Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wird laufend bearbeitet!

 

 

Ich bin eine Inguschin: Sulai aus Nasran.

 

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden.

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

Zeichnung

 

„[Inguschetien] ist eine wunderbare Republik im Süden Rußlands, die mit Schönheiten der Natur reich ausgestattet ist. Sie ist die Heimat schöner und stolzer Menschen, die Erben einer herrlichen und dramatischen Vergangenheit und Zeugen tragischer Ereignisse der Gegenwart sind.“

Vilena Valeyeva in: Stimme Russlands am 29.09.2009

 

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, den Kaukasus zu bereisen und auch die Inguschen kennenzulernen, sei Ihnen ?Reisen empfohlen; denn – so lautet ein inguschisches Sprichwort -

 

Steigst du nicht auf die Berge, siehst du nicht die Ferne. 

 

(Hier könnte Ihre Anzeige stehen!)

 

 

Die INGUSCHEN… (Eigenbezeichnung: Galgai = Turmbewohner; Russisch: Inguschi )

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die heutigen Inguschen nach einem ihrer Auls Galgai genannt. - Die Inguschen sind ein Volk im russischen Nordkaukasus und die Titularnation der autonomen Republik Inguschetien sowie eine Minderheit in den Nachbarrepubliken Tschetschenien und Nordossetien. Die Inguschen nennen sich und die Tschetschenen Wainachen, was „unser Volk“ bedeutet.

"Heute steht der Kaukasus am Scheideweg; Revolutionen und Krieg erschütterten die alte patriarchalische Lebensweise. Die Völker, die bis jetzt in ihren Schluchten eingepreßt, von der ganzen Welt abgeschieden, zwangsweise das Leben ihrer Vorväter führen mussten, sollen nunmehr in die weiten, fruchtbaren Ebenen des Vorkaukasus übersiedelt werden. Sollte dieser kühne Versuch gelingen, sollen die Bergvölker tatsächlich ihren alten Traum verwirklichen und die Ebene besiedeln, wird der immer noch räuberische und stolze Kaukasus endlich und auf die Dauer besiegt werden, dann werden die alten Sitten, die althergebrachte Eigenart des Berglebens allmählich einer anderen Lebensweise den Platz räumen müssen. Heute hat sich dieser Vorgang noch nicht vollzogen. Europa klopft bereits an die Tore des Kaukasus, doch hat sich das Tor erst halb geöffnet."

Essad Bey (das ist Lev Nussimbaum, als Sohn eines jüdischen Ölmagnaten 1905 im aserbaidschanischen Baku geboren, gestorben 1942 im italienischen Positano.)   in: 12 Geheimnisse des Kaukasus, 2008 (Die Erstausgabe dieses Buches erschien 1931.)

Bevölkerung: Die Volkszählung in Russland 2010 ermittelte 444 833 Inguschen in ganz Russland, davon leben 385 537 in der Teilrepublik Inguschetien, wo sie 94,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Neben den Inguschen gibt es in der Republik auch Tschetschenen, Russen, Osseten, Kabardiner, Georgier u. a. m. Die demographische Situation zeichnet sich durch eine hohe Geburtenrate aus. Mit einem Durchschnittsalter von 28,7 Jahren ist die Bevölkerung Inguschetiens die jüngste in ganz Russland.

In Russland beträgt das Durchschnittsalter der Bevölkerung 2015 38,7 Jahre; 1950 waren 24,3 Jahre, 1975 39,7 Jahre, 2005 37,3 Jahre.

Fläche: Die Fläche Inguschetiens beträgt 2 963 Quadratkilometer.  Die Republik Inguschetien liegt auf dem nördlichen Abhang des Großen Kaukasus. Hinsichtlich ihrer Fläche ist Inguschetien die kleinste Region Russlands (abgesehen von den Städten föderalen Ranges Moskau und St. Petersburg). Inguschetien grenzt an Georgien, Nordossetien, Tschetschenien und ist die einzige Teilrepublik Rußlands, die keine Grenze zu russischen Regionen hat. Inguschetien ist für seine historischen und landschaftlichen Sehenswürdigkeiten bekannt. Es dehnt sich als schmaler Streifen von Norden nach Süden hin aus und umfasst Steppe, bewaldetes Gebirgsvorland, Alpenweiden und den Großen Kaukasus mit Firn. Man sieht außerordentlich schöne Landschaften, Mineralquellen, kristallklares Wasser der Flüsse, die engen Felsschluchten ungestüm herunterstürzen. Ein wichtiger Naturreichtum Inguschetiens sind die Wälder. Es handelt sich hauptsächlich um breitblättrigen Mischwald mit Edelholzarten (Buche, Eiche, Platane u. a. m.)

Geschichtliches: Die Geschichte der Republik Inguschetien ist keineswegs einfach oder ungetrübt. Das dramatische Schicksal des ganzen Kaukasus wirkte sich auch auf das des kleinen inguschischen Volkes aus: Mal gelangte Inguschetien zur Autonomie, mal schloss es sich anderen Völkern an, überstand Revolutionen, Repressalien und Kriege. Im frühen Mittelalter gehörte der größte Teil des Territoriums der Tschetschenen und Inguschen zur frühfeudalen staatlichen Vereinigung der Alanen. im 13. Jahrhundert wird Tschetscheno-Inguschien von den Tataren überfallen. Ende des 14. Jahrhunderts dringen die Truppen Timurs ein.

Temür ibn Taraghai Barlas war ein zentralasiatischer Militärführer und Eroberer islamischen Glaubens am Ende des 14. Jahrhunderts. In der europäischen Geschichtsschreibung ist er besser bekannt als Timur, Timur Lenk oder Tamerlan. Timur heiratete in das Haus Tschagatais, d. h. die Familie Tschingis Khans  (Dschingis Chans) ein und wollte allem Anschein nach dessen Reich unter dem Vorzeichen des Islam erneuern.

Vom 17. bis 19. Jahrhundert erfolgt die Islamisierung des Landes. 1810 treten die Inguschen freiwillig in den russischen Staasverband ein.  Dem war ein Jahrhunderte langes Bündnis mit den Russen zur Abwehr der Beutezüge der Türken, Perser und Krim-Tataren vorausgegangen. Auch nach der Angliederung an das Russische Reich mussten sie gegen die Porta kämpfen. Um 1860 wird as Land der Tschetschenen Russland eingegliedert, nachdem sich die Tschetschenen am Aufstand Schamils gegen den Zarismus beteiligt hatten.

Imam Schamil (um 1797 in Gimra, Dagestan, bis 1871 bei Medina in Saudi-Arabien) war von 1834 bis 1859 religiös-politischer Führer (Imam) der muslimischen Bergvölker Dagestans und Tschetscheniens und organisierte in dieser Zeit den Widerstand gegen die russische Eroberung des Nordkaukasus. Schamil war der Sohn eines Landbesitzers und gehörte dem Volk der Awaren an.

Die Zeit der wirtschaftlichen Not fiel mit der russischen Eroberung des Kaukasus zusammen, die vom späten 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts dauerte.  Im russisch-türkischen Krieg von 1877-1878 kämpfte auf der russischen Seite die Inguschische Division, die sich ausschließlich aus Freiwilligen zusammensetzte. Und obwohl die Zarenregierung die ortsansässigen moslemischen Bergbewohner nicht zum Militär einzog, war es nicht der einzige Fall, dass Inguschen an Kriegsoperationen auf Seiten der christlich-orthodoxen russischen Truppen teilnahmen.

Wir wissen nicht was Angst ist,

Wir fürchten keine Kugeln,

Uns führt zum Angriff Der tapfere Mertschule!

Wir haben beherzt Die Kanonen geladen,

Denn ganz Rußland weiß –

Die Inguschen sind tapfere Krieger!

Das ist ein Auszug aus der Hymne des Inguschischen Regiments der berühmten Wilden Division. Ganz am Anfang des ersten Weltkrieges veröffentlichte Nikolaus II. den Allerhöchsten Erlass über die Gründung einer Reiterdivision für die Urbevölkerung des Kaukasus, zu der sechs Regimenter gehörten: das kabardinische, das 2. Dagestanische, das Tschetschenische, das Tatarische, das Tscherkessische und das Inguschische Regiment..Sehr bald haftete der Division wegen ihres grenzenlosen Kriegermuts der Beiname der „wilden“ an. In der „Wilden Division“ gab es keinen einzigen Fall von Fahnenflucht. Für die Verdienste wurden die Krieger mit Medaillen und Orden höchsten Ranges ausgezeichnet. Dabei trugen die moslemischen Soldaten mit Stolz das St.-Georg-Kreuz. Der Kriegsruhm des Inguschischen Regiments ist heute noch für die Inguschen Gegenstand großen Stolzes. ­ Im März 1920 siegt die Sowjetmacht. Am 20. Januar 1921 wurde aus Inguschetien und Tschetschenien gemeinsam mit Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien und Nordossetien die Autonome Gebirgsrepublik gebildet. Nach ihrem Zerfall wurde am 7. Juli 1924 das Autonome Gebiet Inguschetien im Verband der RSFSR gegründet. Im Jahre 1934 wurde das Gebiet mit Tschetschenien zum Tschetschenisch-Inguschischen Autonomen Gebiet vereinigt, das seit dem Dezember 1936 Tschetscheno-Inguschische Autonome Sowjetrepublik hieß. In der Zeit von 1944 bis 1957 hatten die Inguschen und Tschetschenen keine Autonomie, diese Völker wurden von Stalin wegen angeblicher Kollaboration nach Kasachstan deportiert, wo wegen Kälte, Hunger und sonstiger Nöte fast die Hälfte von ihnen umkam.

"Es begann der zweite Weltkrieg. Trotz der schweren Prüfungen, die das Volk bereits in den Jahren der Kollektivierung, den Jahren der stalinistischen Repressionen, bestehen mußte, war es angesichts des allgemeinen Elends, das über das Land hereinbrach, wie ein Mann zur Verteidigung des Vaterlandes bereit. Aber die Stalin-Berija-Clique bereitete neue, von beispielloser Grausamkeit gekennzeichnete Verbrechen gegen die kleinen Völker vor, darunter auch gegen die Inguschen. Die Erinnerung des Volkes an das Jahr 1944 bleibt unvergessen. Von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt verbreiteten sich die Gerüchte, daß man die Inguschen irgendwohin aussiedeln wolle, daß man schleunigst die Sachen packen müsse, Lebensmittelvorräte anlegen solle. Aber niemand schenkte dem Glauben. Die Gerüchte waren dermaßen wild, daß sie sich einfach nicht in den Köpfen festsetzten. - Ab 1943 wurden die Inguschen nicht mehr in die Armee eingezogen. Zu Beginn des Jahres 1944 erschienen in den Dörfern Tschetscheno-Inguschiens unzählige Militäreinheiten, und in den Bahnhöfen wurden Güterzüge zusammengestellt. Das alles beunruhigte und verängstigte die einheimische Bevölkerung. In dieser Zeit tauchte Berija selbst mit seinem Gefolge in Tschetschenien-Inguschien auf..."

In: Osteuropa Nr. 4/ 1997

Im Jahre 1956 fand der historische 20. Parteitag der KPdSU statt, auf dem die Epoche des Stalinkults aufgearbeitet wurde. Schon bald kam ein Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR  (vom 9. Januar 1957) über die Wiederherstellung der Tschetschenisch-Inguschischen Autonomen Sowjetrepublik heraus. Nach der Rückkehr der deportierten Bewohner wurde die Tschetschenisch-Inguschische ASSR wieder gegründet.

Die Inguschen und Tschetschenen erwarteten, "daß die Autonomie  der Tschetschenen und Inguschen in den Grenzen der früheren territorialen Aufteilung wiederhergestellt würde. Das war sehr wesentlich. aber lieder kam alles ganz anders. Sobald die Inguschen wieder ihre Füße auf die heimatliche Erde gesetzt hatten, gingen sie auf die Friedhöfe, knieten nieder und küßten die Erde und weinten, obwohl die Bergvölker nach ihrem Brauch unter keinen Umständen Tränen vergießen sollen. Aber diesmal änderten sie ihren Brauch und schämten sich überhaupt nicht. Die Rückkehr der Inguschen in ihr Heimatland verlief ziemlich unorganisiert und erniedrigend. In den Herzen der Menschen war große Freude, sie hatten viel überstanden und hatten nur das Recht, warmherzigen und würdigen Umgang für sich zu fordern. Aber die örtlichen Machthaber trafen keine Vorbereitungen für ihren Empfang. Ein Teil der [russischen] Bevölkerung der Republik, der schon mehr als dreizehn Jahre im Geiste des Hasses gegen die Inguschen erzogen worden war, empfing sie überaus feindselig."

In: Osteuropa Nr. 4/ 1997

Viele inguschische Familien ließ man weder in ihre Dörfer noch in ihre Häuser. Längs des Weges tellte man in den einzelnen Dörfern Polizeikordons auf, die bereit waren, notfalls Gewalt anzuwenden und von den Waffen Gebrauch zu machen. Dennoch drangen viele Familien bis zu ihren Geburtshäusern vor. Dafür musste man alle möglichen Tricks anwenden, Bestechungsgelder bezahlen, sich erniedrigen. Viele Inguschen wurden in abgelegene Gegenden transportiert und auf der Straße oder auf freiem Feld ausgesetzt. Besonders bedauernswert erging es den Inguschen in den Randgebieten Nord-Ossetiens (ehemaliges Inguschenland). Sie haben jahrelang versucht,  zu erreichen, dass ihnen erlaubt wurde, in ihrem Heimatdörfern zu leben, ihr Haus zurückzukaufen. Vereinzelten Familien gelang das, nur endete damit noch nicht ihr Leidensweg. Ihnen wurde die polizeiliche Meldung verweigert. Einige Inguschen lebten 17 Jahre lang ohne polizeiliche Meldung, ohne Rechte. 1973 traf sich ein Teil des inguschischen Volkes zu einem friedlichen Meeting auf dem Lenin-Platz vor dem tschetschenisch-inguschischen Bezirkskomitee der KPdU. Die Inguschen forderten, dass man sie auf Regierungsebene anhörte, dass man ihnen das Land zurückgab, die Häuser, in denen die Groß- und Urgroßväter sowie sie selbst bis zu ihrer Deportation  im Jahre 1944 gelebt hatten, und dass ihnen die Rechte gemäß der Verfassung der UdSSR garantiert werden. Die Folgen dieser Initiative waren  fatal...

"Der damalige Vorsitzende des Ministerrates der RSFSR, M. S. Solomincev, der nach Grosny kam, um den Konflikt beizulegen, verkündete stattdessen öffentlcih, daß die Tschetschenen und Inguschen nicht rehabilitiert, sondern begnadigt worden seien. Die Versammlung selbst wurde zum `Menschenauflauf´ erklärt und die Personen, die an der Demonstration teilgenommen hatten, wurden gnadenlos verfolgt."

In: Osteuropa Nr. 4/ 1997

Für die Inguschen, wie für alle deportierten Völker, war die Erklärung des Obersten Sowjets der UdSSR vom 14. November 1989 über die "Anerkennung von ungesetzlichen und verbrecherischen Repressionen gegen Völker, die zu einer gewaltsamen Umsiedlung gezwungen wurden, und über die Sicherheit ihrer Rechte" ein großes Ereignis. Die Deklaration verurteilt bedingungslos die Praktiken der gewaltsamen Umsiedlung ganzer Völker als schwerste Verbrechen. Nach der Annahme des Deklaration erschien am 26. April 1991 - unterzeichnet vom Präsidenten Boris Jelzin - das Gesetz über die Rehabilitierung der repressierten Völker.

Zitat: "Die Inguschen bringen bis heute die Knochen ihrer verstorbenen Verwandten aus Kasachstan und Mittelasien in den Kaukasus, um sie in dem Land ihrer Vorfahren zu beerdigen. [...] Die Inguschen wollen keine Außerirdischen sein, die auf dem heiligen Land ihrer Vorfahren leben."

In: Osteuropa Nr. 4/1997

Der Zerfall der UdSSR hatte weitere territoriale Neugliederungen zur Folge, von denen auch das Volk der Inguschen betroffen wurde. Als Ergebnis wurde am 4. Juni 1992 die Republik Inguschetien gegründet. Die Versuche, die administrativen Grenzen der Sowjetzeit zu revidieren, bewirkten zahlreiche ethnisch-politische Konflikte. Die erste offene bewaffnete Auseinandersetzung auf dem Territorium der Russischen Föderation war der ossetisch-inguschische Konflikt, der ebenfalls in der sowjetischen Epoche wurzelte. In den Jahren 1944-46 wurden nämlich in dem sogenannten Vorstadtbezirk auf dem Gebiet der ehemaligen Tschetschenisch-Inguschischen Autonomen Republik, welche inzwischen Nordossetien angegliedert war, auf „freiwillig-zwangsläufigem“ Wege Bewohner Nordossetiens und Osseten aus Georgien und Südossetien übersiedelt. Seitdem  die deportierten Inguschen heimkehrten, wuchs die inguschische Bevölkerung im nordossetischen Vorstadtbezirk allmählich an. Das Streben der Inguschen wieder in den Besitz des Vorstadtbezirks zu kommen, wurde seit dem Ende der 1980er Jahre immer stärker. Im Herbst 1992 fand dann eine bewaffnete Auseinandersetzung statt, die sowohl auf der inguschischen als auch auf der ossetischen Seite zahlreiche Opfer forderte. Den Konflikt kann man heute noch nicht für gelöst ansehen. Der Konflikt mit Nordossetien ist leider bei weitem nicht das einzige Problem des heutigen Inguschetiens. Die schwere wirtschaftliche Situation, unaufhörliche Terroranschläge illegaler Kämpfergruppen, Ermordungen und Entführungen von Zivilisten, Fehden zwischen den Clans und politische Intrigen gehören in Inguschetien leider zum Alltag.

 

 

 

"Auf dem Höhepunkt der Hungersnot, zum Jahreswechsel 1932/33, war ein Gebiet mit einer Bevölkerung von mehr als 70 Millionen Menschen betroffen: die Ukraine, der Nordkaukasus, Kasachstan und einige russische Provinzen. [...] Geheime Berichte der OGPU und der Partei waren insbesondere in den ersten Monaten des Jahres 1933 voller Meldungen über den weit verbreiteten Kannibalismus. Mütter ermordeten ihre Kinder, und Aktivisten, die sich wie Wahnsinnige aufführten, folterten die Bevölkerung."

Oleg Chlewnjuk in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

Staatsgefüge: Die Tschetscheno-Inguschische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) war eine Teilrepublik der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) innerhalb der Sowjetunion. Sie wurde am 5. Dezember 1936 gegründet. Sie ging aus dem Tschetscheno-Inguschischen Autonomen Oblast (Gebiet) hervor. Ihre Hauptstadt war Grosny. Am 7. März 1944 wurde die Autonome Sowjetrepublik aufgelöst. Die vom Stalin-Regime pauschal der Kollaboration mit den deutschen Invasoren bezichtigten Tschetschenen und Inguschen deportierte das NKWD (der russische Geheimdienst) in zentralasiatische Republiken wie Kasachstan. Teile des Territoriums der Tschetscheno-Inguschischen ASSR kamen zur Dagestanischen und Nordossetischen ASSR bzw. zur Georgischen SSR (Sozialistische Sowjetrepublik). Der Rest bildete die Oblast Grosny innerhalb der Russischen RSFSR. Als in der sogenannten Tauwetterperiode tschetschenen und Inguschen in ihre Heimat zurückkehren konnten, erfolgte am 9. Januar 1957 die Wiedererrichtung der Tschetscheno-Inguschischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik. Im Verlauf der Auflösung der Sowjetunon wurde sie am 15 Mai 1991 in Tschetscheno-Inguschische Republik umbenannt. Am 1. Oktober 1991 beschloss der Oberste Sowjet der RSFSR die Aufteilung der Republik in die Tschetschenische Republik und die Inguschische Republik als Folge der Unabhängigkeitsbestrebungen der Tschetschenen. Die Republik Inguschetien wurde am 4. Juni 1992 gegründet. Es ist die jüngste Republik im russischen Staatsverband.

 

„Jedes Volk – die Tschetschenen, die Inguschen, die Osseten, die Kabardiner, die Balkaren, […] muss seinen eigenen Sowjet haben. […] Sollte der Beweis erbracht werden, dass die Scharia notwendig ist, so mag es die Scharia geben. […] Sollte der Beweis erbracht werden, dass die Organe der Tscheka  […] es nicht verstehen, sich der Lebensweise und den Besonderheiten der Bevölkerung anzupassen, dann ist klar, dass auch auf diesem Gebiet entsprechende Änderungen vorgenommen werden müssen."

Josef Wissarionowitsch Stalin auf dem Kongress der Völker des Terekgebiets am 17. November 1920

 

Verbannungsgebiet:

Neben anderen Völkern wurden vier nordkaukasische Völker – Balkaren, Inguschen, Karatschaier und Tschetschenen – während des zweiten Weltkriegs nach Kasachstan und Kirgisien zwangsumgesiedelt. Die Sowjetregierung rechtfertigte diese Operation mit der Begründung, dass diese vier Völker, während der kurzen Okkupationszeit von Teilen des Nordkaukasus durch die Deutsche Wehrmacht, mit den feindlichen Besatzern kollaboriert hätten und versucht hätten, die Sowjetmacht durch "Bandenaktivitäten" beziehungsweise "terroristische Akte" zu destabilisieren. Nach der Deportation wurden die Balkaren, Inguschen, Tschetschenen und Karatschaier in sogenannten "Spezialsiedlungen" in Kasachstan und Kirgisien neu angesiedelt. Bis zu ihrer Rehabilitation, die durch die Rede von Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Kommunistischen Partei der Sowjetunion) eingeleitet wurde, lebten und arbeiteten sie unter strengen Auflagen als "Spezialumsiedler" im Exil.

Hauptstadt: Die Hauptstadt Inguschetiens ist seit dem Jahre 2000 Magas. Es ist eine völlig neue Stadt, deren Errichtung Mitte der 1990er Jahre begonnen wurde. Vordem war Nasran die Hauptstadt der Republik. Magas hieß die Hauptstadt des mittelalterlichen Staates Alanien, eines Bundes von Bergvölkern und Bergstämmen. Laut historischen Quellen wurde Magas Anfang 1239 durch zahlreiche Truppen des Mongolenführers Batu Khan zerstört. Das historische Magas war ungefähr auf derselben Stelle wie die jetzige Hauptstadt Inguschetiens gelegen. Heute zählt Magas 500 Einwohner. Es ist somit die am dünnsten bevölkerte stadtartige Siedlung Rußlands. „Magas“ bedeutet in der inguschischen Sprache „Stadt der Sonne“. Die größte Stadt in Iguschetien ist Nasran.

Wirtschaft: Es dominiert die Landwirtschaft. Zu den wichtigsten Bodenschätzen zählt Mineralwasser, Öl, Erdgas, Kalkstein und Ton Um die Wirtschaft anzukurbeln, wurde das Gebiet zur freien Wirtschaftszone erklärt, auch der Tourismus soll gefördert werden. Die Nähe zum tschetschenischen Kriegsgebiet erschwert den Aufbau einer eigenen Wirtschaft. In Inguschetien leben Tausende tschetschenische Flüchtlinge. In Nasran, der größten Stadt Inguschetiens gibt es eine Beton- und eine Legierungsfabrik, insgesamt spielt die Industrie im Vergleich zur Landwirtschaft eine eher untergeordnete Rolle. Viehzucht (Schafe, Rinder), Weinbau, Anbau von Getreide (Weizen, Hafer, Buchweizen), Tabakanbau. Die landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt 270 Tausend Hektar. - Die Arbeitslosenquote beträgt etwa 28 Prozent (2015). - Über das Territorium der Republik Inguschetien verläuft die Ölpipeline Baku/Noworossijsk, über die das Öl aus der kaspischen Region in den Westen befördert wird. - Über das Territorium der Republik Inguschetien verläuft die Ölpipeline Baku/Noworossijsk, über die das Öl aus der kaspischen Region in den Westen befördert wird.

Verkehr: Es gibt eine 72 Kilometer lange Eisenbahnstrecke. Über das Gebiet der Republik Inguschetien führt die nordkaukasische Eisenbahntrasse, die nach Rostow am Don und Baku führt.  Nasran, die größte Stadt Inguschetiens, liegt an der Fernstraße M29, die von der Region Krasnodar bis nach Dagestan führt, und hat auch einen Eisenbahnanschluss. Es gibt auch den Regionalflughafen „Inguschetien“.

Sprache/Schrift: Ihre Sprache nennen die Inguschen „galgai mott“. Darum hieß sie früher auf Russisch galgaische Sprache. In Wirklichkeit handelt es sich um den westlichen Dialekt der wainachischen Sprache, die zur nachisch-dagestanischen Sprachfamilie gehört. Inguschisch ist dem Tschetschenischen nahe verwandt. Wer Inguschisch spricht, versteht Tschetschenisch, und andersherum. Eine inguschische Schriftsprache entstand unter der Sowjetmacht. Im inguschischen Wortschatz gibt es viele Entlehnungen aus dem Russischen, aber auch aus dem Arabischen, Persischen und Türkischen.

Literatursprache/Literatur:

Bildung:

Kultur/Kunst: Die Koban-Kultur ist eine spätbronzezeitliche und eisenzeitliche Kultur im Norden des Kaukasus. Sie wurde nach dem 1869 im Dorf Verchni Koban in Nordossetien entdeckten Gräberfeld benannt, das etwa sechshundert Bestattungen umfasste. Besondere Aufmerksamkeit fand der reiche Bronzeschmuck. Die Koban-Kultur findet sich in Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Ossetien und Tschetschenien.

 

 

 

 

Beinerner Kamm aus Inguschetien, skythischer Tierstil.

Zeichnung aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Zitate: "Alle Kaukasier tragen Waffen derselben Form, und ohne Ausnahme verachten sie alle jene, die nicht aus den Bergen stammen. Allen gemeinsam ist ferner eine unausrottbare Freiheitsliebe und die Fähigkeit, überall und in jeder Form der Existenz - am Hof europäischer Monarchen, im Büro einer amerikanischen Bank und in der Wüste Afrikas - auf der eigenen Art zu bestehen und so Sympathie und Freundschaft zu gewinnen."

Essad Bey (das ist Lev Nussimbaum, als Sohn eines jüdischen Ölmagnaten 1905 im aserbaidschanischen Baku geboren, gestorben 1942 im italienischen Positano)   in: 12  Geheimnisse des Kaukasus, 2008 (Die Erstausgabe dieses Buches erschien 1931.)

*

Gesundheitswesen:

Klima: Das Klima ist trocken-kontinental.

Natur/Umwelt: Die Landschaft prägen Halbwüsten, Steppen, Gebirgswälder, alpine Wiesen, ewiger Schnee und Gletscher. 150 Kilometer des Kaukasus verlaufen durch Iguschetien. Die größten Flüsse sind der Terek, die Assa und die Sunscha. Die höchste Erhebung ist der Gora Shan (4 451 Meter).

Pflanzen- und Tierwelt:

 

 

Behausungen: Von den ungefähr 1 500 historischen und kulturellen Denkmälern in Iguschetien sind einhundert Turmsiedlungen. Die ältesten davon sind Türme mit zwei oder mehr Stockwerken, die als Wohnungen oder zu militärischen Zwecken genutzt wurden.

 

Der Lebensstandard ist in Russland  regional sehr unterschiedlich hoch. Während besonders in Moskau und St. Petersburg einige Viertel in neuem Glanz erstrahlen, ist in anderen Regionen die Armut nach wie vor groß. In Tschetschenien und Dagestan leben (2010) mehr als die Hälfte der Menschen in Armut; weitere arme Regionen sind Inguschetien, Tuwa, Kabardino-Balkarien, Mari El, Kalmykien, Burjatien, der Altai und Mordwinien.

Ernährung: Die inguschische Küche gehört zu den einfachsten des Kaukasus. Ihre Gerichte sind nahrhaft und können schnell aus den zugänglichsten Lebensmitteln zubereitet werden. Die Inguschen mögen Fleischbrühe, Hammel- und Rindfleisch, gekochtes Geflügel. Fleisch wird mit einer Art Spätzle aus Weizen- oder Maismehl und unbedingt mit Knoblauchsauce serviert. Die Bergbewohner mussten seit je Kriege führen, und während eines Feldzugs waren Dörrfleisch und Maisfladen ideal als Speise geeignet, da sie sich gut halten, sehr nahrhaft sind und gut schmecken. Auch jetzt machen die Inguschen viele Gerichte aus Dörrfleisch. Sehr beliebt sind in Inguschetien Gerichte aus Bärlauch, Käse, Kürbis, Quark und Brennnesseln.

 

 

Kleidung:

 

 

 

Bronzene Gürtelschnallen der Koban-Kultur aus verschiedenen Fundstellen Inguschetiens.

Strichzeichnung von Inge Brüx aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Folklore:

Berühmt für ihre „Narten-Epen“ sind mehrere Völker des nördlichen Kaukasus, besonders die Adygen, die Tscherkessen, die Abchasen, die Osseten, die Karatschaier, die Balkaren, die Inguschen, die Abasiner, die Tschetschenen. Der Name „Narten“ leitet sich wahrscheinlich vom mongolischen Wort narta (Sonne) ab. Die Urmutter aller Narten ist die verführerische und weise Satanaya, die Ähnlichkeit hat mit der altgriechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Die Narten-Sagen besitzen ein gleichgewichtiges Verhältnis zwischen Männern und Frauen, Göttinnen und Heldinnen genießen großen Respekt in den Erzählungen. Nartische Gottheiten wie der Himmelsschmied Kurdalagon, der Donnergott Uazilla sowie Sapha, der Schirmherr des heimischen Herdes, haben Parallelen zu nordischen Sagen und Mythen. Auch der griechischen Mythologie ähneln die Narten-Sagen in vielen Elementen. Die Figur von Nasran z. B. gleicht dem feuerbringenden Titanen Prometheus, den der Göttervater Zeus ausgerechnet an einen Berg im Kaukasus fesseln lässt. Der russisch-orthodxe Geistliche André Sikojew (der Vater war Ossete, die Mutter Deutsche) hat das Narten-Epos erstmals as einer russischen Fassung, die es seit 1948 neben einer ossetischen gab, ins Deutsche übertragen. Laut Sikojev sind die Narten-Sagen im Siedlungsgebiet der osseten entstanden und einst im gesamten nördlichen Kaukasus erzählt und gesungen worden.

"Aus dem Inhalt des Narten-Epos´: Die Welt war zunächst von wilden Riesen-Narten besiedelt, die in Höhlen wohnten, weil sie keine Häuser zu bauen vermochten. Sie hatten viel Kraft und wenig Verstand. Als dann weniger starke, dafür aber verständigere Narten auf die Welt kamen, konnten sie die Riesen leicht besiegen: Bald schläfert der Narte mit seiner Beredsamkeit das Misstrauen des Riesen ein oder lenkt seinen Zorn auf einen anderen Gegenstand, bald verwickelt er ihn geschickt in eine Situation, in der der Riese machtlos ist. Außer den Begegnungen mit den Riesen nehmen die Narten an fröhlichen Zusammenkünften teil, gehen auf die Jagd oder ziehen in den Krieg. Bei den Zusammenkünften spielen die Narten lustige Spiele, zechen, tanzen und singen. Ihre Kriegszüge sind immer voller Überraschungen. Die einzelnen Sagen erzählen von zahlreichen Fehden zwischen den Narten, von ihren blutigen Auseinandersetzungen. Darüber hinaus sind die Narten mit übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet und verstehen die Sprache der Vögel. Und: Einige Narten beherrschen die Kunst, sich tot zu stellen, um den argwöhnischen Gegner zu überlisten. Andere Narten können in den Himmel steigen und zurückkehren, wieder andere wandern in die Hölle – und kommen, sobald sie wollen, zurück auf die Erde. Fast alle Narten sind mit mythischen Figuren der Sonne und deren Tochter verwandt.  Doch das Hünenvolk endete tragisch: Die Narten waren so stolz geworden, dass sie an die Türen ihrer Häuser keine Leitern mehr ansetzten, damit Gott nicht etwa glaube, sie würden  ihn anbeten. Gott sandte deshalb eine fürchterliche Hungersnot auf die Erde. Doch in der Nacht war der Himmel mit Körnern unbekannter Art übersät, die wie Lichter glänzten. Die Narten begannen, diese leuchtenden Körner mit Pfeilen abzuschießen und sich davon zu ernähren. Diese Speise allein aber reichte nicht aus, und alle Narten verhungerten. Nach ihrem Untergang fielen die himmlischen Körner auf die Erde und fingen zu wachsen an und Früchte zu tragen – das war der Mais, der für die Menschen so kostbar ist.“

Natascha Petrowa, in: Stimme Russlands vom 8. Oktober 2009

Feste/Bräuche: Die Inguschen sind stolz auf ihre wunderschöne Heimat, auf ihre Traditionen und Bräuche, die sie von den weisen Ahnen geerbt haben. Die Lebens-, Denkweise und die Weltanschauung der Inguschen sind in „Galgai esdel“, dem ungeschriebenen Regelwerk der inguschischen Ethik zusammengefasst. Es schreibt Achtung gegenüber den Eltern und älteren Menschen, Sorge für die Jüngeren, respektvoller Umgang mit Frauen, Freundlichkeit gegenüber den Nachbarn vor. Der Gast ist für den Inguschen eine nahezu heilige Person. Das Beste in seinem Haus bietet er dem Gast an. Die Treue zum gegebenen Wort wird in Inguschetien für den höchsten Wert angesehen. - Nach altem Brauch wird in den Bergen des Kaukasus der Neuankömmling in den ersten drei Tagen als Gast betrachtet, am vierten Tag aber schon dem Hausherrn gleichgestellt. - Als Perle Inguschetiens gilt zu Recht die Felsschlucht Dschejrach. Eigentlich ist es ein Freilichtmuseum. Hier befinden sich 92 historische Denkmäler, darunter die berühmten inguschischen Kriegstürme. Die Archtitektur der mittelalterlichen inguschischen Türme macht ein einmaliges Kulturerbe des inguschischen Volkes aus. Ihre Besonderheit besteht im Fehlen des Glanzes, der Üppigkeit: Ihre Ausgestaltung ist rational, die Schönheit liegt in der Harmonie der Formen. Die Türme wurden an den Eingängen zu den wichtigsten Felsschluchten und im Vorgebirge gebaut. Allmählich sind ganze Bergsiedlungen aus Türmen entstanden, die sich auf Felsterrassen und Felsvorsprüngen zusammendrängten. „Der Mensch braucht im Leben einen Turm und nach dem Tod eine Gruft“, sagt ein inguschisches Sprichwort. In der alten Zeit fragten die Eltern eines Mädchens, wenn sie verheiratet wurde, ob der Bräutigam einen Turm und eine Familiengruft hatte. Die Inguschen nennen sich „galgai“, was soviel heißt wie „Turmbewohner“.  - Innerhalb der Zivilbevölkerung gibt es nach wie vor Stämme. Sie sind strikt exogam organisiert und legen die gesellschaftlichen Beziehungen sowie das soziale Verhalten fest. Jedes einzelne Stammesmitglied respektiert sämtliche Mitglieder des Stammes. So bringt ein Mann beispielsweise allen weiblichen Mitgliedern des Stammes seiner Mutter dieselbe Hochachtung und Förmlichkeit entgegen, die er der Älteren Schwester seiner Mutter erweisen würde. - Traditionsgemäß wird von einem inguschetischen oder tschetschenischen Mann erwartet, dass er die Namen und Geburtsorte oder Wurzeln seiner männlichen Vorfahren über sieben Generationen kennt

"So leben etwa neben den primitiven, wirklich wilden Chewsuren [die zu den Georgien zählen] die Inguschen, deren Etiketten und Umgangsformen ausgearbeiteter und bestimmter sind als die Zeremonien am gediegensten Hofe Europas."

Essad Bey (das ist Lev Nussimbaum, als Sohn eines jüdischen Ölmagnaten 1905 im aserbaidschanischen

Baku geboren, gestorben 1942 im italienischen Positano)   in: 12 Geheimnisse des Kaukasus, 2008 (Die Erstausgabe dieses Buches erschien 1931.)

 

Religion: Die Religion der Inguschen ist der sunnitiche Islam. Die Inguschen, die im 16. bis 17. Jahrhundert von dagestanischen Predigern nach und nach zum Islam bekehrt wurden, gehörten zur Rechtsschule der Schafiiya. Der Islam hat bei den Inguschen tiefe Wurzeln geschlagen. Nicht einmal die siebzig Jahre des sowjetischen Atheismus konnten ihren Glauben ins Wanken bringe. Durch die Deportation der Wainachen im Jahre 1944 nach Kasachstan wurde ihre Religiosität zusätzlich gefestigt. In Inguschetien und Tschetschenien überstieg Anfang der 1980er Jahre die Zahl der illegalen Moscheen die der offiziell eingetragenen um das Zigfache. In der Republik koexistiert der Islam mit dem heidnischen Erbe, das nach wie vor einen festen Bestandteil der Volkskultur bildet. Dazu gehören der Glaube an Tiere als Stammväter, die Magie, verschiedene Schutzpatronen der Familienklans. Das Heidentum kommt auch in der Volksmedizin, den Volksfesten und zahlreichen Bauernregeln zum Ausdruck.

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind:

Das Zitat: „Das Versäumnis [der nicht      ] belastet auch die Beziehungen zwischen Nordosseten und Inguschen schwer. In Beslan drohte 19    während der Geiselnahme der Konflikt wieder offen auszubrechen, als sich herausstellte, dass unter den Terroristen auch Inguschen waren. 1957 nämlich hatten die inguschischen Heimkehrer die nordossetische Hauptstadt Wladikawkas und den benachbarten Bezirk Prigorodny Rayon als ihren angestammten Siedlungsraum betrachtet. Das damalige kommunistische Regime schritt mehrmals gegen Unruhen ein, die man vor der Öffentlichkeit aber geheim hielt. Die Sympathien des Kremls galten immer den Osseten. Nach Ausschreitungen 1992 schickte Moskau 12 000 Soldaten und löste den Konflikt auf seine Weise: 70 000 Inguschen mussten nach Osten fliehen, 2 000 inguschische Häuser in Wladikawkas wurden niedergebrannt. Die Zahl der Opfer ist offiziell nie bekannt gegeben worden. Trotz der Erniedrigungen erwiesen sich die Inguschen aber immun gegen die Verlockungen der Souveränität, denen die zur gleichen ethnischen Familie gehörenden Tschetschenen erlegen waren. Auch der fundamentalistische Islam fand dort erst Anhänger, seitdem der Kreml den Inguschen mit dem Geheimdienstmann Murat Sjasikow einen Präsidenten aufzwang, der im Volk nicht als Autorität anerkannt ist. - Radikale Spielarten des Islam sind dem Kaukasus ohnehin eher fremd. Religion, Gewohnheitsrecht und lokale Sitten gehen in der zerklüfteten Bergwelt vielmehr eine vielfältig schillernde Melange ein. Fundamentalistische Strömungen gewannen erst an Boden, wenn Gefahren von außen drohten und der Islam als Bindeglied die Wehrhaftigkeit der Völker stärken sollte.“

Klaus Helge-Donath in: taz.de vom 12. Oktober 2004

Seit 17.03.2014 bestehen für Reisen in den Nordkaukasus – nach Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan, Nordossetien und Kabardino- Balkarien - Reisebeschränkungen - aufgrund von Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen, Entführungsfällen und Gewaltkriminalität. - 2011 ist in der Russischen Föderation die Winterzeit abgeschafft worden. Damit erhöht sich der Zeitunterschied zwischen Deutschland und der Russischen Förderation im Winter um eine Stunde.

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland:

 

Interessant, zu wissen..., dass Inguschetien einen kaukasischen Wehrturm in seinem Wappen trägt.

Im inguschetischen Hochland gehörte jeder Ort zu einem Familienverband, und enthielt mehrere Wehrtürme der dazugehörigen Familien. Die meisten dieser inguschetischen Wehrtürme wurden vom 14. bis zum 17. Jahrhundert gebaut. Dass jeder Familienverband einen eigenen Wehrturm besaß, wird aus dem Prinzip der Blutrache abgeleitet, die lang währende Konflikte innerhalb eines Dorfes verursachen konnte. Das galt besonders für Völker und Dörfer im Kaukasus, die in reiner staatenloser Stammesgesellschaft ohne Fürsten lebten – wie die INGUSCHEN. Die Türme wurden an den Eingängen zu den wichtigsten Felsschluchten und im Vorgebirge gebaut. Allmählich sind ganze Bergsiedlungen aus Türmen entstanden, die sich auf Felsterrassen und -vorsprüngen zusammendrängten. „Der Mensch braucht im Leben einen Turm und nach dem Tod eine Gruft“, sagt das inguschische Sprichwort. In der alten Zeit fragten die Eltern eines Mädchens, wenn sie verheiratet wurde, ob der Bräutigam einen Turm und eine Familiengruft hatte. Die Inguschen nennen sich denn auch  „galgai“, was soviel heißt wie „Turmbewohner“.

 

Heimatlos, wer in sich selbst nicht zu Hause ist.  

Sprichwort der Inguschen

 

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier fünfzehn inguschische Sprichwörter als Kostprobe: 

 

(Bisher Unveröffentlicht)

 

Mit der Stiefmutter zu leben ist wie auf dem Rücken eines Esels durchgeschüttelt zu werden.

Willst du lügen, schieb´s auf einen Toten.

In einem Werk, das nicht begonnen, sitzt die Schlange.

Für Diebstahl bezahlt der Wolf mit seinem Pelz.

Hör mehr zu, sprich weniger.

Selbst ein Wolf ist einmal im Jahr lustig.

Die Krankheit kommt durch das Auge des Axtstiels und geht durchs Nadelöhr.

Starker Regen - kurzer Regen.

Ein Scherz ist der Bote der Wahrheit.

Der von der Schlange Gebissene fürchtet sich vor der Wurfschlinge.

Wen man nicht zum Weggenossen will, den grüßt man nur im Vorübergehen.

Solange das Beil in der Schwebe, braucht der Stamm nichts zu fürchten.

Der Durst des Pferds wird mit sechzig, der des Kriegers mit sechs Schlucken gestillt.

Dumm, aber will den Ehrenplatz.

Was auf ebener Fläche keinen Platz hat, stopfst du auch nicht in eine Grube.  

 

Interlinearübersetzung aus dem Russischen von Gertraud Ettrich; gesammelt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

Zitate: "Die Meldungen über ermordete Sicherheitskräfte und `vernichtete Banditen´, die beinahe täglich aus Dagestan, Inguschetien oder Kabardino-Balkarien kommen, sind zu einem Hintergrundrauschen geworden, das in Moskau kaum noch wahrgenommen wird, weil man sich daran gewöhnt hat.“

Julian Hans in: Süddeutsche Zeitung vom 31. 12.2013

 

(Streifenornament)

 

Als Reporterin der Illustrierten FREIE WELT besuchte ich 1986 in Berlin ein Konzert des Staatlichen Tanzensembles "Wainach" der Tschetscheno-Inguschischen ASSR. Ich schrieb darüber in der FREIEN WELT 26/1986:

Leidenschaft kaukasisch

"Obwohl sie nicht die ersten kaukasischen Künstler waren, die ich sah, gelang es dem Staatlichen Tanzensemble "Wainach" der Tschetscheno-Inguschischen ASSR, mich restlos zu begeistern. Und nicht nur mich. Vier Wochen lang war das Ensemble in der DDR unterwegs, in den Bezirken Berlin, Neubrandenburg, Cottbus, Gera, Magdeburg, Rostock, Schwerin, Erfurt, Leipzig, Halle, Suhl - mit insgesamt sechzehn Vorstellungen. Mir ganz und gar unbegreiflich, wie das Menisken, Kniescheiben, Ellenbogenknochen, Fußspitzen (in den berühmten hauchdünnen Saffianstiefeln) durchzuhalten vermögen. Beim Auftritt im Berliner Maxim-Gorki-Theater war in (beim Eintanzen) auf der Bühne, während der Vorstellung im Zuschauerraum, in der Pause auf Stimmenfang, nach der Vorstellung hinter der Bühne. Topa Elembajew, der künstlerische Leiter und Chefballettmeister des Ensembles. Er sagte mir, dass sich die Tschetschenen und Inguschen gemeinsam Wainachen nennen. `Wainach´ wurde 1939 gegründet. `Das Ensemble hat es sich zur Aufgabe gemacht, die historischen Traditionen der Tänze, Lieder und Legenden unser beiden Völker zu hegen und zu pflegen.´

Im Zuschauerraum: Nach jedem Tanz großer Beifall (Umar Dimajew, Volkskünstler der Tschetscheno-Inguschischen ASSR: `So temperamentvoll habe ich mir die Berliner nun wirklich nicht vorgestellt.´)

In der Pause: Ich frage junge und alte Zuschauer - , so einen Heizer, eine Schülerin, einen Ofensetzer, einen Rentner, einen Hochschullehrer, einen türkischen Regisseur, einen Bauarbeiter. Alle sind hingerissen von den Tänzen, dem Farbenreichtum der - vor allem orientalischen - Kostüme, der rassigen Schönheit der Frauen und - Männer (Meister der Choreographie ist Machmud Esambajew, Volkskünstler der RSFSR. Aber kein von mir Befragter weiß mehr über die Tschetschenen und Inguschen als dies: Es sind Völker aus dem Kaukasus. Hinter der Bühne: Alle Ensemblemitglieder sind lauthals glücklich. `Wenn wir nur halb zu gut waren wie Ihr Publikum´, sagt Sulai Sadarlowa, Verdiente Volkskünstlerin der Tschetscheno-Inguschischen ASSR, `dann waren wir gar nicht so schlecht.´ Und der Minister für Kultur der ASSR der Tschetschenen und Inguschen, Genosse Kindalrow, bittet mich: `Begleiten Sie uns morgen durch Berlin, ich möchte, dass Sie sehen, dass alle Ensemblemitglieder moderne junge Leute sind. Wir kommen zwar aus den Bergen, leben zum Teil 2 800 Meter hoch, aber wir leben dennoch nicht hinter den sieben Bergen.´ Wovon ich mich anderntags beim improvisierten Tanz vor dem Schauspielhaus überzeugen kann.

Tanz vor dem Schauspielhaus.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Bliebe noch nachzutragen, dass die ASSR der Tschetschenen (756 000 Menschen) und Inguschen (186 000) eine Größe von 19 300 Quadratkilometern hat. Wenn sie auch malerisch zwischen den schneebedeckten Höhen und den weiten Ebenen des Kaukasus gelegen ist, so ist sie heute auch eine ASSR mit großen Industriebetrieben und entwickelter Landwirtschaft. Erinnert sei daran, dass die Tschetschenen und Inguschen 1982 mit einer Sonderausstellung zur Leipziger Messe weilten und für viele Erzeugnisse Goldmedaillen mit nach Hause nahmen."

 

Tänzerinnen bei einem Konzert des Tschetscheno-Inguschischen Tanzensembles "Wainach" in Berlin.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

Tänzerinnen bei einem Konzert des Tschetscheno-Inguschischen Tanzensembles "Wainach" in Nasran.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Aus FREIE WELT Nr. 26/1988

 

MÄRCHEN Der Arme und die Schlange

 

Einst träumte einem Padischah*, dass überall auf seinem Grund und Boden vom Himmel herab Ziegen zu meckern begannen. Er rief alle Untergebenen zusammen und forderte sie auf, den Traum zu deuten. Doch niemand vermochte es. Da fragte der Padischah: "Gibt es in meinem Reiche jemanden, der noch nicht befragt worden ist?" - "Ehrwürdiger Padischah, Weisester aller Weisen", antworteten ihm die Diener, "einen einzigen Menschen gibt es noch, den wir nicht um Rat gebeten haben. Es ist ein ganz armer Mann, ohne Hab und Gut." - "Schafft mir diesen Mann herbei!" befahl der Padischah. Und so geschah es.

Unterwegs wurde der Arme, der sich sofort auf den Weg gemacht hatte, von einer Schlange aufgehalten, die ihm mit menschlicher Stimme fragte: "Höre, Mensch, wohin führt dich dein Weg?" - "Er führt mich zum Padischah, dessen Traum zu deuten", antwortete ihr der Arme. - "Weißt du denn um seine Bedeutung?" fragte die Schlange daraufhin den Armen.

"Nein, die seiß ich nicht", antwortete ihr der Arme.

Da riet ihm die Schlange: "Sage dem Padischah, dass er mit dem Herrscher des Nachbarreiches in Fehde liegen und ihn besiegen wird."

Der erfreute Padischah schenkte dem Armen ein Pud** Gold und entließ ihn nach Hause. Auf dem Heimweg kam der Arme an der Höhle der Schlange vorbei und rief: "Kriech heraus, Schlange, wir teilen uns das Gold."

Als sich aber die Schlange aus ihrer Höhle hervorschlängelte, da dacht der Arme: "Weshalb eigentlich soll ich mit der Schlange teilen, was mir gehört, besser, ich schlage ihr den Kopf ab."

Die Schlange erriet die schändliche Absicht des Menschen und schlüpfte flink in ihre Höhe zurück. Er steckte den Säbel in die Scheide, griff griff sich das Gold und wanderte weiter.

 

 

 

Illustration von Horst Bartsch zum Märchen "Der Arme und die Schlange".

 

Der Padischah hatte zum zweiten mal einen seltsamen Traum. Er sah im Schlaf, sie überall in seinem Reich vom Himmel herab Füchse zu bellen begannen. Und er ließ zum zweiten mal nach dem Armen schicken, damit dieser ihm den Traum deute. Als sich nun der Arme wiederum auf den Weg begab, traf er auch dieses Mal die Schlage und wieder fragte diese ihn mit menschlicher Stimme: "Höre, Mensch, wohin führt dich dein Weg?" - "Zum Padischah", erwiderte der Arme, "ihm seinen Traum zu deuten." - "Weißt Du denn um die Bedeutung dessen, was dem Padischah träumte?" - "Nein, das weiß ich nicht", antwortete dieser. - "Er bedeutet, dass er, der Padischah, und seine Untertanen nur nach Gewinn streben. Sag das dem Herrscher."

Und wieder erhielt der Arme vom Padischah ein Pud Gold. Diesmal ging der Arme auf dem Heimweg gar nicht erst an der Höhle der Schlange vorbei, sondern lief schnurstracks nach Hause.

Und ein drittes Mal träumte dem Padischah etwas Seltsames: Überall in seinem Herrschaftsgebiet hingen dicke, fette Hammelschwänze von Himmel herab. Und noch einmal befahl er den Armen zu sich, um den Sinn des Traumes zu erfahren.

Und wieder stieß der Gerufene auf die Schlange und wieder fragte diese ihn, wohin er wolle und ob er denn den Auftrag des Padischah erfüllen könne. Und als der Arme wiederum mit`"Nein" antwortete, half die die Schlange ein drittes Mal: "Sage dem Gebiete, der Traum wolle ihm aufzeigen, dass er und seine Untergebenen zu sehr viel Reichtum gelangt seien."

Der Arme übermittelte dem Padischah die Worte der Schlange und dieser gab ihm noch ein Pud Gold.

Nun lief der Arme zur Schlangenhöhle und rief: "Komm heraus, Schlange, nimm die Hälfte des Goldes."

Die Schlange kam aus ihrer Höhe hervorgekrochen. Der arme schüttete das ganze Pud Gold vor sie hin und sagte: "Das letzte Mal traf ich unterwegs einen Menschen, deshalb konnte ich nicht bei dir vorbeikommen. Die andere Hälfte deines Goldes bringe ich dir später."

Da sprach die Schlange zu dem Menschen: "Dich trifft keine Schuld. Beim ersten Mal, als du mir mein Schwanzende mit dem Säbel abschlugst, war der Padischah kriegerisch gestimmt und du warst es ebenfalls. Beim zweiten Mal, als du auf dem kürzesten Wege nach Hause eiltest und absichtlich meine Höhe umgingst, strebte der Padischah nach Gewinn, und auch du hattest nichts anderes im Kopf. Jetzt aber lebt der Padischah noch mehr im Überfluss als früher und das, was er verteilt, schmerzt ihn nicht - und auch du kannst es dir nun leisten, freigebig zu sein. Geh, ich brauche dein Gold nicht, ich bin eine Schlange. Nimm es, und mach, dass du nach Hause kommst. Ich wollte dir helfen, nun aber will ich dich nicht mehr sehen!"

 

   * Padischah = Fürst

** Pud = veraltetes russisches Gewichtsmaß von 16,3 Kilogramm

 

Die Auswahl des Märchens und die Übersetzung aus dem Russischen besorgte Gabriele Kleiner, die  Redaktion der gesamten Märchen-Serie lag in den Händen von Gisela Reller

 

(Streifenornament)

 

 *

 „Gastfreundschaft und Ritterehre sind überall [im Kaukasus] heilige Gesetze, ebenso Frömmigkeit und Kriegslust."

 

Essad Bey (das ist Lev Nussimbaum, als Sohn eines jüdischen Ölmagnaten 1905 im aserbaidschanischen Baku geboren,

gestorben 1942 im italienischen Positano)   in: 12 Geheimnisse des Kaukasus, 2008

(Die Erstausgabe dieses Buches erschien 1931.)

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise zu den INGUSCHEN:

 

 

Rezension in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

KATEGORIE BELLETRISTIK: Steffi Chotiwari-Jünger (Hrsg.), Die Literaturen der Völker Kaukasiens, Neue Übersetzungen und deutschsprachige Bibliographie, Literatur der Abasiner, Abchasen, Adygen, Agulen, Armenier, Aserbaidshaner, Awaren, Balkaren, Darginer, Georgier, Inguschen, Kabardiner, Karatschaier, Kumyken, Kurden, Lakier, Lesginer, Nogaier, Osseten, Rutulen, Tabassaraner, Taten, Tschetschenen, Ubychen, Uden, Zachuren, Zowatuschen (Bazben)., Reichert Verlag, Wiesbaden 2003.

"Am meisten an diesem außerordentlich arbeitsaufwendigen Buch beeindruckt die gelungene Mischung von Lesevergnügen und Wissenschaftlichkeit. Hier kommt sowohl der Literatur liebende Leser auf seine Kosten als auch der Kaukasusspezialist."

In: www.reller-rezensionen.de

 

Literaturhinweise

 

 * Monika Buttler, Die Kaukasus-Kost der Hundertjährigen, Rezepte für ein langes Leben, Urania Verlag, Berlin 1999.

Die Bewohner des Kaukasus leben nicht nur lange, sondern erhalten sich auch bis ins hohe Alter ihre Lebensfreude und eine beneidenswerte Gesundheit. Die Ernährung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Der ausführliche Rezeptteil des Büchleins kulminiert in einem Farbteil mit einem opulent fotografierten Freundschaftsessen und einem erotischen Menü für zwei Personen, das aus einem Mango-Kefir-Drink, Spargelsuppe, einem Selleriecocktail, Wolfsbarsch mit Safran-Sauche und Reis, Feigen in Granatapfel-Sauce und einem Kardamom-Kaffee besteht...

 

 * Wladimir Markowin/Rauf Muntschajew, Kunst und Kultur im Nordkaukasus, Übertragung aus dem Russischen von Alexander Häusler, mit zahlreichen Zeichnungen und Fotos, E. A. Seemann Verlag, Leipzig 1988.

Der Nordkaukasus ist seit Jahrtausenden Siedlungsgebiet einer Vielzahl großer und kleiner Völkerschaften mit einer eigenständigen Kultur und Kunst. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine intensive systematische Erforschung der Vergangenheit dieses Gebietes zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer ein, woran der Moskauer Wissenschaftler Wladimir Markowin und der dagestanische Archäologe R. Muntschajew, beide Mitarbeiter des Instituts für Archäologie der Akademie der Wissenschaften in Moskau, maßgeblich beteiligt sind. Die Autoren legen mit diesem Buch erstmals einen Gesamtüberblick über die kulturhistorische Entwicklung in diesem Teil der Russischen Föderation vom Paläolithikum bis zum späten Mittelalter vor. Felsbilder, die berühmten Gold- und Silberfunde aus Maikop, die Koban- und Skythenkunst, das künstlerische Wirken der Alanen und Chasaren oder die Architektur des alten Derbent sind ebenso Gegenstand dieser Arbeit wie das vielgestaltige spätmittelalterliche Kunsthandwerk.

 

(Streifenornament)

Pressezitate (Auswahl) zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

 Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen

in der Zeit von 1981 bis 1991.

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“

(Zeichnung: Egbert Herfurth)

 

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solibasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.
Foto: Alfred Paszkowiak

 

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

Die INGUSCHEN wurden am 15.10.2013 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 03.02.2016.

Die Weiterverwertung der hier veröffentlichten Texte, Übersetzungen, Nachdichtungen, Fotos, Zeichnungen, Illustrationen... ist nur mit Verweis auf die Internetadresse www.reller-rezensionen.de gestattet - und mit korrekter Namensangabe des jeweils genannten geistigen Urhebers.