979 gleich 318 822; 1989 gleich 386 055; 2002 gleich 519 958;  nach der letzten Volkszählung von 2010 gaben sich 516 826 Personen als Kabardiner aus. Insgesamt leben in Kabardino-Balkarien 859 939 Menschen (2010). Die Bevölkerung besteht aus zwei namengebenden Nationen: den Kabardinern, eine Untergruppe der Tscherkessen, sowie den Balkaren. Auf je eintausend Männer kommen 1 133 Frauen. Die Balkaren sind turksprachig und wahrscheinlich Abkömmlinge verschiedener, inzwischen längst vermischter Völker. Die ethnische Zusammensetzung der Republik 2010: Kabardiner (57,0 Prozent), Russen (22,5 Prozent), Balkaren (12,6 Prozent), Türken (1,6 Prozent), Osseten (1,1 Prozent)...

"Der Nordkaukasus stellt, was Natur, Geschichte und besonders die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung anbelangt, eine außergewöhnlich interessante Region dar. Hier leben nur 6 Prozent der sowjetischen Bevölkerung, der Zahl der Nationalitäten und Völkerschaften nach aber findet man seinesgleichen im Lande nicht. Besonders bunt ist die nationale Zusammensetzung in den Gebirgsgegenden. Kurz nach der Errichtung der Sowjetmacht wurden hier autonome Republiken und Gebiete gebildet. Eine autonome Republik - das ist ein gleichberechtigter Sowjetstaat, der auf der Grundlage politischer Autonomie im Bestand einer Unionsrepublik in die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken eingegliedert ist. Jede dieser Republiken ist im Nationalitätensowjet des Obersten Sowjets der UdSSR direkt durch 11 Abgeordnete vertreten, jedes autonome Gebiet durch 5, unabhängig von seiner Einwohnerzahl."

Aus: Sowjetliteratur 1/1972

Fläche: Die Fläche Kabardino Balkariens beträgt 12 470 Quadratkilometer, die Bevölkerungsdichte 69 Einwohner auf einen Quadratkilometer. Die Republik liegt am Nordabhang des Kaukasus. Der nördliche Landesteil ist eben, während das Land gegen Südwesten bis zum Elbrus immer gebirgiger wird.

Nach alter Einteilung wurden der westliche und der nördliche Teil des Kaukasus zu Europa gerechnet. Die Bewohner konnten sich für Europäer halten. Die in Transkaukasien  (Armenien, Georgien, Aserbaidschan)  dagegen als Asiaten. Dagegen erhob sich Einspruch von allen Seiten. Im Norden wie im Süden des Kaukasus leben Menschen mit gleichen Gewohnheiten, werden dieselben Sprachen gesprochen, sind Pflanzen- und Tierwelt nicht grundsätzlich verschieden. Die Geographen weigerten sich, etwas zu teilen, was sich für sie als eine Einheit darstellt. Als ähnliche Einsprüche auch aus dem Ural laut wurden, entschloss man sich in Moskau, Klarheit zu schaffen: Beide Gebirge werden nun zu dem Erdteil gezählt, mit dem sie durch ihre geologische Herkunft am engsten verbunden sind. Seitdem zählt der Ural physisch-geographisch ganz zu Europa und der Kaukasus ganz zu Asien.

Die Republik grenzt im Westen an Karatschai-Tscherkessien, im Osten an Nordossetien-Alanien, im Norden an die Region Stawropol und im Süden an Georgien. Die maximale Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung beträgt 167 Kilometer, in Ost-West-Richtung 123 Kilometer.

 

Geschichtliches: Im 13./15. Jahrhundert wurde das Gebiet von der Goldenen Horde beherrscht.

Die Goldene Horde (eigentlich "Goldene Armee") war die Bezeichnung eines mongolischen Herrschaftsgebietes, das im 13. und 14. Jahrhundert n. Chr. große Teile Asiens beherrschte. Nach dem Mongolensturm ab 1237 n. Chr. war die Goldene Horde die dominierende Macht in Asien. Als Gründer der Goldenen Horde wird Batu Chan, der Enkel Tschingis Chans, genannt. Der negative Klang des Namens rührt aus der missbräuchlichen Übertragung des Begriffs Horde. Der Zusatz "Golden" entstand aufgrund des zumeist geraubten Reichtums, über den jene Armee verfügte. Sie galt als die modernste und schlagkräftigste ihrer Zeit, zumal sie überwiegend beritten war. Auch große Teile Europas wurden zeitweilig erobert. So drangen Verbände 1242 n. Chr. bis in die Wiener Neustadt und an die Adria (Dubrovnik) vor. Im 13. Jahrhundert n. Chr. hatte die Goldene Horde den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Erst ab der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts ließen die militärischen Erfolge nach. Es war letztendlich die sogenannte Große Pest im Jahre 1346 n. Chr., die den Niedergang der Goldenen Horde einläutete. Damals soll es 85 000 Todesopfer allein auf der Krim gegeben haben. Die äußere Schwächung führte zur inneren Schwächung und zu Streitigkeiten am Hof. 1380 gab es eine vernichtende Niederlage für die Goldene Horde gegen die Russen.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bildete sich die Große und die Kleine Kabardei heraus. 1557 schloss sich die Kabardei Russland an, in der Folgezeit war sie oft  Streitobjekt zwischen Russland und der Türkei.  Die Kabardiner, mit denen die Balkaren heute ein gemeinsames Territorium bewohnen, wurden 1774 in das Russische Reich eingegliedert, das ihnen im Innern eine gewisse Autonomie ließ, die jedoch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts trotz heftigen Widerstands nach und nach eingeschränkt wurde. (Die Balkaren, mit denen die Kabardiner ein gemeinsames Territorium bewohnen,  wurden erst 1827 in das Zarenreich eingegliedert.) Das Gebiet der Kabardiner und Balkaren wurde bis zum Ende des Zarenreichs von den beiden Titularnationen der Kabardiner und Balkaren besiedelt. - 1918 siegte in Kabardino-Balkarien die Sowjetmacht, 1920 waren die Weißgardisten endgültig besiegt. In der Stalinzeit kam es zu gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen. Während Kabardiner und Balkaren massiv Bevölkerungsanteile verloren, wuchs die Zahl der slawischen Siedler. In der Auflösungsphase der Goldenen Horde trennten sich die Kabardiner wahrscheinlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts von den übrigen Tscherkessen und zogen in das Terekbecken, wo sie sich mit Teilen der im Mongolensturm untergegangenen (iranischen) Alanen vermischten. Sie errangen eine gewisse Vormachtstellung gegenüber ihren nichttscherkessischen Nachbarstämmen, gerieten selbst jedoch zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter die Tributherrschaft der Krimtataren. Gegen diese suchten sie bei den Russen Hilfe und wurden so seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Verbündete der Moskauer Zaren. Im 18.Jahrhundert war das Gebiet der Kabardiner, die Kabarda, Streitobjekt der expandierenden Reiche von Persern, Türken und Russen.

 

   

 

Kabardiner im 19. Jahrhundert.

Fotos aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die von den Russen gewährte Autonomie der Kabardiner trotz heftigen Widerstands nach und nach eingeschränkt.

 

"Auf dem Höhepunkt der Hungersnot, zum Jahreswechsel 1932/33, war ein Gebiet mit einer Bevölkerung von mehr als 70 Millionen Menschen betroffen: die Ukraine, der Nordkaukasus, Kasachstan und einige russische Provinzen. [...] Geheime Berichte der OGPU und der Partei waren insbesondere in den ersten Monaten des Jahres 1933 voller Meldungen über den weit verbreiteten Kannibalismus. Mütter ermordeten ihre Kinder, und Akjtivisten, die sich wie Wahnsinnige aufführten, folterten die Bevölkerung."

Oleg Chlewnjuk in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

 

Staatsgefüge: Nach der Oktoberrevolution wurde 1921 die Kabarda zum Kabardinischen Autonomen Gebiet erklärt, das im Januar 1922 mit dem Nationalen Kreis der Balkaren zusammengelegt und zum Kabardino-Balkarischen Autonomen Gebiet umgewandelt wurde. Dieses erhielt 1936 den Status einer ASSR, die nach der Deportation der Balkaren 1944 in Kabardinische ASSR umbenannt wurde.

„Jedes Volk – die Tschetschenen, die Inguschen, die Osseten, die Kabardiner, die Balkaren, […] muss seinen eigenen Sowjet haben. […] Sollte der Beweis erbracht werden, dass die Scharia notwendig ist, so mag es die Scharia geben. […] Sollte der Beweis erbracht werden, dass die Organe der Tscheka  […] es nicht verstehen, sich der Lebensweise und den Besonderheiten der Bevölkerung anzupassen, dann ist klar, dass auch auf diesem Gebiet entsprechende Änderungen vorgenommen werden müssen."

Josef Wissarionowitsch Stalin auf dem Kongress der

Völker des Terekgebiets am 17. November 1920

- Als 1957 die Balkaren wieder in ihre Heimat zurückkehren durften, erhielt die Republik wieder ihre ehemalige Bezeichnung. - Seit 1991 ist Kabardino-Balkarien eine autonome Republik.

Verbannungsgebiet: In der Stalinzeit wurden Angehörige der koreanischen Minderheit von den Grenzgebieten in Fernost in andere Teile der Sowjetunion ungesiedelt, ein kleiner Teil von ihnen kam nach Kabardino-Balkarien.

"In der kleinen Kabardino-Balkarischen-Sowjetrepublik (...) im Kaukasus, gab es in der Nähe der Stadt Naltschik ein Molybdänkombinat des NKWD, das mit Zwangsarbeitern betrieben wurde. Als die Rote Armee sich aus diesem Gebiet zurückzog, konnten mehrere hundert Gefangene aus technischen Transportgründen nicht rechtzeitig evakuiert werden. Der Direktor des Kombinats ließ auf Befehl des Kommissars des Kabardino-Balkarischen NKWD, Genossen Anochow, die Unglücklichen bis zum letzten Mann mit Maschinengewehrfeuer niederschießen."

Jörg Baberoweski in:  Stalins Herrschaft der Gewalt, 2012

Hauptstadt: Die Hauptstadt Kabardino-Balkariens ist Naltschik mit 240 203 Einwohnern (2010), die mit Abstand größte Ortschaft der Republik. Die Stadt liegt auf einer Höhe von bis zu etwa 600 Metern über dem Meeresspiegel im nördlichen Vorland des Kaukasus. Naltschik ist der wichtigste Industriestandort Kabardino-Balkariens, die bedeutendsten Wirtschaftszweige sind der Maschinenbau und die Lebensmittelindustrie; in Naltschik gibt es eine Universität und einen Verlag.

 

 

Naltschik, die Hauptstadt der Kabardino-Balkarischen Republik im Jahre 1982.

Fotos aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Wirtschaft: Die Kabardiner befassen sich traditionell mit Ackerbau und Viehzucht, hauptsächlich mit der Pferdezucht; die Pferderasse „Kabardiner“ ist weltberühmt.

„Kabardiner sind eine Pferde-Rasse mit Hand und Fuß - Gebrauchspferde wie man so schön sagt. Sie sind Kumpel durch dick und dünn, begleiten ihren Reiter in der Freizeit mit Freude am Laufen, sind jederzeit zuverlässig und kontrollierbar, und sind gleichzeitig doch sehr temperamentvoll. Ihre `Heimat´ ist das Gelände, sie nehmen schwierigstes Geläuf ohne mit der Wimper zu zucken und traben, wo bei anderen Pferden längst abgestiegen und geführt werden muss. Sie sind sehr leichtrittig, verfügen über eine außerordentliche Kondition und Regeneration, und stundelanges Rumtreiben ist kein Problem - für Pferd und Reiter. Sie sind ideale Wanderreitpferde und auch für ambitionierte Reiter geeignet. (…) Zu guter letzt sei erwähnt, dass Kabardiner lange leben, kaum anfällig für Krankheiten und Verletzungen sind und über enorme Selbstheilungskräfte verfügen. Sie haben sehr harte Hufe und hervorragende Gelenke und einen stabilen Körperbau und bereiten so niedrige Tierarzt- und Hufschmiedkosten und wunderbare Ausritte auch jenseits der zwanzg Jahre. Sie sind eine der härtesten Gebirgspferderassen der Welt, manche bezeichnen sie sogar als die beste. Leider sind sie stark in Vergessenheit geraten und ihr Fortbestand ist bedroht.“

Tscherkessischer Kulturverein, Köln e. V.

Was die Gewerbe anbelangt, so sind die Männer Meister des Schmiedehandwerks (Herstellung von Waffen) und der Juwelierkunst; die Frauen beschäftigen sich vorrangig mit der Filzherstellung und der Goldstickerei.

 

 

Naltschik ist der wichtigste Industriestandort Kabardino-Balkariens. Auf dem Foto:

die Montagearbeiterinnen Swetlana Sosojewa und Irina Jadykina.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Verkehr:  Naltschik verfügt über einen nationalen Flughafen, der jedoch von keiner westeuropäischen Fluglinie angeflogen wird. Gut zu erreichen ist Naltschik auch über den Flughafen von Mineralnyje Wody. Über die Fernstraße Pjatigorsk-Wladikawkas ist die Stadt an das russische Fernstraßennetz angebunden, eine Bahnlinie führt nach Maiski in Kabardino-Balkarien. Der innerstädtische öffentliche Nahverkehr wird mit Bussen bewältigt. - Der Kaukasus ist ein verkehrsfeindliches Gebirge. Es fehlen Quertäler, da macht ihn unzugänglich. Nur drei Passstraßen gibt es - die Georgische Heerstraße von Ordshonikidse nach Tbilissi, die Ossetische Heerstraße, die ebenfalls in Ordshonikidse beginnt und nach Kutaissi führt, und eine dritte Straße von Tscherkessk über den Kluchor-Pass nach Suchumi. Nur die Georgischer Heerstraße hat verkehrstechnische und wirtschaftliche Bedeutung. Sie führt durch die Darialschlucht.

Sprache/Schrift: Die Kabardiner sprechen die kabardinische Sprache – neben der adygejischen Sprache eine der etablierten Schriftsprachen aus Dialekten der Tscherkessen, die von 1923 an lateinisch und seit 1936 kyrillisch geschrieben wird. Das Kabardinische gehört zu den nordostkaukasischen Sprachen. Charakteristisch ist die große Anzahl an Konsonanten und nur dreier Vokale – „a“, „e“, „y“. - 1925 erschien das erste Buch in kabardinischer Sprache.

Literatursprache/Literatur: Das Kabardinische ist  seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Literatursprache. Bekannt ist der kabardinische Autor Alim Keschkow, der an die zwei Dutzend Gedichtbände veröffentlicht hat, in Deutschland wurde er bekannt durch seine Äußerungen in der  Zeitschrift "Sowjetliteratur" 11/1975 zur Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte. - Große Erfolge errang in der Sowjetunion auch der Kabardiner Adam Schogenzukow (geboren 1916), zeitweise Vorsitzender des Schriftstellerverbandes von Kabardino-Balkarien. Erste Gedichte von ihm erschienen 1939; er studierte an der Pädagogischen Hochschule. - Als Literaturkritiker und Prosaschriftsteller wurde auch Chatschim Tëunow (geboren 1912),  bekannt, besonders in seiner Heimatrepublik Kabardino-Balkarien. Er war Schriftsteller, Kritiker und Dramatiker, hatte die Pädagogische Hochschule in Naltschik absolviert, war seit 1934 literarisch tätig. - Die Lyrikerin Foussat Balkarowa studierte am Gorki-Literaturinstitut in Moskau, veröffentlicht seit 1947 Gedichte.

 

 

Dichter der Berge: der Balkare Kaissyn Kulijew (1917 bis 1985), der Kabardiner Alim Keschkow

(geb. 1914) und der Aware Rassul Gamsatow (1923 bis 2003).

Gemälde von Viktor Abajew aus der Republik Kabardino-Balkarien, Reproduktion

aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Bildung: Vor der Revolution von 1917 kamen auf ganz Kabardino-Balkarien siebentausend Schüler. - Heute verfügt Kabardino Balkarien über eine Staatliche Universität, eine Filiale der Staatlichen Ökonomischen Akademie Rostow am Don, eine Filiale der Staatlichen Universität für Nachrichtentechnik Taganrog, eine Filiale der Hochschule des Innenministeriums Russlands in Rostow am Don, eine Staatliche Landwirtschaftliche Akademie, ein Staatliches Kunstinstitut des Nordkaukasus.

 

Kultur/Kunst: Bei den Kabardinern ist ebenso wie bei den anderen tscherkessischen Völkern, das Streben nach ethnischer Selbstbehauptung und Wiedergeburt ihrer Kultur stark entwickelt. Sie haben die Gesellschaft „Chassa“ („Volksversammlung“) gegründet und Verbindungen zu den gleichnamigen Gesellschaften der Tscherkessen und Adygejern hergestellt.

 

 

Das Selbstporträt des Malers German Paschtow.

Reproduktion aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Gesundheitswesen: Im Artikel 41 der Verfassung der Russischen Föderation ist für alle Bürger das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung verankert. Dieser seit den Sowjetzeiten bestehende Grundsatz ist zum Teil die Ursache dafür, dass Russland im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl an Ärzten und Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung aufweist. Dennoch ist der gesundheitliche Zustand der russischen Bevölkerung schlecht. Gerade beim wirtschaftlichen Niedergang der 1990er Jahre in Russland wurde das Gesundheitswesen stark getroffen. Das Ergebnis führte zu äußerst niedrigen Entlohnungen der Ärzte und Krankenschwestern und als Folge zu einer massiven Verschlechterung der Qualität der medizinischen Versorgung der breiten Öffentlichkeit. So ist inzwischen jede dritte Klinik der siebentausend Krankenhäuser im Land dringend renovierungsbedürftig. In letzter Zeit werden die Gehälter für das medizinische Personal schrittweise angehoben sowie staatliche Mittel in die Einrichtung neuer und in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. In den Jahren 1999 bis 2003 betrugen die durchschnittlichen Gesamtausgaben für den Gesundheitssektor in Russland im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt 5,70 Prozent. - In der Russischen Föderation ist der Gesundheitssektor dezentral organisiert. Das Gesundheitsministerium ist auf föderaler Ebene für den gesamten Sektor zuständig, das Erbringen der konkreten medizinischen Leistungen aber Aufgabe der Föderationssubjekte* und Gemeinden. Der Bedeutung der Föderationssubjekte und Gemeinden im Gesundheitssektor gemäß werden rund zwei Drittel der gesamten Budgetausgaben von diesen bestritten. Das russische Gesundheitssystem wird durch einen Mix aus Budgetmitteln und Mitteln aus der Sozialversicherung finanziert.

 

* Als Föderationssubjekte der Russischen Föderation werden die 83 territorialen, mit gewisser politischer und administrativer Autonomie ausgestatteten und im Föderationsrat vertretenen Verwaltungseinheiten Russlands bezeichnet.

Klima: Die Republik Kabardino-Balkarien hat kontinentales Klima. Die Durchschnittstemperatur im flachen Norden beträgt im Januar minus 4 Grad und im Juli plus 23 Grad, die Niederschlagsmenge ist mit unter 500 Milligramm gering. Die Sommer sind warm und trocken, die Winter kalt und schneereich.

Natur/Umwelt: Die Gebirgsregion des Kaukasus ist aus Sicht des Naturschutzes eine der 25 gefährdetsten Gebiete der Erde. - Auf dem Territorium von Kabardino-Balkarien gibt es den Nationalpark „Am Elbrus“ und etwa 2 000 Meter über dem Meeresspiegel ein 533 Quadratkilometer großes Naturschutzgebiet (mit Leoparden, Wisenten, Gämsen und seltenen Pflanzen. - In Kabardino-Balkarien befinden sich fast alle bekannten über 5 000 Meter hohen Gipfel des Kaukasus, zum Beispiel der Elbrus, den die Balkaren „Mingi tau“ – „Ewiger Berg“ – nennen. Die Araber nannten den Elbrus im Mittelalter Dschabal al-alsun „Berg der Sprachen“. Weitere Bezeichnungen des Elbrus sind „König der Geister“, „Thron der Götter“, „Ort der Glücklichen“ und „Heilige Höhe“.

Der Elbrus – etwa einhundert Kilometer westlich der kabardino-balkarischen Hauptstadt Naltschik gelegen - ist mit einer Höhe von 5 642 Metern der höchste Berg des Kaukasus (und Russlands);  er  ist  823  Meter höher als der Montblanc. Auch der   mit 5 204 Metern zweithöchste Berg, der Dychtau, befindet sich im Elbrusgebirge, ebenso wie die anderen Fünftausender: der Koschchatau (5 151 Meter), der Schchara (5 068 Meter), der Pik Puschkin (5 033 Meter) und der Mischergi (5 025 Meter). Die Grenze zwischen den Kaukasusrepubliken Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien verläuft über den Westgipfel des Elbrus, wobei der größte Teil des Bergmassivs in Kabardino-Balkarien  liegt.  Der  Berg mit dem Doppelgipfel (Westgipfel 5 642 Meter, Ostgipfel 5 621 Meter) ist ein gegenwärtig inaktiver, stark vergletscherte Vulkan. Die  Entfernung  zwischen beiden Gipfeln beträgt 1 500 Meter. In der Antike war der Berg bekannt  als Strobilus, in der Mythologie als das Gefängnis des Prometheus, nachdem er den Menschen das Feuer gebracht hatte. – Da der Elbrus als Heiliger Berg gesehen wurde, galt seine Besteigung lange Zeit als tabu. Die Erstbesteigung des Ostgipfels erfolgte am 22. Juli 1829 durch den kabardinischen Hirten und Träger Kilar Chatschirow, den Westgipfel besiegten 1874 englische Bergesteiger unter der Leitung von F. Growe und dem Balkaren A. Sottaew. – Deutsche Gebirgsjäger der 1. und 4. Gebirgsdivision überschritten am 14. August 1942 den 4 000 Meter hohen Pass Khotiutau und acht Mann erreichten sogar den Westgipfel des Elbrus. Die Nachricht von der Besteigung des höchsten Berges des Kaukasus soll bei Hitler einen Wutausbruch ausgelöst haben. Laut Albert Speers Erinnerungen schimpfte er über den „idiotischen Ehrgeiz, einen idiotischen Gipfel zu besteigen“, wo er doch befohlen hatte, alle Kräfte auf die Eroberung von Suchumi am Schwarzen Meer zu konzentrieren.

Der Nordkaukasus liegt in einem Erdbebengebiet.

 

 

Die Kabardiner befassen sich traditionell mit Ackerbau und Viehzucht, es werden Schafe, Rinder, Ziegen und Pferde gehalten. Im Hintergrund Berge des Kaukasus, einem

etwa 1 100 Kilometer langen Hochgebirge.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Pflanzen- und Tierwelt: Der Kaukasus beherbergt eine reichhaltige Tierwelt. Zu den großen Arten zählen Marale (eine Unterart des Rothirschs), Wildschweine, Gämsen und Steinböcke. Ebenfalls heimisch sind Bär, Wolf und Luchs. Extrem selten ist der Kaukasische Leopard, der erst 2003 wiederentdeckt wurde. Das Kaukasische Wisent starb 1927 aus. Wieder eingeführte Tiere, bei denen es sich um Hybriden mit Bisons handelt, leben im Naturreservat des nordwestlichen Kaukasus in Adygeja. Das letzte Exemplar des Kaukasus-Elches wurde 1810 getötet. – Der Kaukasus ist sehr artenreich an wirbellosen Tieren, beispielsweise sind hier bisher etwa tausend Spinnenarten nachgewiesen. - Im Kaukasus sind 6 350 Blütenpflanzen-Arten heimisch, davon sind 1 600 endemische Arten, zum Beispiel Bestimmte Doldenblütler, Korbblütler, Nelkengewächse, Braunwurzelgewächse, Baldriangewächse, Kreuzblütengewächse, Raubblattgewächse, Rosengewächse. – Der Riesenbärenklau wurde 1890 als Zierpflanze nach Europa importiert. – Die Gebirgsregion des Kaukasus ist aus Sicht des Naturschutzes eine der 25 gefährdetsten Gebiete der Erde.

Behausungen: Die Kabardiner wohnten in Häusern mit rechteckigem Grundriss, die mit einem Satteldach oder einem Walmdach aus Stroh gedeckt waren. Die Fürsten, Adligen und wohlhabenden Bauern errichteten zudem ein Haus für die Gäste – „Kunazkaja“ genannt. Steinbauten mit Dächern aus Eisenblech und Dachziegeln wurden erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet.

Traditionelle Behausung der Kabardiner im 19. Jahrhundert

Zeichnung aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Ernährung: Legendäre Vitalität zeichnet die Bewohner des Kaukasus aus. Sie leben nicht nur lange, sondern erhalten sich auch ihre Lebensfreude und eine beneidenswerte Gesundheit. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Ernährung.

Naturbelassene Nahrungsmittel und eine Fülle von frischen Zutaten werden zu Gerichten von unwiderstehlicher Köstlichkeit komponiert. (...) Bei allen Unterschieden haben die Kaukasier jedenfalls eines gemeinsam: Sie werden dank ihrer natürlichen Ernährung und Lebensweise steinalt, und das bei bester Gesundheit."

Monika Buttler in: Die Kaukasuskost der Hundertjährigen, 1999

Als Nahrungsmittel dienen bei den Kabardinern bevorzugt gekochtes und gebratenes Hammelfleisch, Rindfleisch oder Putenfleisch, aus denen auch Fleischbrühe gekocht wird. Zu den Fleischgerichten wird ein fester Hirsebrei serviert. Aus dem Hirsemehl wird unter Zugabe von Malz ein Getränk hergestellt – „Machsyma“.

Kleidung: Die traditionelle Bekleidung der Männer ist die „Tscherkesska“ (eine Art Kaftan) mit einem Silbergürtel, an dem der Dolch hängt. Das Schuhwerk bestand aus  weichen Lederstiefeln ohne Absatz. Als Oberbekleidung dienten die „Burka“ (ein Filzüberwurf), ein Schafspelz, eine Kapuze. Zur traditionellen Bekleidung der Frauen gehörten Pluderhosen, ein Tunika ähnliches Hemd. Darüber wurde ein langes Kleid gezogen, das silber- oder goldfarbige Gürtel und ein Brustlatz ergänzten. Als Kopfbedeckung trugen die Frauen eine mit Goldstickerei verzierte Kappe. Als Schuhwerk – weiche Schuhe aus Saffianleder.

Traditionelle Tracht der Kabardiner - die berühmte Tscherkesska.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Folklore: Die Kabardiner besitzen  - wie alle kaukasischen Völker - eine reichhaltige Folklore.

 

   

 

Traditionell für Kabardiner, Tscherkessen, Adygejer: Musik und Tanz...

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 - Die traditionellen Spiele und Vergnügungen der Kabardiner besitzen oft paramilitärischen Charakter. Das sind das Schießen auf unbewegliche und bewegliche Ziele, das Schießen beim Reiten, der Kampf von Reitern um ein Schafsfell, der Kampf mit Stöcken – zu Pferde oder ohne Pferd.

 

Feste/Bräuche: Nach altem Brauch wird in den Bergen des Kaukasus der Neuankömmling in den ersten drei Tagen als Gast betrachtet, am vierten Tag aber schon dem Hausherrn gleichgestellt. - Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Kabardiner in Großfamilien. Später setzte sich die kleine Familie durch, die Lebensweise blieb jedoch bis in die jüngste Zeit patriarchalisch. Der Vater als Familienoberhaupt bestimmt noch heute fast alles, die jüngeren Familienmitglieder fügen sich in der Regel den älteren, und die Frauen zum Teil noch den Männern. Die Blutrache wurde allerdings bereits zum 19. Jahrhundert durch die Zahlung einer Summe an den Geschädigten verdrängt. Bei den Kabardinern war und ist die Gastfreundschaft hoch geschätzt. Große Aufmerksamkeit schenken die Kabardiner der „Adyge chabse“: die Gesamtheit an Rechtsnormen, moralischen Vorschriften und Regeln der Etikette.

Zitat: "Niemals kann ich die Volksfeste in den Vororten von Pjatigorsk vergessen, wohin talentvolle Menschen aus allen Ecken und Enden der nordkaukasischen Erde strömten. Wahrhaftig, die Augen wußten nicht, wohin sie blicken sollten angesichts dieses phantastischen Schauspiels: ossetische Dshigiten [mutige Burschen] in weißen Beschmeten [Umhängen] auf ihren dünnbeinigen und raschen Pferden; Seiltänzer aus Dagestan mit den elastisch-geschmeidigen, wie mir schien `lebendigen´ Balancierstangen; großartige kabardinische Tänzer, Tänzer aus Dagestan und dem Land der Tschetschenen, die virtuos kaukasische Tänze vollführten, in erster Linie die Lesginka, einen geradezu feurigen Tanz; Musikanten, deren Instrumente sowohl dem Aussehen wie dem Klang nach ganz ungewöhnlich waren. Am packendsten waren jedoch die Pferderennen: die Nordkaukasier sind geborene Reiter, für die das Pferd wie der Dolch nicht mit Gold aufzuwiegen ist. Und diese Rennen nun bedeuten einen Zweikampf der Charaktere, der Leidenschaften und, versteht sich, der Kunst des Dshigiten, einen derart hitzigen Zweikampf, daß es mitunter schwer fiel zu begreifen, ob das nun Spiel oder Leben war..."

Sawwa Dangulow (adygejischer Schriftsteller) in: Sowjetliteratur 1/1972

Religion: Seit dem 5. Jahrhundert wurden Tscherkessen von byzantinischen Missionaren zum Christentum bekehrt. Im Mittelalter folgten Bekehrungen durch georgisch-orthodoxe und genuesisch-katholische Missionare, die aber aufgrund der geografischen und politischen Abgeschnittenheit Tscherkessiens alle nicht von Dauer waren. Die Tscherkessen verehrten weiterhin Naturgötter z. B. Schible – den Gott des Donners, Tlepsch – den Gott des Feuers, Soserez – den Gott des Wassers, Melzischa – den Gott der Wälder. In der Vergangenheit wurde kein Baum ohne den Beschluss des Ältestenrates (des Chase) gefällt. Jede Familie oder Sippe hatte ihren eigenen Baum, bei dem man sich vor Versammlungen oder vor wichtigen Entscheidungen traf. - Seit dem 6. Jahrhundert teilweise christianisiert, wurden die Kabardiner im 15. Jahrhundert unter dem Einfluss der Krimtataren zum Islam bekehrt. Die Kabardiner verbreiteten von da an bis zum 19. Jahrhundert den Islam unter den anderen tscherkessischen Stämmen und benachbarten Völkern, der christliche und animistische Kulte allmählich zurückdrängte. - Der schottische Gesandte James Stanislaus Bell, der sich 1837–1839 in Tscherkessien aufhielt, berichtet, dass damals die Bibel (auf Georgisch) und der Koran (auf Arabisch) gelesen wurde und auch alte Kulte verbreitet waren. – Bis auf eine kleine Minderheit der kabardinischen Tscherkessen, welche othodoxe Christen sind, sind die meisten Tscherkessen heute sunnitische Moslems - wie die Mehrheit der Kabardiner. 

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind: Vom 19.-21. Mai 1990 fand in Holland eine konstituierende Versammlung für einen „Weltkongress der Tscherkessen“ statt, an der Delegationen aus Europa, der Türkei, Syrien, Jordanien, den USA und aus dem Kaukasus teilnahmen. Dieser benannte sich später in „Internationale Tscherkessische Assoziation“ um.  Sitz dieses Weltverbandes ist Naltschik, die Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien, Vorsitzender ist der Bankier Kanshoby Azhakhov aus Naltschik. Die „Internationale Tscherkessische Assoziation“ (ICA, oft mit dem Zusatz „Adyge-Khase“), ist wohl der wichtigste Dachverband tscherkessischer Organisationen aus aller Welt. Ihm gehören die ethnisch-tscherkessischen Organisationen der drei Teilrepubliken der Russischen Föderation (Kabardino-Balkarien, Adygeja, Karatschai-Tscherkessien), das Krasnodarer Gebietes sowie die Diaspora, der Türkei, Syriens, Jordaniens, Israels, der USA (New Jersey und Kalifornien) und Deutschlands an.

Bis 2010 gehörten die drei Teilrepubliken Kabardino-Balkarien, Adygeja und Karatschai-Tscherkessen den Südlichen Föderationsbezirk an. 2010 wurden auf Anordnung von Präsident Medwedjew Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien einem neuen Nordkaukasischen Föderationsbezirk zugeschlagen, während die Republik Adygeja außen vor blieb. Im Februar 2014 wurde Asker Sokht (Socht), der Führer der „Internationalen Tscherkessischen Assoziation“ der Region Krasnodar, zu der auch das Olympiazentrum Sotschi gehört, in der Regionalhauptstadt Krasnodar verhaftet. Nach Mitteilung der Assoziation hängt die Verhaftung mit der Kritik des Historikers Asker Sokht an den Olympischen Spielen zusammen.

"Insgesamt fühlen sich die Tscherkessen in Russland politisch und wirtschaftlich benachteiligt und träumen von einer eigenen zusammenhängenden Region."                                                                           Hans-Joachim Hoppe in: Eurasisches Magazin vom 2. Oktober 2011

In zwei der drei russischen Teilrepubliken sind Tscherkessen an der Macht: in der Republik Adygea ist seit 2007 der Adygejer Aslan Tchakuschinow Präsident und in Kabardino-Balkarien seit 2005 der Kabardiner Arsen Kanokow. In Abchasien (zu Georgien gehörig) war der Tscherkesse Sultan Sosnaliyew in den Jahren 2005-2007 Verteidigungsminister und Vizepremier (gestorben 2008).

„Eine Neugestaltung der Republiken Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien würde - wie überall im Nordkaukasus - äußerst heikle Fragen nach den künftigen Grenzen aufwerfen. Fast alle Gemeinschaften beanspruchen in der einen oder anderen Form Gebiete, die zurzeit von einem oder mehreren anderen Völkern besiedelt werden."

Neue Zürcher Zeitung vom 9. September 2004

November 2015: In einem der größten Anti-Terror-Operationen der jüngsten Vergangenheit haben russische Spezialeinsatzkräfte einen Ableger der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Russlands Süden vernichtet. Im Nordkaukasus wurde eine lokale Gruppe der Terrororganisation „Islamischer Staat“ vernichtet. Bei einem Spezialeinsatz des russischen Geheimdienstes FSB am Sonntag in der südrussischen Republik Kabardino-Balkarien, 1 600 Kilometer von Moskau entfernt, wurden elf Terroristen getötet. Der Einsatz gilt als der größte in der jüngsten Vergangenheit.Die Terrorgruppe soll Republikeinwohner, die für den „Islamischen Staat“ kämpfen wollten, nach Syrien eingeschleust und Terroranschläge im Nordkaukasus geplant haben. Im gut versteckten Unterschlupf der Terroristen wurden große Mengen an Waffen, Munition und Sprengstoff sichergestellt.

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland: In Deutschland gab es 2013 etwa vierhundert Pferde der Kabardiner Rasse. Der Großteil sind importierte Pferde aus dem Kaukasus, es gibt aber auch eine kleine, stabile und qualitätsvolle Zucht mit teilweise sehr guten Fohlen (2012: acht Fohlen, davon vier Prämienfohlen und zwei Goldprämienfohlen). Der Kabardiner, sein Ursprung geht auf das 12. Jahrhundert zurück, ist ein elegantes Robustpferd, es hat auch in schwierigstem Gelände einen sicheren Gang. Der Kopf ist edel, Mähne und Schweif sind voll, das Auge ist klar und wach, an Fellfarben sind Braun, Dunkelbraun, Schwarzbraun und Rappe vertreten, Schimmel sind selten. Der Kabardiner ist berühmt für seine Härte und seinen Orientierungssinn, darauf zurückzuführen, dass er in erster Linie von Hirten und Jägern im Gebirge eingesetzt wurde; als typisches Gebirgspferd ist er scheufrei und sehr nervenstark. Der Verein „Freunde und Förderer des Kabardinerpferdes e. V.“ und der „Kabardinerhof“ am Gruselsberg feiern alljährlich das „Kabardinerfest“; der bekannteste Kabardinerhengst in Deutschland ist Edil, er verfügt über eine Nachkommenschaft von mehr als fünfzig Hengsten, Stuten und Wallachen von durchweg höchster Qualität.

 

Interessant, zu wissen..., dass die schöne Kutschenej - eine Gattin Iwan IV., des Schrecklichen - die Tochter des Kabardiner-Fürsten Temir-Guki war.

Nachdem die erste Ehefrau von Iwan IV. mit achtundzwanzig Jahren gestorben war - Anastasia war mit Quecksilber vergiftet worden - suchte der Zar eine neue ausländische Prinzessin. Da die Bemühungen der zaristischen Diplomaten weder in Polen noch in Schweden Erfolg hatten, holten sie dem Zaren eine Braut aus dem fernen Kaukasus: die auffällige, wilde Schönheit Kutschenej mit den teerschwarzen Zöpfen; unter dem Namen Maria wurde die KABARDINERIN Iwans zweite Ehefrau. Viel Gutes ist von ihr nicht überliefert: Oft motivierte sie den Zaren selbst zu Rachefeldzügen, die sie dann mit Vergnügen beobachtete. Die an vieles gewöhnten Höflinge fuhren zusammen, wenn sie bei den grausamen Bären-Spielen oder bei Hinrichtungen Marias fröhliches Lachen vernahmen. Unter Maria wurde die Opritschnina geschaffen - die Leibgarde des Zaren, die aus tausend Gardisten bestand. Der Bruder der Zarin, Michail, führte diese Halsabschneider-Truppe an. - Nachdem man dem Zaren hinterbracht hatte, dass die schöne Kabardinerin einen Liebhaber habe - starb Kutschenej eines plötzlichen Todes...

 

In der Heimat schmeckt die Brotkruste besser

als in der Fremde der Braten.

Sprichwort der Kabardiner

 

Die Kabardiner: Für Liebhaber kurzer Texte

Mit den Tscherkessen und den Adygen bilden die Kabardiner die adygeische (tscherkessische) Völkergruppe. Besonders ausgeprägt sind Übereinstimmungen in Kultur und Lebensweise zwischen Kabardinerin und Tscherkessen, die beide eine einheitliche Sprache, das Kabardinische sprechen, das zu den nordostkaukasischen Sprachen gehört. – Im 13. Jahrhundert kamen die Kabardiner unter die Herrschaft der Mongolen der Goldenen Horde. In deren Auflösungsphase trennten sich die Kabardiner wahrscheinlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts von den Tscherkessen und zogen in das Terekbecken, wo sie sich mit Teilen der iranischen Alanen vermischten. Zu jener Zeit errangen sie eine gewisse Vormachtstellung gegenüber den Balkaren, gerieten jedoch zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter die Tributherrschaft der Krimtataren. Seit dem 6. Jahrhundert teilweise christianisiert, wurden sie nun von den Krimtataren islamisiert. Die gläubigen Kabardiner sind heute sunnitische Moslems. Obwohl die Kabardiner, die sich selbst „Kaberdei“ nennen, den Dolch durchaus zu handhaben verstanden, sahen sie sich von den Krimtataren so bedroht, dass sie sich 1557 Russland anschlossen. Vorübergehend unzerstörbare Bande zwischen den Russen und den Kabardinern knüpften die Ehebande zwischen dem russischen Zaren Iwan IV. und der kabardinischen Fürstentochter Maria Temrjukowa, die nicht nur sich ins russische Zarenschloss einbrachte und heute noch durch die kabardinischen Sprichwörter geistert, sondern auch das Rezept für das kabardinische Nationalgericht Chatchin - eine vielschichtige Pirogge mit scharf gewürzter Hammelfleischfüllung. Diese Pirogge soll des schrecklichen Zaren Lieblingsgericht geworden sein. In Kabardino-Balkarien muss noch heute jede kabardinische Braut dieses jahrhundertealte Essen schmackhaft zubereiten können. – Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bildeten sich die Große die Kleine Kabardai heraus. Dieses Gebiet war in der Folgezeit häufig Zankapfel zwischen Russland und der Türkei, erst 1774 fiel es endgültig an Russland – Obwohl die über dreihundertzwanzigtausend Kabardiner vorrangig das Kaukasusvorland und die Kabardinische Ebene bewohnen, sind sie bis heute berühmt für die Züchtung der „Kabardiner“, die bereits seit dem 16. Jahrhundert als die besten Pferde für Gebirgsverhältnisse gelten.

Diesen bisher unveröffentlichten Text habe ich geschrieben, als ich für das Bibliographische Institut in Leipzig von 1986 bis 1991 ein Sprichwörterbuch von fünfzig Völkern der (ehemaligen) Sowjetunion erarbeitete, das wegen des Zerfalls der Sowjetunion nicht mehr erschienen ist.

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier fünfzig kabardinische Sprichwörter:

(Bisher Unveröffentlicht)

 

Auf Allah vertraue, doch besser, Bruder, sündige nicht.

Der Ältere nehme das Wort, der Jüngere das Schwert.

Argwohn sucht Haare sogar im Eidotter.

Nicht alles, was das Auge sah, ist zum Weitertragen da.

Bei einem guten Bauern ist der Ochs zäh und der Hund satt.

Ein Blinder wäre glücklich, bucklig zu sein.

Wenn man etwas von einem Brautraub hört, denkt man zuerst an die eigene Tochter.

Steht die Brennnessel in Blüte, ist auch sie schön.

Ein guter Charakter ist die beste der Gaben, die ein Dummkopf haben kann.

Ein wahrer Dshigit* schweigt im Bett von seinen Heldentaten.

Eintracht im Haus – die Frau ist klug.

Auch wenn andere für dich eintreten, musst du für dich einstehen können.

Bemühe dich, dort keinen Fehler zu machen, wohin du nie zurückkehrst.

Der Feigling schlägt als Erster zu.

Wem das Fell juckt, der findet auch einen Knüppel.

Besser, dem Freund etwas zu schenken als es zu verkaufen.

Inmitten zweier alter Freunde gibt es kein fünftes Rad am Wagen.

Freundschaft bewahren, ist wie Hirsekörner bewachen.

Wen du Fürst nennst, der sieht dich als Knecht.

Selbst eine Fürstin kann eine Herumtreiberin gebären.

Wenn ein Gast zum Aufbruch drängt, ist der Hausherr schuld.

Je schlechter ein Gast empfangen wurde, je weiter wird er beim Weggehen begleitet.

Wer schnell außer sich gerät, sollte in sich gehen.

Ist dein Gesprächspartner krumm, sprich mit ihm nicht über Bucklige.

Gibt man dir zu wenig, sei beleidigt, aber nimm´s.

Bist du weder hungrig noch krank, so hat dich das Glück nicht übergangen.

Hab und Gut behalte, Hoffnung und Zuversicht teile.

Ob ein Hausherr stark oder schwach, gegenüber einem Gast ist er immer Sklave.

Der Held schweigt, bis der Feind in Sicht ist, der Feigling lärmt solange, bis sich

der Feind zeigt.

Ein Hund hinkt nur solange, bis er den Wolf erblickt.

Des Kabardiners Gast genießt Schutz von allen Seiten.

Von den Klugen ist der klügste Kopf, der sich Rat holt auch von einem dummen Tropf.

Selbst der böseste Hund hat nur eine Schnauze.

Eine Krankheit kommt durch die Tür und muss sich durchs Nadelöhr hinauszwängen.

Schlimme Kunde ist geschwinder als gute Botschaft.

Je öfter jemand lügt, je weniger schämt er sich seiner Lügen.

Auch unter Lumpen kann das Herz eines echten Dshigiten* pochen.

Preise und ehre weder Mann noch Ross, bevor du nicht einen Tag mit beiden

unterwegs warst.

Wer voller Mühe an die Macht gebracht, klammert sich daran mit aller Kraft.

Nicht alle Mühen tragen Früchte.

Was eine Mutter ihrem Kind auch gab, immer denkt sie, es sei zuwenig gewesen.

Einer Mutter Kind ist auch ihr grauhaariger Sohn.

Wie viele tragen eine Papacha** - wie wenige sind Männer.

Nicht das Schicksal, sondern Macht macht den Sklaven zum Sklaven.

Jede garstige Schwiegermutter war einst eine hübsche Schwiegertochter.

Treibe keine Späße mit der Liebe, sie könnte Ernst machen.

Auch der Tod kennt Tapferkeit.

Wer niemandem traut, dem ist nicht zu trauen.

Ein Unglück, wenn die Zunge im Vergleich zum Kopf zu lang geraten ist.

Sei dir nicht zu schade, selbst einer Vogelscheuche einen guten Tag zu wünschen.  

 

* Dshigit = junger verwegener Reiter, auch Krieger oder überhaupt: junger Bursche / ** Papacha = hohe Karakulschaffellmütze.

 

Interlinearübersetzung aus dem Russischen von Gertraud Ettrich; gesammelt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

 

Zitat: "Die Meldungen über ermordete Sicherheitskräfte und `vernichtete Banditen´, die beinahe täglich aus Dagestan, Inguschetien oder Kabardino-Balkarien kommen, sind zu einem Hintergrundrauschen geworden, das in Moskau kaum noch wahrgenommen wird, weil man sich daran gewöhnt hat.“

Julian Hans in: Süddeutsche Zeitung vom 31.12.2013

 

 

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT  habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang nicht nur Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt, sondern auch Märchen, Lyrik, Rätsel... – von den Völkern selbst, von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek.

 

Das kabardinische  Märchen Wer ist der Stärkste? (gekürzt)

*

In alten Zeiten lebte einmal ein junger Dshigit*, der war in der ganzen Kabardai für seine ungewöhnliche Stärke berühmt. Er war auch ungemein stolz auf seine ungewöhnliche Körperkraft und gab mächtig damit an. Eines schönen Tages wies ihn sein Vater an, den Viehhof einzuzäunen. Gegen Abend schon hatte der junge Bursche die Stämme aus dem Wald herbeigeschleppt und den Zaun errichtet. Ein Tor gab es nicht - das hätte man ja ständig öffnen und schließen müssen. Da war es doch viel praktischer, das Vieh über den Zaun zu wuchten. Und so hievte er denn die Rinder allabendlich ins Pferch und am Morgen wieder ins Freie.

"Ha, ich bin der Größte!" sagte er dabei jedes mal.

Das hörte seine Mutter und belehrte ihn: "Mein lieber Junge, es gibt viele Menschen auf der Welt, die stärker sind als du."

Das verwunderte den Dshigiten sehr. Und er sagte sich: "Solange ich niemanden gefunden habe, der stärker ist als ich, finde ich keine Ruhe." Und er machte sich auf den Weg.

Er ging und ging, immer geradeaus, über Dünen und Moraste, bei Regen und Hitze, doch so müde er auch war, schaute er sich kein einziges mal um. Plötzlich sah er einen Graben. Er stieg hinab und kam nicht mehr heraus, saß da tief untern und dachte: Was nun?

Wollt ihr wissen, was das für ein Graben war? Ein Riese aus dem Geschlecht der Inysh war gerade dabei gewesen seinen Acker zu pflügen, und der junge Bursche war in eine Furche gerutscht. Wie der Inysh den Dshigiten erblickte, staunte er nicht schlecht: Woher kommt dieser Knirps? Er hob ihn mit zwei Fingern hoch und sagte zu sich: "Den bringe ich meiner Mutter - die wird vielleicht Augen machen!"

Brachte der Inysh den Burschen abends nach Hause und sagte: "Guck, Mama, hast du jemals so was Putziges gesehen?"

Die Riesenmutter bestaunte den Winzling und steckte ihn unter ihren Fingerhut.

"Ein Leckerbissen", sagte sie. "Bei Gelegenheit vernaschen wir ihn."

Da ging dem Dshigiten auf, dass er sich schnellstens davonmachen musste. Ja, aber wie? Schließlich wühlte er einen Tunnel unter dem Rand des Fingerhuts und machte sich nachts aus dem Staub.

Die Inyshs hatten ihren kleinen Gefangenen ganz vergessen. als er ihnen wieder einfiel, hof sie den Fingerhut auf, aber da war der Leckerbissen fort. Das erboste sie sehr, und sie beschlossen, den Kleinen wieder einzufangen. Einer von ihnen nahm die Verfolgung auf.

Die Strecke, die der Dshigit in sieben Tagen zurückgelegt hatte (Und wie er gerannt war!), die schaffte der Inysh mit drei Sätzen. Schon meinte der Junge, es sei ihm ihn geschehen, da tauchte plötzlich ein übergewaltiger Riese vor ihm auf, der trug in einer Hand neun Fuhren Salz.

`Bitte, bitte hilf mir, der Inysh will mich töten!´ flehte der Dshigit.

Kaum hatte ihn der Riese im Salz versteckt, da stürmte auch schon der Inysh herbei. Er sprang den Riesen an, der aber überwältigte den Angreifer, fesselte ihn und schleuderte ihn beiseite.

`Was hat dich denn ins Land der Inyshs geführt?´ wollte er wissen. Da erzählte ihm der Dshigit, dass er ausgezogen sei, um zu erkunden, ob denn jemand auf der Welt stärker wäre als er selbst.

`Und jetzt weiß ich, dass es solche Menschen wirklich gibt´, fügte er hinzu.

 

* Dshigit = junger verwegener Reiter, auch Krieger oder überhaupt: junger Bursche

 

Deutsch von Johann Warkentin; gesammelt und redigiert von Gisela Reller

 

 

"Die Abadsechen in den nördlichen Gebieten waren die kriegerischsten und aristokratischsten, die Kabardiner die vornehmsten, gebildetsten und friedlichsten - die Franzosen unter den Tscherkessen - von denen Mode, Kleidung und Benehmen noch heute ausgeht."

Roderich von Erckert (1821-1900; deutscher Ethnograph, Kartograph und Offizier in russischen Diensten)

in: Der Kaukasus und seine Völker, 1887

 

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise (Auswahl) zu den KABARDINERN

 

 

Rezension in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

KATEGORIE BELLETRISTIK: Steffi Chotiwari-Jünger (Hrsg.), Die Literaturen der Völker Kaukasiens, Neue Übersetzungen und deutschsprachige Bibliographie, Literatur der Abasiner, Abchasen, Adygen, Agulen, Armenier, Aserbaidshaner, Awaren, Balkaren, Darginer, Georgier, Inguschen, Kabardiner, Karatschaier, Kumyken, Kurden, Lakier, Lesginer, Nogaier, Osseten, Rutulen, Tabassaraner, Taten, Tschetschenen, Ubychen, Uden, Zachuren, Zowatuschen (Bazben)., Reichert Verlag, Wiesbaden 2003.

"Am meisten an diesem außerordentlich arbeitsaufwendigen Buch beeindruckt die gelungene Mischung von Lesevergnügen und Wissenschaftlichkeit. Hier kommt sowohl der Literatur liebende Leser auf seine Kosten als auch der Kaukasusspezialist."

In: www.reller-rezensionen.de

 

Literaturhinweise (Auswahl)

 

 * Monika Buttler, Die Kaukasus-Kost der Hundertjährigen, Rezepte für ein langes Leben, Urania Verlag, Berlin 1999.

Die Bewohner des Kaukasus leben nicht nur lange, sondern erhalten sich auch bis ins hohe Alter ihre Lebensfreude und eine beneidenswerte Gesundheit. Die Ernährung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Der ausführliche Rezeptteil des Büchleins kulminiert in einem Farbteil mit einem opulent fotografierten Freundschaftsessen und einem erotischen Menü für zwei Personen, das aus einem Mango-Kefir-Drink, Spargelsuppe, einem Selleriecocktail, Wolfsbarsch mit Safran-Sauche und Reis, Feigen in Granatapfel-Sauce und einem Kardamom-Kaffee besteht...

 

* Der blanke Schild, Kabardinische Heldensagen, Illustrationen von Gerhard Gossmann, Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin 1958.

Die Narten sind ein kühnes Reckengeschlecht, groß und gewaltig wie die Berge im Kaukasus; von diesen Recken erzählen diese kabardinischen Sagen.

 

 

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

 

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

*  Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

 

Die erste Ausgabe von HANDSCHLAG liegt vor. Von links: Dr. Gotthard Neumann, Leonhard Kossuth (Präsident), Horst Wustrau (Gestalter von HANDSCHLAG), Gisela Reller, Dr. Erika Voigt (Mitarbeiter des Kuratoriums zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V.).

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

 

 

Pressezitate (Auswahl)  zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

 

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

 

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Illustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und Gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen

in der Zeit von 1981 bis 1991.

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“ .

Zeichnung: Egbert Herfurth

 

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

Die KABARDINER wurden am 14.05.2014 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 16.01.2016.

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Zeichnung: Karl-Heinz Döhring